VON OLIVER GRISS

Der Titel, den der “Münchner Merkur” in seiner Dienstagsausgabe gewählt hat, um die Unterschiede zwischen Unterhaching und 1860 zu erklären, war nicht überraschend: “Warum 1860 unter Haching steht.” Ein Wortspiel, klar, aber eines mit tiefgründiger Bedeutung, denn während die Konsolidierungs-Löwen weiterhin ohne klare sportliche Vision antreten (Hauptsache “Giesing, Oida!”), steht der Münchner Vorortklub auf Platz 1 der Dritten Liga. Zwar alles nur eine Momentaufnahme, aber doch irgendwie bezeichnend. Man könnte die Drittliga-Tabelle auch anders lesen: Die Löwen sind zum 186. Oktoberfest nur noch die Nummer 9 in Bayern. Äh, die Nummer 9…

Es gab Zeiten im deutschen Fußball, da waren die Löwen ein stolzer und mächtiger Verein, einer mit einer besonderen DNA, es zählte der sportliche Wettkampf. Längst ticken die Uhren in Giesing anders. Jetzt klopft sich ein Teil der Fanszene auf die Schulter, weil man glaubt, zu wissen, wie man Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik brüskieren kann. Die Fans bekommen immer mehr Macht im Millionen-Geschäft Fußball, der DFB sieht tatenlos zu und versteckt sich wie viele Vereinsmeier hinter der 50+1-Regel. Dazu wird Trainer Daniel Bierofka ganz offen über die e.V-Kanäle ins Schaufenster gestellt - obwohl die Vereinsspitze um den Homeboy-Präsidenten Robert Reisinger ganz genau weiß, dass der Ex-Nationalspieler einen langfristigen Vertrag bis ins Jahr 2022 an der Grünwalder Straße besitzt. Anstatt zu versuchen, eine Identifikationsfigur wie Bierofka so lange wie möglich an 1860 zu binden, spricht man offen über seinen Abschied. Und Reisingers Fanboys in den Internetforen machen Politik - gegen Bierofka. Das perfide Spiel funktioniert. Einer, der regelmäßig als Fahnenschwenker im Grünwalder Stadion agiert, schrieb letztens in eine Facebook-Gruppe: “Was trainieren die unter der Woche? Der Trainer muss weg.” Genau diese Menschen hatten vor mehr als einem Jahr Bierofka noch zugejubelt, als er den Klub mit dem Aufstieg in die Dritte Liga wiederbelebte. Das war eine Energieleistung. Nein, diese Mannschaft war nicht zum Aufstieg verpflichtet. Die Bayern-Amateure hatten deutlich mehr Qualität in ihren Reihen. Weil aber Bierofka eigenwillig ist und nicht die undurchsichtige e.V.-Klaviatur spielt (Pro1860 lässt grüßen), wird er plötzlich kritisch gesehen.

Der TSV 1860, der Klub der Verhinderer.

Dass in diesem schwierigen Umfeld bei 1860 sehr schwer zu arbeiten ist, dazu genügt ein kurzer Blick in die Geschichtsbücher. Nach dem Zwangsabstieg 1982 brauchte der Verein neun lange Jahre, um 1991 unter Karsten Wettberg in die Zweite Liga zurückzukehren. Dieses Mal könnte es noch länger dauern, wenn sich Verein und die beiden Gesellschafter weiter blockieren und behindern. Über 20 Spieler-Verträge laufen im Sommer aus. Die sportliche Perspektive fehlt. Das Motto: Hauptsache Party in Giesing. Das freut vor allem die Lokalbesitzer und die Flaschensammler rund ums Grünwalder.

Diese schwierige Situation macht auch die Münchner Presse müde und mürbe: Die Löwen werden bei Auswärtsspielen von Reportern kaum mehr begleitet - und auch die tägliche Berichterstattung von der Grünwalder Straße hat rapide abgenommen. Da hilft auch keine kuriose Youtube-Kopie der Netflix-Serie “Haus des Geldes”, um Werbung in eigener Sache zu betreiben. Was 1860 braucht, ist kein Marketing, sondern sportlicher Erfolg.