VON OLIVER GRISS UND BERND FEIL (FOTO)

Michael Köllner ist ein angenehmer Gesprächspartner. Der 50-Jährige hat immer viel zu erzählen. Am 9. November ist der Oberpfälzer genau ein Jahr 1860-Trainer. Im Jubiläums-Podcast von Radis Erben (100. Folge) spricht der Löwen-Dompteur über:

die Beziehung Köllner & 1860: “Ich kann für meinen Teil sagen: Ich habe mich vom ersten Tag an willkommen gefühlt und spüre große Unterstützung von allen Seiten. Verantwortliche, Mitarbeiter, Fans, Spieler haben mich warmherzig und sehr positiv aufgenommen. Die Aufgabe bei 1860 ist mehr als spannend. Es geht in erster Linie darum, Spieler jeden Alters weiterzuentwickeln. Das ist eines meiner Spezialgebiete, mit dem ich mich voll und ganz identifiziere. Die Verantwortlichen und ich verfolgen einen gemeinsamen Weg, für den wir uns auch die nötige Zeit geben. Und: Ich liebe Traditionsvereine mit einer großen Fankultur. Das ist was ganz Besonderes - und diese Fankultur zeigt sich ganz massiv in der Pandemiezeit. Meine Familie und ich fühlen uns sehr wohl in München. Deswegen habe ich mit voller Überzeugung meinen Vertrag vorzeitig verlängert.”

seine schnelle Integration bei 1860: “Für mich war wichtig, dass ich vorher fünf Jahre in Harlaching gewohnt habe - und 1860 aus der unmittelbaren Nähe kennengelernt habe. Für mich ist es wichtig, den Verein und seine Kultur so schnell wie möglich kennenzulernen. Die Fans sind die Seele des Klubs. Man muss schnell versuchen, ein Gespür dafür zu entwickeln. Für mich ist es wichtig, so nah wie möglich am Verein zu wohnen - und mit den Menschen vor Ort in Kontakt zu stehen, egal, ob du einkaufen, zum Tanken oder zum Essen gehst. Ich kann mit dem Radl zur Arbeit fahren. Das Weihnachtssingen im Grünwalder Stadion war für mich auch etwas Besonderes, Sponsorenveranstaltungen, das Treffen mit den Meister-Löwen oder Gespräche mit dem Stadionsprecher Stefan Schneider. Er ist 30 Jahre Stadionsprecher bei diesem Verein, wir waren jetzt auch mal zusammen essen. Er ist Sechzig. Solche Personen machen den Verein gefühlt aus. Er hat 1860 in schlechten, aber auch in guten und erfolgreichen Zeiten erlebt. Ich habe das in dieser Woche auch meiner Mannschaft gesagt. Für mich gibt es zwei Antriebsfedern: Das eine ist meine Mannschaft. Du sprichst mit Spielern. Du gehst einen Vertrag mit den Spielern ein - und das versuche ich tagtäglich zu leben und zu erfüllen. Es wäre das Schlimmste für mich, wenn ein Spieler zu mir kommen würde und sagen würde: ‘Trainer, sie haben mir ganz was anderes erzählt’. Ich kann keine Einsatzzeiten versprechen, aber was wir mit Spielern inhaltlich besprechen, ist ein wichtiges Thema. Aber ich will für den Verein und die Leute ein guter Cheftrainer sein. Das treibt mich an und ist meine Hauptmotivation.”

die Definition zu 1860: “Es steckt so viel Emotion und Herzblut in diesem Verein, was die Leute gefühlt in den letzten zehn Jahren viel Negatives mitgemacht habe. Für mich ist wichtig, dass man den Leuten wieder was Positives gibt. Das kann was Positives sein, aber auch, wie sich der Verein im Innen- und Außenleben aufstellt. Wenn man 1860 beschreiben müsste, würde das alles untergehen. 1860 ist auch, dass 50.000 oder 60.000 Anhänger in Fanclubs organisiert sind, die aus hunderten Kilometern Entfernung anreisen und sich Spiele anschauen. Wir haben knapp 11.000 Dauerkarten verkauft - ich glaube, das gibt es in Deutschland kein zweites Mal. Dieser Verein hat in München seine Heimat - deswegen heißt’s auch: Münchens große Liebe! Am Ende ist 1860 für viele eine Religion.”

die Haltbarkeitszeit als Profitrainer: Als Trainer sollte man sich immer bewusst sein, dass man aufgrund von Mechanismen entlassen werden kann. Man darf keine Angst entwickeln, das ist kein guter Ratgeber. Als ich bei 1860 meinen ersten Vertrag unterschrieben habe, wusste ich: Das kann auch mein Ende sein. Es gibt keinen lebenslangen Vertrag. Wenn du Glück hast, wird der Vertrag erfüllt - wenn du Pech hast, wird vorher die Leine gezogen. Ich persönlich halte viel von langen Partnerschaften. Meine Frau hat immer gesagt, als ich noch beim DFB beschäftigt war: ‘Du wirst da nie weggehen.’ Ich bin kein Typ, der einen neuen Kick braucht und nach zwei Jahren den Job wechseln muss. Man kann über eine Langfristigkeit auch ein Ziel erreichen. Die Wahrscheinlichkeit ist höher. Ich habe meinen Vertrag bei 1860 nicht verlängert, weil ich morgen wieder gehen will. Ich hoffe, dass die Leute mit mir länger zufrieden sind… Ich hoffe, dass die Leute nie mit den Gedanken spielen, mich irgendwann rauszuwerfen. Für mich ist der Trainerjob ein Traumberuf. Ich kann mich rund um die Uhr mit Fußball beschäftigen. Es ist aber nicht so, dass man soviel Freizeit hat. Die Taktung im Profifußball ist brutal. Ich habe nie frei - und kann auch nicht mit meiner Frau mal zwei Tage wegfahren.”

seine Vorbilder: “Ich hatte als Jugendspieler Väter als Trainer, aber auch einen Bäckermeister aus dem Ort. Das hat mir schon imponiert. Der ist um 12 Uhr nachts in die Backstube gegangen, der hat bis Mittag gebacken, dann hat sich drei, vier Stunden hingelegt und uns danach trainiert. Das war für mich ein Vorbild. Der opfert seine Zeit - unentgeltlich. Klasse, dass es solche Leute gibt. Deswegen habe ich großen Respekt vor allen, die im Jugend- und Amateurbereich arbeiten. Ich hoffe, dass Mannschaftssport bald wieder möglich ist. Das wird alles verloren gehen, wenn wir alles auf Null stellen oder alles aussitzen mit Lockdown oder Shutdown. Als Profitrainer habe ich dann auch viel bei Louis van Gaal zugeschaut, wie er beim FC Bayern Trainer war. Ich bin fast auf jedes Champions League-Spiel mitgeflogen und bin mit der Stoppuhr draußen gestanden, wie lange er die Übung macht. Ich habe dann auch eine gewisse Logik erkennen können, wenn er länger in der Saison vorangeht und die Spiele immer weniger werden. Oder ich war mit Pep Guardiola zehn Tage am Gardasee und habe ihm aus einem Meter Entfernung ohne Fans zuschauen können.”