VON OLIVER GRISS

Noch heute weiß ich ganz genau, wo ich diesen ultimativen 8. Juli 1990 verbracht habe (die Löwen hatten kurz zuvor mal wieder die Aufstiegsrunde in die Zweite Liga verpasst): In der Münchner Leopoldstraße bei hochsommerlichen Temperaturen. Die Leo war damals noch ein echter Hotspot in München. Ich habe mit anderen zehntausenden Fußball-Fans auf der Partymeile rund ums Siegestor gefeiert - mit Deutschland-Fahne.

Dazu muss man wissen: Das Fußballerlebnis war früher nicht mit heute zu vergleichen. Der Fußball gehörte allen Fans, nicht nur den Lauten und Aggressiven. Da war nichts groß organisiert. Die Kneipen waren zwar voll, das schon - aber “König Fußball” war wenige Monate nach dem innerdeutschen Mauerfall noch nicht hip genug. Dieser Fußball war anders. Und trotzdem werde ich diese Weltmeisterschaft nie vergessen: Sie war unbeschreiblich schön, emotional und leidenschaftlich. Und Andi Brehme hat die WM mit seinem 1:0-Siegtor im Finale gegen Argentinien vergoldet. Wenn ich heute noch die Sequenzen von Gerd Rubenbauers WM-Final-Reportage sehe und insbesondere die 85. Minute, als Brehme eiskalt links unten verwandelt hat, wird mir warm ums Herz und die Nostalgie bricht in mir aus. Brehme hatte einen Moment für die Ewigkeit geschaffen.

Jetzt ist Andi Brehme tot. Im Alter von nur 63 Jahren ist nach Franz Beckenbauer ein weiterer deutscher Fußball-Held viel zu früh gegangen. Herzversagen! Er war ein ganz großer Fußballer in unserem Land: Er konnte mit dem linken Fuß genauso geschickt umgehen wie mit dem rechten. Er war ein Kämpfer, aber auch ein Stratege mit einer beeindruckenden Spielintelligenz. Er hat das Fußballspiel auf der Straße gelernt. Er war aber auch ein Teamplayer. Er brauchte nicht den Helden-Status. Auch bis zu seinem Tod nicht.

Anfang 1999 bin ich aus dem Chiemgau nach München zurückgekehrt - nach vielen Jahren beim Trostberger Tagblatt mit einem abgeschlossenen Volontariat bekam ich die Chance in der Sportredaktion bei der Münchner Abendzeitung. Seinerzeit war die “AZ” noch eine der besten deutschen Boulevardblätter. Eine große Ehre, seinen Kindheitstraum endlich leben zu dürfen. Mein Schwerpunkt war natürlich 1860, aber dann sagte Franz-Hellmuth Urban, damals Sportchef in der Sendlinger Straße 10 und eine echte Respektsperson, eines Tages zu mir: “Rufen Sie den Brehme an!”

Um welches Thema es damals ging, weiß ich heute leider nicht mehr. Ich dachte mir nur: “Wow! Ich darf mit dem großen Brehme ein Interview führen, Matthäus und Brehme - das sind die Helden meiner Jugend.” Ich bekam Brehmes Handynummer von einem Kollegen überreicht (damals brauchte es noch keine wichtigen Berater) - und los ging’s. Drei- oder viermal klingelte es, dann nahm er ab. Brave Vorstellung am Telefon - und schon war man drin im Gespräch. Nein, Brehme war kein großartiger Rhetoriker wie Uli Hoeneß, Reiner Calmund oder Christian Ude, aber er ist deutsche Fußball-Geschichte und seine Aussagen hatten damals Gewicht. Vor solchen Typen habe ich allergrößten Respekt. Umso schöner war es, dass ich beim Sommermärchen 2006 seine WM-Kolumne bei der AZ u.a. betreuen durfte. Sie hatte den Titel “Ich sach mal” - weil Brehme eigentlich jedes Gespräch mit genau diesem Zitat begonnen hat.

Servus, Andi Brehme! Mach’s gut!