VON OLIVER GRISS UND BERND FEIL (FOTO)

Die Löwen im Krisen-Modus. 1860-Geschäftsführer Günther Gorenzel stellt sich in den schwierigen Corona-Zeiten db24. Das Interview:

db24: Herr Gorenzel, können Sie unseren Lesern mal schildern, wie ihr derzeitiger Tag im Home-Office am Wörthersee aussieht? 

Das Wichtigste ist erst einmal, dass alle in der Löwenfamilie gesund bleiben und sich an die Vorgaben halten, um Ihr eigenes Ansteckungsrisiko zu minimieren und auch Ihren Teil dazu beizutragen, dass wir alle möglichst zeitnah wieder zur Normalität zurückkehren können. Für mich, der ich gefühlt jeden einzelnen Tag meines Lebens an einem Trainingsgelände verbracht habe, ist das wirklich ungewohnt im Home-Office. Alles über Telefon, Sprachnachrichten, Mailverkehr und Videokonferenzen zu klären, erschwert finde ich schon den Austausch. Ich bin eher ein Freund des persönlichen Gesprächs, auch wenn ich da vielleicht aus der Zeit gefallen erscheine. Trotzdem versuchen wir, um eine mögliche Ansteckungsgefahr so gering wie möglich zu halten, nur wenn es unausweichlich ist, persönliche Gespräche an der Grünwalderstrasse zu führen.

db24: 16 Drittliga-Klubs haben bereits Kurzarbeit angemeldet - an was hakt es bei 1860, um diesen Schritt zu vollziehen?

Wir wollen alle Mitarbeiter mitnehmen, ihnen die Situation im intensiven Austausch vermitteln und Ihnen Lösungen anbieten, denen Sie vertrauen können. Kurzarbeit ist eine der Lösungen, die wir gerade diskutieren. Wir haben ein tragfähiges Modell entwickelt, mit dem wir - wenn alle mithelfen - den Fortbestand von 1860 München sichern können. Wir sind gerade in guten Gesprächen, wir wollen und können das nicht von oben herab entscheiden, sondern wir brauchen die Unterstützung und Zustimmung aller. Wir sind ein Team. Es gibt bei uns ja keinen Tarifvertrag wie bei großen Konzernen. Aber wir glauben fest daran, dass wir den besten Kompromiss anbieten, um einerseits das Überleben des Vereins zu sichern, und andererseits die Einschnitte so gering wie möglich für den Einzelnen zu halten. Die Löwenfamilie muss zusammen halten.

1860 in Schieflage: Wem vertrauen Sie in der Corona-Krise am meisten?

Umfrage endete am 05.04.2020 14:00 Uhr
Hasan Ismaik/Sponsoren
65% (4357)
Keinem.
15% (1026)
Michael Scharold/Günther Gorenzel
12% (790)
Robert Reisinger
8% (535)

Teilnehmer: 6708

db24: Hand aufs Herz: Ist die Existenz des TSV 1860 akut gefährdet?

Ich habe ja schon letzte Woche vom wichtigsten Spiel unserer Laufbahn gesprochen. Dieses Spiel findet leider nicht am grünen Rasen statt und ist eigentlich auch kein Spiel. Unsere ganze Gesellschaft befindet sich in einer sehr ernsten gesundheitspolitischen und wirtschaftspolitischen Lage, der wir alle gerecht werden müssen. Alle Beteiligten sollten sich im Sinne von 1860 solidarisch zeigen. Wir können niemanden zwingen, das ist uns klar. Wir können nur an die Vernunft und an die Solidarität des Einzelnen appellieren, kurzfristige, kleinere Einschnitte zur Sicherung des Überlebens anzunehmen. Mit unserem Modell wäre die Existenz Stand heute gesichert.

b24: Es ist zu hören, dass Spieler sich darüber ärgern, dass Hauptsponsor “Die Bayerische” den Pongracic-Bonus in Höhe einer Million Euro blockiert, aber sie selbst dafür auf Geld verzichten sollen…

Hier geht es nicht um eine Blockade, sondern um die Einhaltung von Verträgen und Sicherstellungen, die rechtlich notwendig sind. Aber gemeinsam versuchen wir auch in diesem Fall an einer Lösung zu arbeiten, die rechtskonform ist und 1860 voranbringt.

Gibt es bereits Sponsoren, die ihre Zahlungen zurückfordern oder zurückhalten? Wie hoch wäre der finanzielle Verlust für 1860, wenn jetzt die Drittliga-Saison abgebrochen würde?

Die Solidarität in der Löwenfamilie ist wie immer überragend auch in der jetzigen Situation. Dafür unser aller herzlichsten DANK. Nichts desto trotz haben wir für unterschiedliche Szenarien den momentan bezifferbaren Schaden errechnet. Alle Szenarien sind sehr schmerzhaft, doch der Abbruch der Meisterschaft wäre aus unsere Sicht der worst case mit der größten Schadenssumme.

db24: Eine Kapitalerhöhung könnte jetzt der Ausweg aus der finanziellen Misere sein: Woran hapert es? Gibt es doch nicht die großen Interessenten? Und ist dem TSV 1860 bewusst, dass man für den Einstieg eines dritten Gesellschafters  75 Prozent der Mitgliederversammlung braucht? Eine Mitgliederversammlung ist aufgrund der Corona-Krise kurzfristig nicht abzuhalten…

Eines muss aus meiner Sicht einem jeden klar sein, der Verantwortung für das Geschehen bei 1860 trägt, nämlich dass wir kurz-, mittel- und langfristige Lösungen unter Einbeziehung aller Kräfte brauchen, um diese schwere Situation möglichst unbeschadet zu überstehen und auch weiterhin die tolle Ausgangsposition, die wir uns in den letzten Monaten sportlich erarbeitet haben, nicht zu gefährden. Ich bin mir jedoch sicher, dass sich alle Beteiligten dieser großen Verantwortung bewusst sind und wir auch in dieser schweren Zeit gemeinsam Lösungen für den TSV 1860 München finden werden.

db24: Befürchten Sie, dass durch diese Corona-Krise das gute Klima bei 1860 innerhalb der Mannschaft leidet?

Das hoffe ich nicht, und wir arbeiten dagegen auch täglich an. Michael Köllner macht das auch sehr gut mit dem Trainerteam, er schreibt täglich Emails und kümmert sich um jeden Einzelnen, wir sprechen mit den Spielern, wir wollen ihnen auch vermitteln, dass es auf jeden ankommt. Wir wissen alle nicht, wann es weitergeht, aber wir wollen, dass es gemeinsam weitergeht. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir aus einer Serie von 14 ungeschlagenen Spielen kamen.

db24: Es laufen 17 Spielerverträge, darunter die der Leistungsträger Sascha Mölders, Efkan Bekiroglu, Timo Gebhart, Aaron Berzel und Tim Rieder, im Sommer aus: Müssen Sie durch die Corona-Krise die Kaderplanung von 1860 völlig neu justieren?

Aktuell ist ja noch nicht einmal abzusehen, welche Auswirkungen Corona auf den Spielbetrieb hat und wie lange wir noch pausieren müssen. Momentan liegt unser ganzer Fokus darauf, diese Saison mit dem finanziell geringsten Schaden für 1860 zu Ende zu bringen und unsere Chance beim Schopf zu packen, noch ganz vorne angreifen zu können. Wir sind in einem sehr positiven sportlichen Trend gestoppt worden, das tut natürlich doppelt weh, auch wenn es in dieser ernsten Lage keine Rolle spielen darf. Die Auswirkungen auf den Transfermarkt und die Kaderplanung sind ebenfalls noch nicht absehbar, dementsprechend müssen wir uns dieser dynamischen Situation anpassen. Vertragsverhandlungen sind jetzt leider erstmal ein nachgelagertes Thema. Es geht zunächst um das Überleben des Vereins - vielleicht sogar um das Überleben des deutschen Fußballs insgesamt. Da sind solche Themen, leider für die Jungs, die es betrifft, hinten angestellt. Aber auch das habe ich aus den Gesprächen mit der Mannschaft mitgenommen: Die Spieler wissen das und wissen auch, dass es nicht aus der Welt ist.

db24: Würzburgs Boss Daniel Sauer kritisiert den DFB scharf: Wie kam die Message bei Ihnen an, dass der DFB einen Salto rückwärts hingelegt hat und von finanzieller Unterstützung plötzlich nichts mehr wissen will?

Für mich ist Fakt, dass der Fußball in Deutschland, in der Form in der wir ihn alle lieben und schätzen, nur dann eine Chance auf Fortbestand hat, wenn nicht stetig Zuständigkeiten weitergeschoben werden und jeder in seinem Verantwortungsbereich konkrete Lösungen anbietet. Gerade die Rolle der 3. Liga als Ausbildungsliga für viele Talente aus den eigenen NLZs sollte dabei nicht unterschätzt werden. Deshalb erhoffen wir uns, nachdem die erste Ankündigung für finanzielle Hilfen verpufft ist, dass auch der DFB Lösungen gerade für die 3. Liga anbietet.

db24: Für den Fall, dass die Liga abgebrochen werde würde: Wie sollte man dann die Liga werten? Annullierung aller Ergebnisse - oder die Liga nach dem 27. Spieltag werten?

Ein Abbruch ist für 1860 keine Option. Wir müssen zu einem Modus kommen, wie die Meisterschaft zu Ende gespielt werden kann. Egal ob mit stetigen Englischen Wochen oder auch in Tunierform. Am Ende muss ein Modus gefunden werden, in dem die ausstehenden Spiele ausgetragen werden. Mit etwas gutem Willen ist das sicherlich umsetzbar. Bei einem Abbruch der Meisterschaft wäre für uns - neben dem Verlust einer möglicherweise historischen Aufstiegschance - auch der wirtschaftliche Schaden am größten.