VON OLIVER GRISS

Es rumort beim TSV 1860. Dass Cheftrainer Daniel Bierofka nach dem 0:4 in Mannheim die Bosse wachrüttelte (db24 berichtete), wundert nicht. Der 40-Jährige hat das Gefühl, dass man sich an der Grünwalder Straße mit Stillstand zufrieden gibt. Bierofka ist nicht allein. Es gibt nicht wenige Mitglieder, die dem Verein ein Kündigungsschreiben geschickt haben. Auch Herbert Hagen, der ehemalige Kassenwart des e.V., hat’s getan. Und der 54-Jährige spart dabei nicht mit Kritik. Besonderheit: Seine “Abschiedsworte” verschickte der Löwen-Fan, der als Manager Accounting und Controlling im Bereich Corporate Finance im Siemens-Konzern arbeitet, nicht nur an die komplette Vereinsführung um Präsident Robert Reisinger, sondern auch an die Geschäftsführung und Trainer Daniel Bierofka. Hagen stellt auch db24 sein Schreiben zur Verfügung - seine Zeilen im Wortlaut:

Sehr geehrte Frau Grübel,

hiermit kündige ich folgerichtig meine Mitgliedschaft beim TSV München von 1860 e.V. zum nächstmöglichen Termin.

Nachfolgende Gründe haben mich hierzu bewogen:

- Zu meinem großen Bedauern hat sich der e.V. in eine (ideologische) Richtung entwickelt, die sich mit meinen Vorstellungen eines ausgleichenden, gerechten, zeitgemäßen und modernen Sportvereins nicht mehr vereinbaren lassen.

Cliquenwirtschaft sowie fortdauernde Feindseligkeiten gegenüber Mitgliedern und Fans, die eine differenziertere Meinung zu den Zusammenhängen haben, prägen unverändert das Bild. Wo Lagerdenken, Vorurteile und einzelne Fangruppierungen regieren, stehen beste Argumente und Ideen auf verlorenem Posten.

- Ich mache auch keinen Hehl daraus, dass ich mich mit Teilen der Verantwortlichen nicht mehr identifizieren kann. Funktionäre, die die Herzkammer des Klubs, den Profi-Fußball, nicht angemessen fördern und täglich unterstützen und im Regen stehen lassen, ja mitunter sogar mit Randsportarten des e.V. gleichsetzen wollen, sind fehl am Platz und werden ihrer großen Verantwortung dem Team, den Angestellten, den Mitgliedern sowie den unzähligen Löwenfans gegenüber nicht gerecht.

Ich empfehle den aktuell Verantwortlichen diesbezüglich einen Blick nach Unterhaching zu werfen, wo ein aufopferungsvoll und leidenschaftlich kämpfender Präsident täglich sehr eindrucksvoll vorlebt, wie man einen Klub professionell führt und kontinuierlich weiterentwickelt. Mit Neid blicken immer mehr Löwenfans in die Vorstadt, in der ein Manfred Schwabl auf seine sympathische und bodenständige Art und Weise zusammen mit Trainer Claus Schromm, dem Team und dem gesamten Umfeld täglich an einem Strang zieht, neue Ziele setzt und konsequent anstrebt und so dem Gesamtverein eine Perspektive gibt. Hiervon konnte ich mich jüngst persönlich überzeugen.

- Dies führt unweigerlich zum nächsten Argument, das zu meiner Kündigung führt:

Ich will nicht länger einen Präsidenten unterstützen, der unseren Cheftrainer Daniel Bierofka (und dessen Team) nicht professionell und ausreichend unterstützt. Diese unbefriedigende Konstellation bei den Löwen dürfte im gesamten Profibereich einzigartig sein. Maßregelnde Vorgaben (man müsse „kreativ“ sein) über die Medien sind diesbezüglich weder zielführend noch zeugen diese vom nötigen Fingerspitzengefühl. Ein Cheftrainer und Geschäftsführer Sport brauchen insbesondere in schlechten Zeiten wie diesen die bedingungslose Rückendeckung des Präsidiums. Öffentliche Nadelstiche wie auch unberechtigte Kritik „hintenrum“ schaden nicht nur dem Verein, sondern auch dem Ansehen eines vorbildlichen Trainers. Auch in diesem Punkt kann das Präsidium des e.V. noch sehr viel von Manfred Schwabl oder auch anderen Präsidenten im Profibereich (Heidenheim, Kiel, etc.) lernen.

Die Kritik wird deutlicher: Sind Sie vom Kurs des e.V. noch überzeugt?

Umfrage endete am 24.08.2019 10:00 Uhr
Nein, der Kurs wird nicht erfolgreich sein!
80% (10450)
Ja, absolut! Grünwalder! Abgrenzung von Ismaik! Wir sind unter uns!
16% (2047)
Ich schwanke noch.
4% (553)

Teilnehmer: 13050

- Vermutlich tragen auch die Strukturen oder eine eigennützige (Pro1860-)Satzung zu diesen fatalen Missständen und der gefühlten Perspektivlosigkeit bei. Aber wenn dem so ist, muss man dieses Problem angehen und nicht aussitzen, sprich diese ändern, genauso wie den Geschäftsführungsvertrag bzw. Servicevertrag mit der KGaA. Dies hatte ich vor zwei Jahren in meiner Funktion als Kassenprüfer vergeblich vorgeschlagen. In seiner Rolle als Verwaltungsrat entgegnete mir damals unser aktueller Präsident, dass dieser bereits „optimiert“ sei. Ich habe mich sehr gefreut, als ich kürzlich lesen durfte, dass Herr Reisinger den Vertrag mit der KGaA nun doch überarbeiten will.

- Erlauben Sie mir noch zwei letzte Anmerkungen: Das Motto „VEREINen statt spalten“ auf dem Papier mutiert zum Rohrkrepierer, wenn man dieses nicht täglich lebt. Letzteres vermisse ich derzeit … und
unser Geschäftsmodell funktioniert in der aktuellen Ausprägung nicht, da es dem Profi-Fußball die Luft zum Atmen und jegliche Perspektive raubt. Wenn nicht sehr bald ein Umdenken im e.V. stattfindet, wird der TSV 1860 München kurz- bis mittelfristig nurmehr die Nummer 5 in München und Umland sein, hinter den beiden ambitionierten Mannschaften aus der Säbener Straße, der SpVgg Unterhaching und TG München. Alles Klubs, in denen alle Verantwortlichen an einem Strang ziehen und ein gemeinsames Ziel verfolgen, statt in regelmäßigen Abständen interne Grabenkämpfe zu pflegen und auszutragen.

Ich wünsche dem Verein für seine Zukunft alles erdenklich Gute und zu guter letzt Verantwortungsträger, die ihrer großen Verantwortung gerecht werden und Herrn Bierofka tatkräftig und bedingungslos unterstützen und ihm den Rücken stärken. Denn nur dann wird das Team eine Chance haben, die Klasse zu halten …