VON OLIVER GRISS

Werner Lorant, der heute 75 Jahre alt wird, ist mit sich im Reinen. Seit 13 Jahren lebt er mit seiner Lebensgefährtin Gitti am idylischen Waginger See. Dort, wo andere Menschen Urlaub machen, lebt der Kulttrainer des TSV 1860, der dem Klub die erfolgreichste Zeit der letzten 50 Jahre bescherte. "Wenn man einmal hier war, will man nicht mehr weg", sagt Lorant und blinselt in die November-Sonne. Zu seinem Ehrentag geht es heute im kleinen Kreis auf die Fraueninsel ins Hotel "Zur Linde" von Löwen-Fan Florian Ebner: Sein österreichischer Freund Andreas Pretzl hat das mit organisiert - einige Ex-Helden von früher haben sich für die Feier angesagt. Das db24-Interview:

db24: Herr Lorant, Sie feiern heute ihren 75. Geburtstag: Wie alt wollen Sie werden?

WERNER LORANT: 100 Jahre - mindestens! Meine Mutter ist im vorletzten Jahr verstorben. Die wurde 102. Die Lorants haben gute Gene. Deswegen werde ich so alt. Mir geht es gut. Das Knie zwickt zwar ein wenig, aber das ist schon alles. Mein Hund Jackson weckt mich in der Früh mit einem Knurren. Dann geht es schon das erste Mal hinaus, egal wie das Wetter ist, auch bei Schnee und Regen. Wenn ich mit ihm die große Runde gehe, heißt um den kompletten Waginger See, dann brauche ich schon drei Stunden. Aber diese Tour kommt nur infrage, wenn das Wetter gut ist.

db24: Wann sind Sie auf den Hund gekommen?

Jackson ist ein Mischling, ich habe ihn aus dem Tierheim auf Estepona geholt. Er ist mein Ein und Alles. Früher habe ich die Spieler getriezt, heute läuft es anders rum (lacht). Der Hund gibt mir Feuer!

db24: Wie werden Sie Ihren Ehrentag feiern?

Im engsten Kreis. Wir fahren an den Chiemsee. Von Prien aus geht es mit dem Schiff auf die Fraueninsel. Meine Lebensgefährtin, meine zwei Schwestern werden auch mit dabei sein. Dort werden wir einen schönen Nachmittag verbingen. Hoffentlich passt auch das Wetter. Meine zwei Söhne, Timo und Tobi, können leider nicht dabei sein. Sie sind ja beide berufstätig, aber wir werden das nachholen.

95549.jpg

db24: Auf welches Leben blicken Sie zurück?

Interessiert mich nicht! Vergangenheit ist Vergangenheit. Ich lebe immer im Hier und Jetzt. Das mache ich wie meine Mutter. Ich bin mit mir im Reinen. Ich habe am Waginger See eine hohe Lebensqualität. Mir fehlt es an nichts. Ich bin kein Stadtmensch. Mir gefällt das Land. München ist mir zu groß und zu laut.

db24: Aber in München spielen Ihre Löwen…

Was willst du denn mit denen? Die kriegen seit Jahren nichts mehr gebacken. Ich bin immer traurig, wenn sie den Aufstieg früh aufs nächste Jahr verschieben müssen. Da stimmt es vorne und hinten nicht. Wenn ich da heute noch arbeiten würde, wären die innerhalb von zwei Jahren wieder oben. Die Abwehr passt, aber mir fehlt Qualität im offensiven Mittelfeld und Angriff. Das reicht nicht. Wenn du besser werden willst, musst du auch mehr trainieren. Sie sind jetzt in einer Spirale drin, da kommen sie so schnell nicht mehr raus. Um Erfolg zu haben, brauchst du einen guten Präsidenten und einen überdurchschnittlichen Trainer.

db24: In Ihrer Aufzählung fehlt ein Sportchef, den 1860 seit mehreren Monaten nicht hat.

Den braucht man nicht! Wenn der Cheftrainer gut ist, dann braucht man keinen Sportdirektor! Ich habe keinen Sportchef benötigt. Viele Köche verderben den Brei! Und das ist auch für die Spieler nicht gut. Ich habe die Spieler geholt, die 1860 gebraucht hat. Ich glaube, das war über all die Jahre nicht so verkehrt, was ich gemeinsam mit meinem Präsidenten Wildmoser gemacht habe. Mir wurden zwar immer wieder Spieler empfohlen, die ich mir dann auch angesehen habe. Aber es wurde in den neuneinhalb Jahren kein Spieler verpflichtet, den ich nicht wollte.

db24: Warum haben Sie 1860 im Griff gehabt?

Weil mein Präsident auf mich gehört hat. Ich habe ihm Spieler empfohlen. Er hat sie geholt. Zwei Beispiele: Peter Pacult und Jens Jeremies. Bei Pacult hat Wildmoser gesagt: “Was willst du mit dem? Der ist 33! Und kommt aus Österreich! Die können Skifahren, aber nicht Fußballspielen!” Ich habe mich durchgesetzt. Pacult wurde bei uns ein ganz Großer! Und bei Jeremies hat Wildmoser gesagt: “Was willst mit dem? Die haben wir hier auch!” Ich habe Jeremies bekommen, er ist bei uns durchgestartet und ist uns dann von den Bayern geklaut worden. Was mich heute noch ärgert, ist die Tatsache, dass wir in der Champions League-Qualifikation in Leeds verschaukelt wurden. Das tat weh. Die Bayern haben sich gefreut, dass wir nicht hochgekommen sind. Das ist das Problem des TSV 1860 in der Stadt München: Der Verein wird aber auch von den eigenen Leuten kleingehalten. Das ist schade. Aber 1860 als Traditionsverein mit dieser Fanbase muss sich auch dagegen wehren…

db24: Am vergangenen Samstag ist 1860 mit dem 0:1 in Pipinsried aus dem Toto-Pokal geflogen…

Ich muss gestehen: Ichi habe mir das nur mit einem halben Auge angeschaut: Mir ist aufgefallen, dass die nur rumgestolpert sind. Was soll ich dazu sagen? Da fällt mir nichts mehr ein! Mit Fußball hat das jedenfalls wenig zu tun gehabt.

db24: Können Sie sich noch an daran erinnern, wie Sie 1860 abgeworben hat?

Ich hatte schon bei Borussia Fulda unterschrieben, aber Karl-Heinz Wildmoser hatte jeden Tag angerufen. Der Verein war damals schon was Großes, auch wenn er damals nur in der Bayernliga gespielt hat. Da wäre ich auch barfuß hingelaufen. Sechzig ist eben Sechzig! Und Sechzig wird immer mein Verein bleiben (er zeigt auf das Logo auf seiner Winterjacke, d. Red.).

db24: Wurmt es Sie eigentlich, dass Sie seit ihrem Abschied 2001 nie wieder von 1860 kontaktiert und um Rat gefragt wurden?

Ja, das wundert mich. Die denken, sie sind immer noch etwas Besonderes und wissen alles. Man muss sich nur ihre Bilanz ansehen. Aber das ist irgendwie typisch. Ich habe mit diesem Präsidenten Reisinger genau eine Minute in den letzten sechs Jahren gesprochen - beim Legendenspiel vor einem Jahr im Olympiastadion. Das war aber nur Smalltalk - mehr nicht. Das zeigt mir auch, dass sie gar nicht hochwollen. Dass ich nie eine Jahreskarte für die 1860-Heimspiele bekommen habe, sagt alles über diesen Verein aus. Ich fühle mich schon von 1860 vergessen. Auch wegen mir tragen die Leute das Logo noch stolz auf der Brust.

db24: Was sagen Sie zur Entwicklung des deutschen Fußballs?

Ich schaue Bundesliga nur noch selten. Es geht nicht mehr um Fußball, sondern viel um Politik. Die Unterstützung der Fans war auch schon mal besser. Und wenn ich sehe, dass die Haltbarkeitsdauer eines Bundesliga-Trainers immer kürzer wird, dann habe ich dafür kein Verständnis! Wieso muss ein Urs Fischer bei Union Berlin gehen? Der hat die in die Champions League geführt. Den kann man doch nicht rauswerfen, nur weil es mal nicht so läuft.

db24: Welchen Verein außer 1860 hätten Sie gerne in Deutschland noch gerne trainiert?

Eintracht Frankfurt! Das hat leider nie geklappt, obwohl wir immer wieder mal gesprochen haben. In Frankfurt hatte ich meine schönste Zeit als Profi. Wir gewannen 1980 gegen Borussia Mönchengladbach den Uefa-Pokal. Auch mit Borussia Dortmund hatte ich Kontakt. Aber 1860 war immer mein Verein - und kein anderer. Ende!