VON OLIVER GRISS

Lieber Herr Sitzberger,

zunächst einmal: Vielen Dank, dass Sie sich seit vielen Jahren beim TSV 1860 als Sponsor einbringen. Das ist in der heutigen Zeit keine Selbstverständlichkeit. Allerdings sind Sie auch Vize-Präsident unserer Löwen - und leider muss man hier konstatieren, dass die letzten sechs Jahre seit dem Zwangsabstieg 2017 alles andere als glücklich verlaufen sind. Auch Sie spielen dabei eine nicht ganz unwichtige Rolle.

Dass Sie jetzt auf die Trainer-Entlassung von Julian Nagelsmann beim FC Bayern abzielen und im Kommentarbereich von FOCUS Online schräge Vergleiche ziehen, finden wir ehrlich gesagt: Amüsant. Sie haben geschrieben: “Vom Club-Boss noch gelobt und dann Tage später der Rauswurf. Gibt es in der Seitenstraße auch innere Kräfte?”

Lieber Herr Sitzberger, die Bayern spielen wirtschaftlich und sportlich in einer ganz anderen Liga - der TSV 1860 ist dagegen eine einzige Großbaustelle, wohlgemerkt in der Dritten Liga. Wieder hat 1860 den Aufstieg in die Zweite Liga verpasst. Bayern ist noch in allen Wettbewerben vertreten, kickte zuletzt eindrucksvoll Paris St. Germain aus der Champions League. Nicht wir, sondern allein der FC Bayern muss mit seinem kostspieligen 50-Millionen-Euro-Missverständnis mit Nagelsmann klarkommen.

Und nein, diese beide Trainer-Entlassungen kann man nicht ansatzweise miteinander vergleichen, außer, dass beide Entscheidungen nicht unbedingt nachzuvollziehen sind. 1. Der FC Bayern hat mit Thomas Tuchel bereits einen Nachfolger - merken Sie was? 2. Der Rekordmeister kann den neuen Trainer auch bezahlen - auch das will gekonnt sein! 3. Man ist sich in den Gremien geschlossen einig über den Rauswurf - auch diese Konstellation gibt es in dieser mittlerweile verrückten Fußball-Welt.

Wenn Sie das anders sehen, können Sie an dieser Stelle des Textes jetzt aussteigen. Ah, Sie lesen weiter? Schön!

Dann klären wir Sie nochmal in aller Kürze auf: 1860 brauchte peinliche 26 (!) Tage für die Neubesetzung des Trainer-Chefsessels (genau in dieser Zeit warf man selbstverschuldet den Aufstieg weg - 2 von 12 möglichen Punkten!) - und das Sport-Budget war nahezu aufgebraucht und genau deswegen konnte man sich seinen Wunschtrainer Achim Beierlorzer nicht leisten. Obwohl Wunschtrainer - im Aufsichtsrat war man sich genau über diesen Punkt nicht einig. Und es ist auch zu hören bzw. zu lesen, dass die Geschäftsführung im Zuge der Trainer-Nachbesetzung vom 1860-Präsidium abgemahnt worden sein soll.

Und sollten Ihre Worte eine Anspielung auf Michael Köllners Worte sein, der in seiner Zeit “interne Strömungen” anprangerte, kann man nur hoffen, dass der Oberpfälzer demnächst nur einen Bruchteil des Erlebten öffentlich macht. Wetten, dass dann einige bei 1860 ins Schwitzen geraten?

Herr Sitzberger, es gibt gute Gründe, warum sich immer weniger Ehemalige mit dem aktuellen 1860 identifizieren können. Mein alter Freund, Petar Radenkovic, der nach Ihren eigenen Worten Ihr Idol sein soll, will schon seit Jahren nichts mehr mit den Löwen zu tun haben. Kein Held früherer Tage findet den aktuellen Weg gut. Geht Ihnen ein Licht auf? Oder Jimmy Hartwig, Aufstiegsheld von 1977 und später dreimal Meister mit dem HSV sowie Europapokalsieger, hatte es zuletzt beim BR richtig zusammengefasst: “Mir tut in der Seele weh, was mit diesem Verein passiert.”

Es ist sehr schade, dass Sie Ihren Enkeln niemals erzählen können, wie es war, mit 1860 erfolgreich zu sein und Bundesliga spielen zu dürfen - und nein: Ich bin kein Bayern-Fan!

Herzlichst, Ihr Oliver Griss

Oliver Griss (51) berichtet seit 34 Jahren über den TSV 1860. Er erlebte den Durchmarsch von der Bayernliga in die Champions League-Qualifikation und zurück.