VON MARCO BLANCO UCLES

Die Erleichterung im Grünwalder Stadion am Freitagabend nach dem Abpfiff war greifbar. 3:1 gegen Aue - Spitzenreiter, wenn auch nur für 19 Stunden. Der Löwe ist wieder in der Spur nach dem bitteren 1:4 bei der SV Elversberg in der Woche zuvor. Klar, 1860 hatte in dieser bislang so berauschenden Saison schon bessere Spiele abgeliefert. Doch bewies das Team von Trainer Michael Köllner gegen Aue eine Tugend, die im Laufe einer Saison immens wichtig sein wird: Einen ausgesprochenen Charakter. Gute Reaktion, Löwen!

Die Widerstände unter der Woche waren nicht ohne: Nachbereitung des Elversberg-Debakels, Fehlinterpretationen einiger Medien ob der Aussagen von Kapitän Stefan Lex - “interne Probleme” -, die Verletzungen von Lex und Quirin Moll sowie die Debatte um den Disput zwischen Köllner und einem wild auftretenden DFB-Sicherheitsbeauftragten in Elversberg. Dazu die hohe Erwartungshaltung vor dem Heimspiel gegen das sieglose Schlusslicht Aue. Doch was auch kam: Der Löwe machte weiter, ließ sich nicht beirren und darf sich nun mit einer idealen Ausgangsposition die wohlverdiente Wiesn-Maß schmecken lassen.

Trainer Köllner war in den vergangenen Tagen vor allem als Psychologe gefragt. Die krachende Pleite von Elversberg ließ dem bislang so erfolgreichen Team erstmals Gegenwind ins Gesicht blasen. Die größten Schwarzmaler in der Fanszene kamen sofort aus ihren Löchern gekrochen und vermuteten den Anfang einer Erfolglos-Serie - typisch Sechzig eben. Dass der Druck bei 1860 mit dem anderer Drittligisten kaum zu vergleichen ist, bekamen nun auch Neuzugänge wie Fynn Lakenmacher, Albion Vrenezi oder Christopher Lannert zu spüren. Ihr Coach aber hat es mit den Jahren bestens verstanden, wie es bei den Löwen und ihrem Umfeld läuft. Anstatt ohne Ende auf seine in Elversberg teils konfuse Mannschaft draufzuhauen, erinnerte er sie an ihre Stärken, hauchte ihr das etwas verloren gegangene Selbstvertrauen wieder ein - mit Erfolg. Es war kein Zufall, dass mit Daniel Wein in der Zentrale ein Spieler begann, der es versteht, mit solchen Situationen umzugehen.

Dieser Sieg gegen Aue bringt viel mehr als nur drei Zähler im Aufstiegskampf. Er war ein Zeichen an alle Kritiker, dass der Löwe nicht beim ersten Windhauch einbricht. Natürlich muss man auch jetzt realistisch bleiben: So souverän, wie das Endergebnis klingen mag, war es nicht. Aue konnte über weite Strecken der Partie das Geschehen ausgeglichen gestalten, agierte allerdings im letzten Drittel viel zu harmlos. Aber wie ein lebloser Tabellenletzter traten die Veilchen keineswegs auf, spielten durchaus ansehnlichen Fußball. Der Zug in Sachen Klassenerhalt ist im Erzgebirge ganz sicher noch nicht abgefahren. Dass das Spielglück in dieser Saison häufig auf der Seite der Löwen liegt, kann kaum Zufall sein. Spitzenmannschaften zeichnet es aus, auch schwächere Phasen zu überstehen und dann in den entscheidenden Momenten hellwach zu sein - siehe Oldenburg, Verl und nun eben Aue.

Die Länderspielpause kommt für die Löwen nun zum perfekten Zeitpunkt. Zum einen kann der überragende Saisonstart verarbeitet und auch ein wenig auf der Wiesn gefeiert werden. Zum anderen ist die Zeit der größte Freund der Sechzger. Wenn nämlich ab dem 1. Oktober das knüppelharte Restprogramm bis zur Winterpause - Dortmund II, Ingolstadt, Osnabrück, Wiesbaden, Bayreuth, Saarbrücken, Freiburg II und Essen - ansteht, kann Köllner bis auf Marcel Bär voraussichtlich auf seinen kompletten Kader zurückgreifen. Die angeschlagenen Spieler können in der Pause in Testspielen sowie im Totopoakl wieder an das Team herangeführt werden. Wie wichtig die in den vergangenen Wochen durch zahlreiche Verletzungen etwas weggebrochene Kaderbreite sein wird, wurde am Freitag deutlich sichtbar. Wie in den vergangenen Spielzeiten tummelten sich auf der Löwen-Bank hauptsächlich unerfahrene Nachwuchsspieler. Ein heißer Herbst steht bevor: 1860 ist bereit.

Marco Blanco Ucles (25) arbeitet seit dem 1. Juli 2022 für db24 als festangestellter Redakteur - zuvor absolvierte der Sollner seine Ausbildung im Ippen-Imperium.