VON OLIVER GRISS

Im normalen Leben kümmert sich Matthias Braumandl als Staatsanwalt in München um Sexual- und Kapitaldelikte - jetzt will der 41-Jährige, der seit 1. Juli 2017 Mitglied ist, in den Verwaltungsrat des TSV 1860. Das dieblaue24-Interview:

dieblaue24: Einen Staatsanwalt hatte der TSV 1860 noch nie - Herr Braumandl, wie kommt’s, dass Sie für den Verwaltungsrat kandidieren?

MATTHIAS BRAUMANDL (41): Ich bin seit mehr als 25 Jahren Fan, ärgere mich aber seit mindestens 15 Jahren über Außendarstellung und Führungsentscheidungen. Der Verkauf der Arenaanteile für 11 Millionen - also ein Jahresgehalt eines Bayernspielers - war desaströs und der darauf folgende Rechtsstreit wegen der Kosten für die Businessseats bezüglich der Verpflegung war völlig aussichtslos und wieder nur rausgeworfenes Geld. Die Liste lässt sich beliebig verlängern. Und nach dem „schwarzen Freitag“ habe ich mir gedacht, dass ich lieber selbst mitmachen will, anstatt immer nur ohnmächtig zu schimpfen.

Schrecken die letzten Jahre nicht ab? Kaum hat man ein Amt bei den Löwen inne, steht man nicht selten im Kreuzfeuer der Kritik…

Doch, schrecken sehr ab. Ich habe einen befreundeten und maximalblauen Richter gefragt, ob er nicht auch kandidieren mag. Seine Antwort war: „Wenn ich jemals auf diese Idee kommen sollte, dann sperr mich ein. Egal wegen was.“ Aber es hilft ja nix…

Besonders schlimm ist das Lagerdenken seit dem Zwangsabstieg 2017 - in dieser Schärfe wurde sich noch nie untereinander gezankt. Die Mitgliederversammlung 2017 war ein abschreckendes Beispiel. Warum ist das so - und wie könnten sich die beiden Seiten wieder annähern?

Das Lagerdenken gibt es seit der Grünwalder/Oly-Debatte in den 90ern und es wird tatsächlich immer schlimmer. Beleidigungen und Respektlosigkeiten unter Löwenfans sind verheerend und unwürdig. Es würde helfen, miteinander sachlich zu reden. Ehrlicherweise habe ich aber zumindest derzeit keine Ahnung, wie das funktionieren soll.

Immer wieder wird von Vereinsseite der Unterschied zwischen e.V. und KGaA hervorgehoben - ist dies nicht kontraproduktiv für das allgemeine Befinden?

Naja, rechtlich und faktisch ist das richtig. Für mein Befinden zumindest ist das aber tatsächlich kontraproduktiv, da es letztlich doch einfach nur um den TSV 1860 geht.

Mit welchem Know-how können Sie den Löwen helfen?

Ich bin Jurist. Ich kann Satzungen, Gesetze und Verträge lesen. Kenne mich mit gerichts- und behördeninternen Abläufen aus. Ansonsten habe ich keine Sponsoren an der Hand, kann kein Stadion bauen und auch keine “Türen öffnen“.

Erklären Sie mal, was Sie gegenüber Ihren 30 Mitbewerbern abhebt, auf jeden Fall einen Platz im neunköpfigen Verwaltungsrat bekommen zu müssen?

Nichts. Die meisten anderen Kandidaten sind wie ich echte Fans, sicher kompetent, seriös und wollen das Gleiche wie ich. Einen erfolgreichen und wirtschaftlich soliden Verein.

Ismaik? Halte einen Konfrontationskurs für nicht zielführend!

Würden Sie gewählt werden, welchen Kurs würden Sie im Umgang mit Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik befürworten: Konfrontationskurs oder ein Miteinander auf Augenhöhe?

Der Mitgesellschafter ist ein Fakt, der sich – egal ob man das möchte oder nicht - nicht wegdenken oder wegwünschen lässt. Er ist offensichtlich gekommen, um zu bleiben. Deshalb halte ich einen Konfrontationskurs nicht für zielführend. Ob ein Miteinander auf Augenhöhe möglich ist, kann ich leider aufgrund fehlender eigener Erfahrungen nicht wirklich beurteilen.

Sie haben sich zuletzt bereits geoutet und gesagt, dass Sie Präsident Robert Reisinger - Stand heute - wieder wählen würden. Verraten Sie uns, warum?

Konkret war die Frage, ob ich Reisinger oder Cassalette wählen würde. Herr Cassalette ist für mich mit der unsäglichen Saison 16/17 verbunden und den damals getroffenen verheerenden Entscheidungen.

Schreckt es Sie nicht ab, dass der oberste Repräsentant des Klubs bei der Aufstiegsparty einen Gläubiger mit den Worten “Scheiß FC Bayern” beleidigt?

Man sollte Äußerungen im emotionalen oder anderweitigen Rausch grundsätzlich nicht übermäßig aufblähen. Von all den Fehlern in der Vereinsführung in den letzten 15 Jahren handelt es sich bei dem Spruch sicherlich um das kleinste Problem.

Wundern Sie sich nicht, warum sich bislang noch kein großer Löwe positiv über den Reisinger-Kurs geäußert hat?

Wahrhaft große Löwen helfen ihrem Verein vielleicht gerade dadurch, sich nicht zu äußern. Teil der hiesigen Diskussionskultur ist ja bekanntlich, dass jede Äußerung potentiell zur Steinigung durch die Hälfte der Anhängerschaft führt.

Verraten Sie uns mal, warum Sie vom FC Bayern zum TSV 1860 übergesiedelt sind - und wer für Sie der typische Sechziger ist?

Ich komme aus einer fußballfernen Familie und bin in den 80ern zum Fußball gekommen. Die 60er waren in dieser Zeit in meiner Wahrnehmung nicht existent, zumindest kamen sie in der Sportschau nicht vor und daher bin ich ins Olympiastadion zum FC Bayern und fand Jean-Marie Pfaff toll. Ich bin mit 14 Jahren dann 1991 zum Aufstiegsspiel gegen Neunkirchen aus reiner Neugier mit meinem besten Spezl ins Grünwalder und habe nie gekannte und nicht vorstellbare Emotionen und tiefste Hingabe für den Verein erlebt. Danach sind wir beide nie wieder zu den Roten.

Der TSV 1860 ist seit Jahrzehnten chronisch klamm: Welchen Masterplan haben Sie, damit die KGaA eigenständig überleben kann?

Die Aufgabe des Verwaltungsrats ist primär die Kontrolle des Präsidiums. Für Masterpläne wäre ich nicht zuständig (Beamtenmentalität, ja mei) und abgesehen davon habe ich auch keinen.

Im Grünwalder Stadion ist der Löwe stark limitiert: Mit nur 15.000 Plätzen und kaum Vermarktungsmöglichkeiten wird 1860 wohl nur selten schwarze Zahlen schreiben können. Wie sehen Sie dieses offensichtliche Handicap?

Ich träume vom Umbau. Dass das Grünwalder Stadion in der derzeitigen Form nicht zukunftsfähig ist, ist ja auch den größten Traditionalisten klar. Aber: In anderen Metropolen stehen Stadien mitten in Wohngebieten. München leistet sich 16 Tage im Jahr einen Ausnahmezustand mit Millionen von schwerst alkoholisierten Wiesnbesuchern. Die Wiesnauswirkungen auf die Parkplatzlage waren sogar an meinem früheren Wohnort in Sendling überdeutlich wahrnehmbar. Als Amtsrichter bin ich regelmäßig daran gescheitert, bis zum Wiesnbeginn alle Delikte der Vorjahreswiesn wegverhandelt zu haben. Dann verstehe ich nicht, warum die Organisation einiger Risikospiele - und lass es 5000 Rostocker sein - aus Sicherheitsaspekten oder Parkplatzgründen nicht möglich sein soll. Letztlich ist es eine Frage des politischen Wollens. Die rechtlichen Rahmenvoraussetzungen sind meines Erachtens herstellbar.

Das “Team Profifußball” fordert von der Stadt bis Jahresende eine verbindliche Aussage bezüglich der Stadion-Thematik rund ums Grünwalder. Schlau oder vermessen?

Weder noch. Fordern kann man immer und es kostet nichts. Ich halte es nur für ausgeschlossen, dass markige Ansagen etwas bringen.

Wie stehen Sie der 50+1-Regel gegenüber - und wie bewerten sie den Kommerz im Fußball im allgemeinen?

50+1 ist ein positives Alleinstellungsmerkmal. Ich will keine englischen Verhältnisse. Fußball ist Massenunterhaltung und deshalb natürlich ohne gewissen Kommerz unvorstellbar. Trotzdem hat der Kommerz gerade zur völligen Ödnis in der Bundesliga und der Champions League geführt. Die weitgehende Kommerzfreiheit der letzten Saison war aber meines Erachtens auch ein Grund, warum viele Rote mehr oder weniger neidvoll zu uns geschaut haben. Weil es um Fußball ging. Und das reicht.

Was ist Ihnen lieber: 1860 als sympathischer Stadtteilverein oder erfolgreicher Erstligist?

Sympathischer Stadtteilverein in der ersten Liga. Ich sehe den Widerspruch nicht. Ich will kein Hoffenheim sein und kein FC Giesing. Aber ein erfolgreicher Verein mit einer klar erkennbaren Identität und spürbaren Wurzeln und kein gesichtsloser Pseudoclub. Und die Wurzeln und die Identität führen halt nach Giesing. Und die unglaubliche Welle der letzten Saison war gerade das Zusammenspiel zwischen dem Erfolg der Mannschaft, der Atmosphäre im Grünwalder und dem Ambiente im Stadionumfeld. Diese drei Faktoren zusammen machen uns unverwechselbar und das ist meines Erachtens auch ein nicht zu vernachlässigender auch wirtschaftlicher Aspekt.

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