VON OLIVER GRISS

Peter Cassalette (62) ist der Typ Präsident, der nicht nur für den TSV 1860 immer auf Achse ist, sondern auch ein sehr feines Gehör für die Löwen-Fans hat. Das hat er nicht nur im Estepona-Trainingslager bewiesen, als er sich immer wieder Zeit für die Anhänger nahm, sondern auch, dass er sich den Lesern von dieblaue24 stellt: Die Fans fragen, der Präsident antwortet.

Stefan Erhardt (Eching): Herr Cassalette, was unternimmt der Verein, dass er die Ausgaben senkt und zeitgleich die Einnahmen steigert, sodass der Verein in Zukunft eigeneständig eine schwarze Null schreiben kann?
PETER CASSALETTE: Das ist in erster Linie eine KGaA-Frage, die Markus Rejek am besten beantworten kann. Ich kann dazu natürlich folgendes sagen: Die Ausgaben sind ausgewogen und mit der gebotenen Notwendigkeit budgetiert und erfolgen dementsprechend. Die Geschäftsstelle (KGaA) arbeitet innerhalb eines sehr engen finanziellen Korsetts, davon habe ich mich selbst überzeugen können.

Warum ist es so schwer bei 1860 schwarze Zahlen zu schreiben?
Eines der großen Probleme ist natürlich das Stadion mit seinen hohen Cateringkosten - und natürlich dürfen wir nicht vergessen: Wir können uns im Stadion nicht vermarkten, deshalb haben wir große wirtschaftliche Nachteile gegenüber der Konkurrenz.

Andree Holzapfel (Wattenscheid): Was ist Ihrer Meinung nach der größte Fehler, den der Verein in den letzten zehn Jahren gemacht hat?
CASSALETTE: Der größte Fehler meiner Meinung nach war, auch wenn das jetzt schon länger als zehn Jahre her ist, wie die Stadionverträge abgeschlossen wurden: Man hat die Verträge inklusive Catering nicht auf Zweitligaverhältnisse angepasst. Unter diesen Umständen leiden wir noch heute.

Interessiert es Sie diese Akte noch einmal aufzurollen, oder lassen Sie diese Geschichte lieber ruhen?
In den letzten zwei Monaten hatte ich erst andere Aufgaben zu erledigen, aber wir werden dieses Thema sicherlich noch einmal aufrollen. Das werden wir gemeinsam mit der Geschäftsführung machen. Ein Ansatz wäre zum Beispiel mit der Cateringfirma zu sprechen. Wenn wir es tatsächlich schaffen, in ein paar Jahren eine andere Spielstätte bzw. ein eigenes Stadion zu haben, brauchen wir ja auch eine Cateringfirma. Man könnte die aktuellen Kosten anpassen und im Gegenzug eine langfristige Zusammenarbeit in Aussicht stellen.

Max Beutelrock (Kempten): Herr Cassalette, wie steht es um die Gültigkeit der Verträge mit den Profis und der sportlichen Leitung im Abstiegsfall?

CASSALETTE: Das ist eigentlich eine Frage an Herrn Kreuzer oder Noor Basha, weil es die KGaA und die Abteilung Sport betrifft. Aber es werden natürlich alle Eventualitäten durchgespielt und ich weiß, dass einige Spieler auch Verträge für die Dritte Liga besitzen, aber ich bin nicht im Detail informiert.

Alexander Klinger (Vaterstetten): Herr Cassalette, ich würde gerne von Ihnen wissen, wann 1860 endlich ein Stadionkonzept vorlegt und dieses dann auch verfolgt?
CASSALETTE: Ich bin nicht in der Stadionkommission, aber ich weiß, dass sie schon sehr weit ist, sodass es in den nächsten Wochen zu einer Vorstellung der Arbeit kommen wird. In erster Linie hängt natürlich alles vom sportlichen Abschneiden in der Restrunde ab. Spielen wir weiter in der Zweiten Liga, gibt es Stand jetzt keine Alternative zur Allianz Arena. Der Vertrag für die Allianz Arena gilt erstmal auch für die Dritte Liga, aber sicherlich werden wir uns für diesem Fall auch mit alternativen Szenarien beschäftigen.

Kilian Trinkl (Laufen): Wie wollen Sie Kinder und Jugendliche für Sechzig wieder mehr begeistern?
CASSALETTE: Wir machen immer wieder Aktionen mit dem Bayrischen Fußballverband - beispielsweise auch zum Derby gegen Nürnberg. Es sind bereits knapp 50.000 Tickets verkauft. Wir versuchen immer wieder derartige Aktionen, um die Jugend an Sechzig heranzubringen. Es passiert auf jeden Fall etwas, man bekommt vielleicht nur nicht immer alles mit. Im Trainingslager in Estepona waren sogar zeitweise rund 20 Giasinga Buam dabei, um die Mannschaft zu unterstützen. Das zeigt mir, dass wir nicht alles falsch machen. Und es gibt auch sehr viele ältere Fans, die versuchen, ihre Enkelkinder zu Löwen-Fans zu machen. Der Nachwuchs geht uns nicht aus – da bin ich mir sicher.
noorThomas Danner (Pfarrkirchen): Was wollte Hasan Ismaik mit diesen Facebook-Beiträgen bewirken und warum haben Sie keine Gegendarstellung abgegeben?
CASSALETTE: Wenn wir eine Gegendarstellung oder eine Aussage dazu tätigen, provozieren wir die Situation höchstens. Daran ist uns nichts gelegen und wir haben ja jetzt gesehen, dass Hasan uns erneut geholfen hat, insofern war das aus unserer Sicht genau die richtige Strategie. Wir können nicht beeinflussen, was er macht. Er hat mich gefragt, was seine Posts bewirken und ich antwortete ihm, dass es eher gemischte Reaktionen hervorruft. Das hat er zur Kenntnis genommen.

Ludwig Fendt (Flintsbach): Herr Cassalette, inwieweit konnten und durften Sie bisher, anders als Ihre Vorgänger, in die Prozesse eingreifen und Ihre eigenen Vorstellungen umsetzen?
CASSALETTE: Wir haben eine ganz klare Geschäftsordnung, eine ganz klare Teilung. Zum einen die KGaA, die zuständig ist für den Profibereich, die drei Mannschaften: Die Profis, die U21 und die U19. Da gibt es ein tägliches operatives Geschäft, in dem wir nicht eingreifen wollen und dürfen. Für meine Funktion im Beirat gibt es aber schon Aufgaben, was auch die Profis angeht: Genehmigung von Spielertransfers. Ansonsten halten wir uns aus dem Tagesgeschäft der KGaA heraus. Im Bereich des Vereins sind wir als Präsidium das größte Organ und entscheiden die Dinge. Wir haben natürlich auch ein Kontrollgremium, das ist der Verwaltungsrat. Aber der Verwaltungsrat ist nicht dazu da, um uns Vorgaben zu machen. Es gibt natürlich Fragen, da müssen wir uns wiederum mit dem Verwaltungsrat absprechen.

Hat das Präsidium keine Macht?
Das Präsidium hat genau festgelegte Kompetenzen. Wir kümmern uns um alle Belange im Verein, soweit unsere Kompetenzen gehen und arbeiten ziemlich eng mit der KGaA zusammen, besonders im Hinblick auf alle Themen, die die Partnerschaft mit Hasan Ismaik betreffen. Dadurch rückt man natürlich ein Stück weit näher zusammen.

Markus von Ring (München): Herr Cassalette, haben Sie jetzt eigentlich ihren Sitz im Beirat bekommen?
CASSALETTE: Ja, klar. Im Beirat sitzen Karl-Christian Bay und meine Wenigkeit, sowie Hasan Ismaik sowie Hasans Bruder. Im Grunde genommen sind wir ein Verein und müssen deshalb auch im Krisenzeiten alle zusammenhalten, da gibt es dann nicht den Verein oder die KGaA, sondern wir müssen zusammen alle schauen, was das Beste für Sechzig ist. Es gab vielleicht Zeiten vor meiner Zeit, als die KGaA und Präsidium nicht sehr gut zusammengearbeitet haben, aber jetzt haben wir das Verhältnis von einer Zweck- in eine Liebesehe verwandelt. Trotzdem kommt´s manchmal zu Meinungsverschiedenheiten - und das ist gut so.

Johannes Anthofer (Aldersbach): Noch ist VW der Hauptsponsor des TSV 1860: Nach dem Abgasskandal stellt sich aber natürlich die Frage, wie lange wird „Think blue“ noch unsere Trikot zieren wird?
CASSALETTE: Wir haben noch keinen negativen Bescheid von VW bekommen über eine weitere Zusammenarbeit. Man liest aber natürlich was in der Welt von Volkswagen so vorgeht.

Jürgen Mertinko aus Traunreut: Herr Cassalette, war es wirklich erforderlich, dass in finanziell schwierigen Zeiten die gesamte Vereinsführung mit ins Trainingslager nach Estepona geflogen ist?
CASSALETTE: So etwas gehört sich einfach, um die Unternehmenskultur zu verbessern. In allen Bereichen ist es wichtig, dass man zusammenwächst. Für mich ist es wichtig, dass ich einen engeren Kontakt pflegen kann und die Leute einfach mal richtig kennenlerne, die auch über das Schicksal des Vereins entscheiden - und das sind nun mal die Spieler und die Trainer.

Bildschirmfoto 2016-01-20 um 16.15.47Tobias Tinter (Regensburg): Der TSV 1860 hat in den vergangenen Jahren bewiesen, dass man eines der besten Nachwuchsabteilungen des Landes besitzt. Nun stehen wir aber am sportlichen und finanziellen Abgrund. Wie wollen Sie und die Verantwortlichen sicherstellen, dass man auch bei einer Zukunft in Liga 3 die notwendigen Ressourcen für das Nachleistungszentrum gewährleisten kann, um einen exorbitanten Qualitätsverlust zu verhindern?
CASSALETTE: Wir wissen natürlich, dass das NLZ eines der größten Assets im Verein ist. Ohne die gute Jugendnachwuchsarbeit wären wir schon lange am Ende, weil wir damit immer wieder wichtige Transfererlöse – siehe zum Beispiel Julian Weigl – erzielt haben. Natürlich muss man sich manchmal hinterfragen, ob wir nicht den ein oder anderen zu günstig abgegeben haben, oder irgendwelche nicht so positive Tauschgeschäfte wie Sven Bender gegen Toni Rukavina. Aber hinterher ist man immer schlauer. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass sich Weigl so in Dortmund entwickelt. Wir wollen auf jeden Fall natürlich diese Strukturen erhalten, das ist das oberste Gebot. Und selbst wenn wir in die Dritte Liga gehen müssten, wird dieses Leistungsnachwuchszentrum bestehen bleiben. Und da wird es auch keine Einschnitte geben.

Würde im Abstiegsfall auch die U21 bestehen bleiben?
CASSALETTE: Der Unterbau ist ein ganz wichtiger Punkt für uns. Von der U19 direkt in Zweite Liga – da ist die Spanne sehr groß. Deshalb ist es ganz wichtig, dass man so eine Mannschaft dazwischen hat. Und wenn wir in die Dritte Liga gehen, dann müsste auch unsere zweite Mannschaft automatisch in die Bayernliga absteigen.

cassiFritz Fuchs (Grünwald): Herr Cassalette, mal Hand aufs Herz: Haben Sie sich Ihre Arbeit beim TSV 1860 so schwer vorgestellt? Ex-Präsident Karl-Heinz Wildmoser hat einmal gesagt: “Bei 1860 hat man nullkommanull Lebensqualität…”
CASSALETTE: Die Lebensqualität lasse ich mir von 1860 nicht nehmen. Ich bin durchaus ein positiver, optimistischer Mensch und nach wie vor glücklich und stolz, dass ich für den Verein arbeiten darf. Natürlich gibt es manchmal Momente, in denen man sagt: „Das hätte ich mir einfacher vorgestellt.” Der Einstieg war bis auf die erste Woche immer sehr stressig und wir hatten fast ausschließlich nur Krisengespräche, Krisensituationen. Es ist wie immer bei den Löwen: Einmal unten, einmal oben. Ich will alles dafür tun, dass wir wieder bessere Zeiten bei 1860 erleben. Das Wichtigste ist, dass wir sportlich den Turnaround hinlegen.

Aaron Olcay (München) Welchen Plan haben Sie als Präsident, unseren TSV wieder groß zu machen?
CASSALETTE: Erst einmal müssen wir uns wirtschaftlich konsolidieren. Und wir müssen unser strukturelles Defizit nach unten fahren, damit wir nicht jedes Jahr neues Geld zusätzlich brauchen. Umso wichtiger ist, dass wir dieses Jahr die Zweite Liga halten. Schaffen wir das, bin ich überzeugt, dass wir mit Oliver Kreuzer und Benno Möhlmann die richtigen Führungskräfte haben, um in den nächsten Jahren Schritt für Schritt nach oben zu klettern. Alle anderen Pläne, wie etwa ein Dreijahresplan, sind absolut unrealistisch. Im Moment gibt es nur Gebot an der Grünwalder Straße: Nicht absteigen!

Marc Andrä (München): Herr Casslette, hat Sechzig überhaupt noch eine Zukunft mit Hasan Ismaik?
CASSALETTE: In einer Partnerschaft mit einem Investor gibt es natürlich auch einmal Meinungsverschiedenheiten. Höhen und Tiefen. Grundsätzlich bin ich pro Hasan Ismaik und ich bin glücklich und dankbar, dass er uns nun wieder weiter unterstützt. Die Frage, die man sich stellen müsste, ist: Was ist die Alternative? Insofern, wenn man alle Vor- und Nachteile abwägt, muss man nicht lange überlegen, was im Moment der richtige Weg ist. Ich bin wie gesagt pro Ismaik, weil das auch im Moment für 1860 die einzige Lösung ist. Man darf eines nicht vergessen: Ismaik war der einzige, der 1860 retten wollte. Sonst war keiner da. Das ist zwar traurig, aber Fakt. Ohne Ismaik wären wir im sportlichen Nirwana - und würden wahrscheinlich auf irgendeiner Münchner Bezirkssportanlage um Punkte kämpfen. Ist es das, was der Löwen-Fan will? Ich sicher nicht!

Wie groß sind Ihre Hoffnungen auf den Klassenerhalt?
Ich hoffe, dass diese ganzen politischen Themen bei 1860 jetzt endlich zur Ruhe kommen und wir uns voll und ganz auf den Sport konzentrieren können. Wir hatten letztes Jahr zwei Endspiele – gegen Nürnberg und Kiel, wo wir sehr viele Fans mobilisieren konnten. Jetzt haben wir noch sieben Heimspiele, alles sind Endspiele und wir versuchen, alle Fans dazu bewegen, ins Stadion zu kommen. Jetzt kommt es richtig darauf an, genauso wie letztes Jahr. Und jetzt kann jeder Löwen-Fan zeigen, ob er das Löwen-Herz am richtigen Fleck hat. Wir brauchen jede Stimme gegen Nürnberg.

Wie sehen Sie Präsident Peter Cassalette? Diskutieren Sie mit!