VON OLIVER GRISS

Der 9. März 2004: Auch zehn Jahre danach haben sich die Löwen von dieser Geschichte noch nicht erholt

Ich habe diesen Augenblick, der den TSV 1860 von der einen auf die andere Sekunde veränderte, noch heute in mir - dabei liegt der 9. März 2004 mit dem heutigen Tag bereits zehn Jahre zurück. Ich stehe mit meinem Oldtimer vor der roten Ampel, das Grünwalder Stadion in Sichtweite. Als damaliger AZ-Reporter war ich - wie jeden Tag - auf dem Weg zum 1860-Trainingsgelände. Ausrichtung: Die Aufarbeitung der 0:2-Heimpleite gegen Werder Bremen. Plötzlich unterbricht der Radiosender “Bayern 3” seine Frühstückssendung - mit einer  Eil-Meldung: Karl-Heinz Wildmoser , der Ober-Löwe und Heinz Wildmoser Junior, der 1860-Geschäftsführer  sind verhaftet worden. Stadion-Skandal um die Allianz Arena! Es geht um Schmiergeld in Höhe von 2,8 Millionen Euro!

Drei Minuten später bin ich am 1860-Trainingsgelände. Das große Tor  ist geschlossen, doch ich komme durch einen kleinen Trick noch in den Innenbereich, weil Wirtin Christl Estermann mich durch den Hintereingang des Löwenstüberls reinlässt. Oben wird Wildmoser Junior mit Beamten durch die Räume der Geschäftsstelle geführt, beim Spielereingang schleppen mehrere Beamte dicke Leitz-Ordner in einer Zivil-BMW. Bilder, die ich in meinem Leben nicht mehr vergessen werde, weil ich in diesem Moment registriere: Beim TSV 1860 wird nichts mehr so sein wie es einmal war. Der 9. März 2004, es ist der Tag, der 1860 bis heute lähmt…

Wildmoser war der TSV 1860, ein richtiges bayerisches Ur-Viech, ein Schlitzohr, ein Charmeur, ein Macher wie es sie es nur selten im deutschen Fußball gab. Der Verein war auf ihn aufgebaut. Ein paar Tage später tritt Wildmoser auf Druck des Aufsichtsrates zurück, beteuert aber weiter seine Unschuld. Ein Jahr später führe ich mit Wildmoser für die AZ ein Interview: Er behauptet, dass auch ein ehemaliger Bayern-Funktionär involviert war. Die AZ-Chefredaktion streicht diese heikle Passage - ich fragte: Warum? Darauf bekam ich leider niemals eine Antwort…

Später wird der Senior freigesprochen, doch sein Leben ist zerstört. Alleine sitzt er oft an seinem Stammtisch in Hinterbrühl, redet mit mir oft über seine Löwen, regt sich immer wieder über die Gutmütigkeit von Ex-Boss Karl Auer sowie den schwachsinnigen Arena-Verkauf von Ex-Geschäftsführer Stefan Ziffzer für 11,3 Millionen Euro auf. Das letzte Mal am 18. Juli 2010. Zehn Tage später ist der alte Wildmoser tot. Nierenversagen!

Bis heute gibt es zwei Theorien: Der “Alte” wusste alles - oder: Der Junior wollte dem “Vatta” beweisen, dass er ein schlaues Kerlchen ist und hat den Millionen-Deal im Alleingang durchgezogen. Die Schuld nahm der Junior vor Gericht jedenfalls auf sich und wurde auf viereinhalb Jahre Haft verurteilt.

Die Familie Wildmoser ist an diesem Stadion-Skandal zerbrochen. Der kleine Wildmoser besitzt direkt gegenüber dem Münchner Rathaus ein gut florierendes Lokal und sitzt jeden Tag an seinem Stammplatz - und beobachtet genüsslich das Treiben auf dem Marienplatz. Über die Geschichte, die den Verein in eine Schockstarre versetzte, will der Junior nicht mehr reden. Einmal hat er zu mir gesagt: “Eigentlich könnte ich ein Buch schreiben, doch das lasse ich lieber bleiben.” Weil dann die  ganze Wahrheit ans Tageslicht kommen würde?

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