VON LEOPOLD HELDT UND ULI WAGNER (FOTO)

Mit dem bedeutungslosen Saisonfinale bei den bereits abgestiegenen Zwickauern (Samstag, 13.30 Uhr, db24-Ticker) geht eine weitere glücklose Spielzeit der Löwen zu Ende… 
 
Beim Auswärtsspiel in Sachsen hat Trainer Maurizio Jacobacci sein 14. Spiel für Münchens große Liebe an der Seitenlinie. Zeit für uns Bilanz zu ziehen, was sich seit seiner Amtsübernahme im Vergleich zu den vorherigen Trainern Michael Köllner beziehungsweise Günther Gorenzel, an der Grünwalderstraße 114 getan hat. Jacobacci, der 2001 und 2003 als Co-Trainer mit Grasshoppers Zürich die Schweizer Meisterschaft gewann, fuhr bislang bei 1860 sechs Siege, drei Unentschieden ein und kassierte vier Niederlagen. Macht einen Punkteschnitt von 1,62 Punkte pro Spiel. Kein schlechter Wert, denn damit kommt Sechzig seither auf durchschnittlich 15,8 Prozent mehr Punkte pro Partie. Für ganz oben reicht das aber auch nicht.
 
Die neue Heimstärke:
 
Dabei half ihm vor allem die Atmosphäre des Grünwalder Stadions. So gewann das Team um den scheidenden Kapitän Stefan Lex zuletzt vier Heimspiele hintereinander. Dieses Kunststück gelang zuletzt Michael Köllner am Anfang der Saison. Seit Jacobaccis Amtsantritt konnten daheim 1,64 Prozent mehr Punkte eingefahren werden als zuvor in dieser Spielzeit. Allerdings müssen sich die Fans auch mit weniger geschossenen Toren abfinden. Mit Jacobacci an der Seitenlinie erzielten die Sechzger auf Giesings Höhen in der Saison 2022/23 elf Tore, im Schnitt 1,57 pro Spiel und damit ganze 21,5 Prozent weniger als unter Vorgänger Köllner.  Dass im Gegenzug zwar 1,7 Prozent weniger Tore kassiert wurden, ist dabei ein schwacher Trost.  Trotzdem hatten es gerade Topteams zuletzt schwer in München zu bestehen, was bei den Heimsiegen gegen Osnabrück (3:0) und Freiburg II (1:0) eindrucksvoll demonstriert wurde.


 
Auswärts stabilisiert:
 
Vor der Installierung Jacobaccis tat sich 1860 vor allem auswärts schwer und konnte gerade einmal 1,08 Punkte pro Spiel in der Fremde einfahren. Hier konnte Jacobacci, der als Spieler 1987 Schweizer Meister geworden ist, ansetzen und diesen Wert leicht auf durchschnittlich 1,16 Punkte anheben. Beachtet man dabei nur die sechs Auswärtsspiele, die der TSV unter Jacobacci bestritt, steigern sich die 1,08 Punkte um 23,15 Prozent auf 1,33 Punkte pro Spiel. Obwohl die Offensive daheim seltener stach, traf sie auswärts umso öfter. 43,9 Prozent mehr Tore, also zehn Treffer in sechs Spielen gegen zuvor 14 Treffer in 12 Spielen, lassen sich durchaus sehen. Auch die Defensive zeigte sich leicht verbessert und die Löwenkeeper mussten 5 Prozent weniger hinter sich greifen. 
 
Sechzig München wieder in der Spur:
 
Der TSV 1860 trat, so viel lässt sich aus Zuschauerperspektive sagen, zuletzt deutlich selbstbewusster auf, als noch im Zeitraum zwischen Oktober 2022 und Februar 2023. Das lässt sich wahrscheinlich auf die letzten positiven Ergebnisse zurückführen. Betrachtet man die Drittliga-Tabelle nur im Zeitraum, seitdem der Italiener auf der Trainerbank sitzt, so liegt der Löwe auf Platz acht. Abgesehen von Dynamo Dresden, Saarbrücken, Wiesbaden, Freiburg II und dem VfL Osnabrück, die allesamt am 38. Spieltag(mit Ausnahme von Freiburg II natürlich) noch um einen Platz in der Zweiten Bundesliga kämpfen, hat nur Viktoria Köln mehr Punkte gesammelt. Dortmund II sammelte in diesem Zeitraum genauso viele Zähler wie 1860.
 
So sah es vorher aus:
 
Als Michael Köllner Ende Januar an der Grünwalder Straße 114 seine Koffer packen musste, rangierte der TSV 1860 auf Platz sechs, mit nur drei Punkten Rückstand auf Relegationsplatz drei. Vier Wochen später, als Maurizio Jacobacci dann vor dem 25. Spieltag von Interimstrainer Günther Gorenzel übernahm, war Sechzig nur noch auf Platz acht. Mit bereits neun Punkten Rückstand auf Rang 3! Unter Köllner konnte man noch 1,65 Punkte pro Spiel sammeln, während es unter Gorenzel nur zwei Punkte aus vier Spielen gab - 0,5 Zähler pro Partie.

In den meisten Spielen unter Köllner trat das Team im 4-1-4-1-System an. Seine Lieblingself bestand dabei aus: Marco Hiller (20 von 20 möglichen Einsätzen), Jesper Verlaat (20/20), Leandro Morgalla (17/20), Phillipp Steinhart (12/20), Christopher Lannert (18/20), Tim Rieder (18/20), Martin Kobylanski (18/20), Albion Vrenezi (20/20) Yannick Deichmann (18/20) und Fynn Lakenmacher (20/20).
 
Heimbilanz vor Jacobacci:
  
Zu diesem Zeitpunkt waren zwölf Heimspiele absolviert und 1860 rangierte auf Platz sechs in der Heimtabelle. Diesen belegen die Löwen am 37. Spieltag immer noch, können aber am letzten Spieltag noch von Saarbrücken und Dresden überholt werden. 

Mit sieben Siegen, vier Niederlagen und einem Remis, gab es durchschnittlich 1,83 Punkte pro Spiel. Bei einer hohen Pressinglinie und ebenso einer hohen Defensivlinie standen nach Spielende im Schnitt zwei Treffer und 1,17 Gegentore auf der altehrwürdigen Anzeigetafel des Grünwalder Stadions.

Auswärtsbilanz vor Jacobacci:
 
In zwölf Auswärtspartien hatte 1860 gerade einmal 13 Punkte geholt. Kein Wunder bei nur 14 erzielten Toren und durchschnittlich 1,57 Gegentreffern pro Spiel. Zu einfach kassierte man auswärts Gegentore und wurde oft auf dem falschen Fuß erwischt - zum Beispiel bei der 1:4-Klatsche in Elversberg. Die hohe Pressinglinie, die Trainer Köllner auswärts wählte, wurde meistens zu einfach überspielt und eine schlechte Zuteilung - bestes Beispiel hierfür der 16. Spieltag bei Freiburg II - erschwerten es, konsequent früh zu stören. In der Auswärtstabelle ging es tabellarisch unter Jacobacci nach oben. Dort belegen die Löwen aktuell Platz 10.
 
Defensiver Ansatz der Schlüssel zum Erfolg:
 
Bevor Jacobacci das Zepter bei den Löwen in die Hand nahm, war es kein Geheimnis, dass man unter seiner Führung kein Offensivspektakel erwarten darf. Bei seiner wohl erfolgreichsten Trainerstation, dem FC Lugano, mit dem er sich sogar direkt für die Europa League qualifizieren konnte, allerdings mit nur drei Punkten in der Gruppenphase scheiterte, hatte sein Team die zweitschwächste Offensive, aber auch die zweitbeste Defensive der Schweizer Super League!
 
Betrachtet man alle seine 15 bisherigen Trainerstationen, so kassierten seine Teams durchschnittlich 1,48 Gegentore pro Spiel, bei 1,62 erzielten Treffern. Allerdings schoss in Tunesien, bei seinem letzten Intermezzo, bevor er an die Grünwalderstraße kam, sein Team gerade einmal 0,5 Tore pro Match.

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Das Spielsystem:

Anders als zunächst angenommen, schickte Jacobacci die Löwen-Elf nicht mit einer Dreier- beziehungsweise Fünferkette aufs Feld, sondern behielt das 4-2-3-1-System bei, welches auch Interimscoach Günther Gorenzel bevorzugte. Eine kleine Ausnahme stellte das 2:2-Unentschieden in Essen dar. Die Änderung in ein 3-5-2-System war aber eher dem Personalmangel am 36. Spieltag geschuldet. 
 
Die Aufstellung:
 
Diese elf Löwen schickte Jacobacci am häufigsten aufs Feld: Marco Hiller (11 von 13 möglichen Einsätzen), Niki Lang (10/13), Jesper Verlaat (11/12), Phillipp Steinhart (11/13), Leandro Morgalla (10/13), Yannick Deichmann (12/13), Marius Wörl (10/13), Jo Boyamba (12/13), Stefan Lex (13/13), Albion Vrenezi (8/13) und Marcel Bär (11/13). Dabei ist zu beachten: Beispielsweise Vrenezi oder Morgalla hätten ohne ihre Verletzung mehr Spiele bestritten. Vor allem Lex und Boyamba stechen in diesem Aufgebot heraus, da sie unter Jacobacci zu ihrer lang vermissten Form zurückfanden. 

Die taktische Marschroute:

Heimspiele:

Bei Heimspielen wählt Jacobacci einen defensiven Ansatz. Eine tiefe Pressinglinie und eine kompakte Defensive sollen den Löwen ermöglichen, die Umschaltmomente zu nutzen und mit schnellen Konterangriffen nach vorne zu kommen. Dabei helfen die drei schnellen Mittelfeldspieler Boyamba, Lex und Vrenezi - und die überraschend hohe Passquote (79,7%) der Löwen.

Wenn Sechzig allerdings kein Tor in der ersten Halbzeit erzielen kann und man vielleicht sogar mit einem Rückstand in die Kabine gehen muss, dann sieht das Spiel der Löwen gleich ganz anders aus. Planlose Angriffe und eine unstrukturierte Defensive endeten beispielsweise in einem 1:4-Debakel gegen Dortmund II. 

Auswärtsspiele:

Die Strategie, die 1860 München in der Fremde wählt, ist quasi das direkte Gegenteil zum Defensiv-Ansatz aus dem Sechzger Stadion. Auswärts lässt Jacobacci sein Team nämlich hoch anlaufen. Sie versuchen so das Aufbauspiel der Gegner früh zu stören und das Spiel auf eine Seite zu verlagern. Diese Taktik ist vor allem in Ingolstadt und Aue - den einzigen beiden Auswärtserfolgen unter Jacobacci - sehr gut aufgegangen. 

Gegen Gegner, die ein sehr diszipliniertes Spiel verfolgen, wie zum Beispiel Wiesbaden und Saarbrücken, ist diese Strategie aber kläglich gescheitert. Zu oft kassierte man früh Gegentore und war gezwungen, das System zu verwerfen. Außerdem ist diese Spielweise sehr kraftintensiv und Gegentore im letzten Drittel der Partie treten häufiger auf. Bestes Beispiel für beide Szenarien ist das vergangene Auswärtsspiel bei Rot-Weiß Essen. Dort ging man erst früh in Rückstand und musste dann mit dem Schlusspfiff den 2:2-Entstand hinnehmen.

Die Perspektive:

Wie lange Jacobacci (Vertrag bis 2024) bei den Löwen bleibt, ist unklar. Zwar sieht man deutlich, dass er trotz der Perspektivlosigkeit Lust auf Sechzig verspürt. Doch ein Blick auf das Portal “transfermarkt.de” verrät direkt, dass Jacobacci nicht allzu lange bei einem Verein bleibt. Nur durchschnittlich 1,03 Jahre konnte sich der gebürtige Berner bei einem Klub halten. Dauert das Engagement diesmal länger?