VON OLIVER GRISS UND IMAGO (FOTO)

“Clubhouse” wird in der Szene als neue Super-App gefeiert (funktioniert nur mit Apple-Geräten) - aber ist es der virtuelle Stammtisch, den Fußballfans brauchen?

Die Social Media-Abteilung von “BR24 Sport” hatte es am gestrigen Samstagabend nach dem 4:0-Sieg in Halle probiert, in Corona-Zeiten alte Helden wie Werner Lorant, Karsten Wettberg und Olaf Bodden, Zeitzeugen, Allesfahrer und Fans aus der 1860-Familie miteinander diskutieren zu lassen. Prinzipiell eine nette Idee. Das Interesse des Publikums an diesem virtuellen Treffen, das von BR-Reporter Julian Ignatowitsch geleitet wurde, war aber sehr überschaubar. Mehr als 50 Aktive (auch Waldi Hartmann oder Tobias Schweinsteiger waren zeitweise Zuhörer) waren leider nicht in der Leitung. Schade.

Aber Peter Seeböck, der Papa von Verwaltungsrat Sebastian Seeböck, loggte sich ein. Er bat die Fans, den Verein noch mehr finanziell zu unterstützen. Außerdem sprach der Unternehmer (Trachtn Bäda) über das Grünwalder Stadion - und, dass die Stadt niemals einen Umbau der Kultstätte über die 18.105 Zuschauer zulässt. Das sei im Rathaus längst beschlossene Sache. Da half es auch nicht, dass Kulttrainer Werner Lorant ein Plädoyer für das Grünwalder Stadion hielt. “Sechzig muss ins Grünwalder Stadion - und nirgendswo anders hin.” Später fügte er hinzu, dass er sich die Zuschauerzahl von 30.000 plus wünsche. Träumereien, die leider nie zu realisieren sind, zumal Lorant am besten weiß, dass man auf Giesings Höhen keine Top-Mannschaft finanzieren könne. Mitte der 90er Jahre zog der TSV 1860 unter seiner Regie ins Olympiastadion um, um eine Mannschaft aufzubauen, die später in einer Saison zweimal die Bayern - wohlgemerkt die “Erste” - besiegte und sogar um den Einzug in die Champions League spielte. Und heute ist das Geld noch ein größerer Faktor als früher…

Karsten Wettberg, der andere Kulttrainer des TSV 1860, kam aufgrund von technischen Problemen erst in der Nachspielzeit auf “Clubhouse”, um u.a. für Einigkeit unter den Fans und Funktionären zu werben: “Es geht nur miteinander. Sonst werden wir das Ziel, in die Zweite oder Erste Liga aufzusteigen, in den nächsten zehn Jahren nicht erreichen.”

Als Wettberg das sagte, hatte Kultreporter Karlheinz Kas (er war damals für den BR 1994 in Meppen dabei) die Bühne längst verlassen - leider ohne seine fundierten Einschätzungen. Hatte ihn der Moderator vergessen? Womöglich. Sonst spricht Kas vor einem Millionen-Publikum in der Sendung “Heute im Stadion” - oder eben in der ARD-Konferenz. Seine Expertise ist bundesweit geschätzt.

Und Olaf Bodden meinte, dass 1860 ein Nachwuchsproblem im Fanbereich habe - ein Fan widersprach dem Ex-Stürmer sofort und meinte, dass das Grünwalder Stadion und der Stadtteil Giesing dafür sorgen, dass dies anders sei. Der Fan engagiert sich bei der Stadion-Initiative “Sechzig im Sechzger”. Ich bin fast täglich im Englischen Garten - und leider sehe ich zwar viele Kids Fußballspielen, aber leider im falschen Trikot. Und wer vor Corona durch die Innenstadt flanierte, kann diesen Eindruck wohl auch bestätigen. Es gibt kaum noch Kinder, die im Alltag oder im Fußballtraining des Heimatvereins ein Löwen-Trikot tragen. Das ist die traurige Realität.

Leider hatte der Löwen-Talk aus unserer Sicht den Sinn etwas verfehlt und nicht selten nur Stammtischcharakter. Ein ganz Witziger fragte beispielsweise den 72-jährigen Werner Lorant, ob er sich vorstellen könne, Nachfolger von Jogi Löw zu werden (“Werner, wirst Du der nächste Bundestrainer?”) - bei anderen Fans, die auf die Bühne “gehoben” wurden, hatte man das Gefühl, dass sie das mit dem Stammtisch etwas falsch verstanden und sich vorher schon Mut angetrunken hatten.

db24 wird “Clubhouse” nicht in sein Kommunikationportofolio aufnehmen - wir bevorzugen es, uns mit unseren treuen Lesern über Instagram live in der regelmässigen Sendung “60 Minuten Sechzig” auszutauschen. In der Spitze sind bis zu 230 Fans gleichzeitig online. Überraschungsgäste waren u.a. schon Michael Köllner, Uwe Wolf oder Michael Hofmann. Auf diesem Format sprechen wir mit Fans über die Gemütslage und aktuelle Entwicklungen. Neuerdings ist es möglich, im Vierergespräch zu diskutieren. Als nächster Termin ist der kommende Montag (20.45 Uhr) vorgesehen - direkt nach dem für 1860 nicht unwichtigen Duell zwischen Türkgücü und Rostock.