VON OLIVER GRISS, ULI WAGNER UND BERND FEIL (FOTO)

Das “Wunder von Meppen” ist ganz eng mit dem Namen Peter Pacult verbunden. Der heute 59-jährige Ex-Stürmer des TSV 1860 erzielte am 11. Juni 1994 das 1:0-Siegtor im Emsland. Der Durchmarsch von der Bayernliga in die Bundesliga war perfekt. Später wurde Pacult auch noch Bundesliga-Trainer bei den Löwen. Er ist eine lebende Legende beim TSV 1860. Das exklusive und absolut lesenswerte Pacult-Interview mit db24:

dieblaue24: Heute jährt sich das “Wunder von Meppen” in der bewegten Vereinsgeschichte des TSV 1860 zum 25mal: Herr Pacult, was geht Ihnen bei dieser Zeitreise durch den Kopf?

PETER PACULT (59): Als wenn es gestern gewesen wäre: Der Aufstieg in Meppen hat einen festen Platz in meinem Leben. Erstens, weil der TSV 1860 ein ganz besonderer Verein in Deutschland ist, und zweitens, weil ich kurz vor meinem 34. Geburtstag zu 1860 gewechselt bin. Der Verein hatte mir es aber schon vorher angetan, schon allein wegen Max Merkel, der ja - wie ich - ein Österreicher war…

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Ihr Wechsel 1993 zu den Löwen stand ja zunächst auf wackligen Beinen…

Richtig. Karl-Heinz Wildmoser wollte eigentlich “Toni” Sailer verpflichten, weil dieser jünger und schneller war. Doch Werner Lorant hatte sich am Ende durchgesetzt. Das war ja nicht die schlechteste Entscheidung (lacht). Dafür bin ich dem Werner ewig dankbar. Die Zeit bei 1860 gehört zu den schönsten Phasen meiner Karriere - und ich bin mit Rapid Wien im Europacup-Finale 1985 gegen den FC Everton (1:3, d. Red.) gestanden…

Erinnern Sie sich noch an Ihr Aufstiegstor zum 1:0 in Meppen?

Das Tor kann ich auch 25 Jahre danach noch im Schlaf erklären: Niels Schlotterbeck machte den Einwurf in der gegnerischen Hälfte - unser Libero! Total untypisch, aber einfach geil. Ich habe den Ball verteidigt, dann Bernd Winkler angespielt und der spielt den Ball sofort wieder zurück. Ich stehe allein vor dem Torwart und schiebe den Ball zum 1:0 ins lange Eck. Ich werde oft von Fans darauf angesprochen. Winkler & ich haben zusammen 37 Tore erzielt, die Presse feierte uns seinerzeit als gefährlichstes Sturmduo der 1. und 2. Liga. Wir haben wirklich sehr gut harmoniert, uns blind verstanden.

Werner Lorant war der Aufstiegstrainer…

Über den Werner muss man nicht viel sagen. Er war ein erfolgsbesessener Trainer, der zur richtigen Zeit am richtigen Fleck war. Werner hatte den Verein sportlich im Griff, Karl-Heinz Wildmoser finanziell. Der Erfolg hat die beiden Jahr für Jahr zusammengeschweißt. Wir als Mannschaft sind immer zum Werner gestanden, auch als er uns nach fünf Niederlagen am Stück seinen Rücktritt angeboten hat. Wir als Mannschaft haben abgelehnt und gesagt: “Nein, Trainer: Wir ziehen das gemeinsam durch.” Und Lorant hatte später auch gespürt, dass er die Mannschaft verstärken muss. Dass ich nicht mehr so konnte, wie ich wollte. Dann hat er Olaf Bodden, Peter Nowak und Miki Stevic verpflichtet. Das waren nicht die schlechtesten Transfers…

Wie lange haben Sie den Bundesliga-Aufstieg damals gefeiert?

(lacht): Für mich war das eine alkoholfreie Feier. Ich war nach dem Aufstieg einfach nur glücklich und leer. Wir sind nach der Landung aus Osnabrück in Wildmosers Bierkeller. Meine Frau war extra aus Wien angereist. Wir sind zwar lange geblieben, aber die Rolle als Partytiger haben andere übernommen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt als Profi ja schon einiges erlebt: Europacup-Finale mit Rapid Wien, Österreichischer Meister, Pokalsieger…

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Wie sehen Sie 1860 heute?

(überlegt): Ich verfolge 1860 jede Woche. Es gibt ja auch in Wien das Bayerische Fernsehen. Die Grabenkämpfe sind das Schlimme. Was mir am meisten Angst bereitet: Die Grünwalder Stadion-Fraktion ist noch immer aktiv. Sie hat schon zu meiner Zeit immer für Ärger gesorgt, Präsident Wildmoser wurde immer attackiert. Damals war diese Bewegung klein, jetzt hat sie das Sagen bei 1860. Bei denen ist die Zeit stehengeblieben. Ich frage mich ernsthaft: Warum haben die normalen Fans bei 1860 es zugelassen, dass solche Stadion-Aktivisten an die Macht kommen?

Ich kann nur appellieren: Geht bitte zur Mitgliederversammlung!

Sie scheinen gut im Thema zu sein…

Naja, sagen wir so: Mich hat es schon damals tierisch genervt, als ich noch Spieler war, dass diesen Menschen das Stadion wichtiger war als der Sport. Mit dem Grünwalder Stadion wird 1860 nie Geld verdienen können. Nicht mit 15.000 Fans, und auch nicht mit 20.000 Zuschauer. Das ist der Untergang für 1860, aber das scheint diesen Leuten Wurst zu sein. Diese Denkweise macht mir Angst! Sie boykottieren alles. Damals war das eine Minderheit, jetzt bestimmen sie den Verein, besetzen alle wichtigen Positionen in der Schaltzentrale - da stimmt doch was nicht. Ich kann nur an die Mitglieder appellieren: Geht bitte zu dieser Mitgliederversammlung und handelt im Interesse von 1860!

Es wird zudem ein Konfrontationskurs gegen Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik gefahren…

Man kann über Ismaik sagen, was man will. Aber er hat 1860 im Jahr 2011 gerettet. Vor der Insolvenz. Und er hat selbst nach dem Zwangsabstieg wieder Geld gegeben - das vergessen viele. Auch die Bayern werden immer wieder von sogenannten Fans beleidigt, dabei hat Uli Hoeneß die Löwen 2006 nicht absaufen lassen. Ich kann nicht Menschen beleidigen, die einem helfen. Leider ist das bei 1860 inzwischen die Regel. Natürlich hat auch Ismaik Fehler gemacht, keine Frage. Aber das war sein Geld. Ich hoffe sehr, dass sich Ismaik nicht vertreiben lässt und im Kopf stark bleibt. Was mich auch sehr betroffen gemacht hat, dass Bernhard Winkler, der soviele Verdienste in diesem Verein hat, beleidigt und beschimpft wird. Die echten Löwen-Fans dürfen nicht zulassen, dass der Verein unterwandert wird. Sie dürfen nicht nur im Internet oder am Biertisch kritisieren, sondern müssen jetzt zur Wahl gehen und das völlig egal, ob sie 100, 200 oder 300 Kilometer von München entfernt wohnen. Sie haben die Zukunft von 1860 in der Hand.

Unter Präsident Robert Reisinger hat der Verein den Konsolidierungskurs eingeschlagen.

Mich wundert, dass man kurz vor der Winterpause plötzlich den Konsolidierungskurs ausruft. Das macht keinen Sinn! Meines Wissens hat 1860 in der Regionalliga und jetzt auch in der Dritten Liga ein Minus in Millionenhöhe gemacht - unter dem aktuellen Präsidium. Um Ruhe zu haben, sprechen sie ab und zu vom Aufstieg. Dass aber ein Aufstieg Geld kostet, sagen sie nicht. Den Fans wird nicht die Wahrheit gesagt. Was ich mich frage: Wie will 1860 die Schulden abbauen? Darauf gibt es bis heute keine Antwort.

Ich kenne keinen Spieler, der freiwillig zu einem Abstiegskandidaten wechselt

Ausbaden muss die Geschichte Trainer Daniel Bierofka.

Genau. Wie soll Daniel gute Spieler bekommen, wenn der Verein den Klassenerhalt zum Ziel ausgibt? Wie soll das funktionieren? Ich kenne keinen Spieler, der freiwillig zu einem Abstiegskandidaten wechselt. Natürlich ist 1860 ein attraktiver Name, aber ein Klub wie 1860 muss in der Dritten Liga immer zu den Aufstiegskandidaten gehören. Mir tut Daniel leid, denn am Ende wird er dafür verantwortlich gemacht. Es ist schade, dass er noch keinen einzigen Neuzugang bekommen hat. Was ich auch bedenklich finde, ist, dass der Präsident und der Trainer nicht miteinander sprechen. Das ist für beide Seiten ungut und färbt auf den ganzen Verein ab.

Dass 1860 sich keinen Schritt nach vorne bewegt, schieben die Kritiker immer noch auf Ex-Präsident Karl-Heinz Wildmoser.

Ist das jetzt ein Scherz? Wildmoser ist seit 15 Jahren weg von 1860. Wissen Sie, was man in 15 Jahren alles bewegen kann?

Natürlich.

Es war genug Zeit, etwas Gutes zu entwickeln. Aber es wurden jedes Jahr kapitale Fehler begangen. Wenn ich nur an die spanischen Spieler denke. Denen konnte man beim Sprinten die Schuhe binden. Nie verstanden habe ich auch, dass Miki Stevic abgeschossen wurde. Das war ein Riesenfehler. Er kannte Sechzig gut, hatte gute Spieler verpflichtet - wie Gabor Kiraly. Auch die Verpflichtung von Vitor Pereira war im nachhinein ein Fehler. Bei 1860 kannst du nicht Englisch als Amtssprache einführen oder das Training abriegeln. In dieser Hinsicht war Ismaik schlecht beraten, aber dass er nicht auf Erfolg aus war, das kann ihm keiner vorwerfen. Pereira war bei fast all seinen Vereinen Meister.

Sie sind aktuell Trainer beim OFK Titograd in Montenegro - wie kam’s dazu?

Ich habe das Ziel erreicht. Wir haben uns mit OFK Titograd für die erste Qualirunde der Euro League qualifiziert. Aktuell weiß ich nicht, ob es für mich weitergeht oder vorbei ist. Es geht um finanzielle Probleme. In Montenegro herrschen andere Gesetze. Leider ist es heutzutage im Fußball so, dass du als Trainer nicht mehr die Richtung beeinflussen kannst - da muss man nur zu Bundesliga-Aufsteiger Köln schauen. Drei Spieltage vor Saisonende musste Markus Anfang gehen…