VON OLIVER GRISS

Wieviele Trainingslager ich tatsächlich in den letzten 34 Jahren mit dem TSV 1860 als Beobachter absolviert habe, kann ich leider nicht beantworten. Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen. Es waren einfach zu viele. Ob Belek, Teneriffa, Marbella, Zypern oder Dubai. Unter dem strengen Werner Lorant stiegen wir in der Winter-Vorbereitung sogar dreimal innerhalb weniger Wochen ins Flugzeug. Der Kulttrainer aus Waging am See liebte die Sonne - aber das nur am Rande.

Zwei Camps werde ich aber definitiv nie vergessen: Dubai, Januar 2003. Als der blutjunge Benny Lauth auf einem Kamel reitend am Strand von Dubai - für die Kamera von ARD-Reporter Axel Müller perfekt in Szene gesetzt - vor Cheftrainer Peter Pacult Halt machte und der damalige Trainer dem Nationalspieler die Medaille zum Tor des Jahres überreichte. Anschließend hatten sich Teile der Mannschaft noch versucht, mich über den weiten Strand zu jagen und anschließend im Meerwasser zu tauchen - geklappt hat das nicht so richtig. Grüße an Torben Hoffmann, Rodrigo Costa, Vidar Riseth und Marco Kurz. Heute sind wir alle Veteranen und können froh, gerade aus laufen zu können…

Aber auch Januar 2004 war besonders: Nicht, weil es das letzte Winter-Trainingslager als Erstligist war und Heinz Wildmoser vor Ort seinen 40. Geburtstag feierte, sondern weil die Löwen ein Hotel in der Nähe von Alanya gewählt hatten, das sich als Reinfall entpuppte. Das Vier-Sterne-Hotel hatte extra für die Löwen aufgesperrt - doch so richtig vorbereitet war die Unterkunft nicht auf die Sechzger: Keine funktionierende Heizung, die Spieler mussten bei Temperaturen knapp über der Null-Grad-Grenze in Wärmejacken schlafen. Aus den Wasserhähnen kam zudem braune Soße.

Auch der Trainingsplatz war nicht unbedingt ideal, sondern mit Pfützen übersät. Erstklassig geht anders. Als AZ-Reporter hatte ich das natürlich ziemlich deutlich aufgeschrieben (inklusive Beweisbilder) - mit der Konsequenz, dass mich 1860-Pressesprecher Dirk Grosse am Tag der Veröffentlichung kurzzeitig für eine Nacht aus dem Hotel verbannte. Die Reaktion war menschlich, aber unprofessionell: Wer will schon gern über sich lesen, dass die Vorbereitung auf das Türkei-Trainingslager mangelhaft war. Die Abendzeitung war eben nicht das Stadionblattl sondern seinerzeit die führende Boulevardzeitung in München. Einen Tag später musste Grosse übrigens einen Rückzieher machen, auch weil sich der in München weilende mächtige Präsident Karl-Heinz Wildmoser einschaltete und den Löwen-Funktionären vor Ort via Telefon ordentlich den Kopf gewachsen hat. Heute kann ich mit Grosse über diese Aktion übrigens herzlich lachen.

Deswegen - und auch anhand dieses Beispiels: Augen auf bei der Wahl des Trainingslagers! Dass die Löwen im feudalen Fünf-Sterne-Resort Regnum Carya in Belek nun abgestiegen sind, ist richtig. Denn nichts ist wichtiger als ideale Bedingungen für die Mannschaft - auf und neben dem Platz. Die Spieler machen große Augen und schwärmen in den höchsten Tönen. Und sind noch mehr zusammengewachsen.

Die Sechziger hatten sich bewusst für dieses Unterkunft entschieden, nicht um provokant im Luxus zu suhlen, sondern weil die zuständige Agentur dem Drittligisten vertraglich zugesichert hat, den Rasenplatz für sich alleine zu haben und die einzige Fußball-Mannschaft zu diesem Zeitpunkt im Hotel zu sein. Darauf hat die sportliche Kommandobrücke großen Wert gelegt - und deswegen war es absolut verständlich, dass Marc Pfeifer und Günther Gorenzel in der Alles-oder-Nichts-Saison ihren Segen für dieses Investment gegeben haben. Die beiden Geschäftsführer hatten sich dabei auch was gedacht: Sie hoffen darauf, dass die Mannschaft diesen Vertrauensvorschuss mit Toren und Siegen ab dem 14. Januar in Mannheim zurückzahlt.

An dieser Stelle wollen wir auch mit einem Gerücht aufräumen, dass dieses Trainingslager in Belek viel zu teuer und unangemessen für 1860 sei. Die Kosten liegen ungefähr in der selben Preisklasse der früheren Valencia-Camps (die Löwen greifen auf andere Preis-Kontingente als beispielsweise bei booking.com zu). Dass im letzten Jahr das Trainingslager in Belek günstiger war als das aktuelle, lag am einmalig ausgewiesenen Corona-Rabatt. Und dass die Preise in allen Belek-Hotels deutlich angezogen haben im Vergleich zum Vorjahr, liegt zum einen an der Energie-Krise, aber zum anderen auch daran, dass verstärkt russische Klubs in den Markt drängen und dadurch automatisch die Preise steigen.

Merke: Wenn man das eine kritisiert, sollte man auf der anderen Seite auch Manns genug sein, den Finger in die Wunde legen, wenn die Profi-Firma Strafzahlungen - verursacht durch die eigenen Fans - ausgleichen muss. Und wir reden hier nicht von Peanuts, sondern von rund 50.000 Euro. Was 50.000 Euro für sinnloses Verbrennen bedeutet, kann sich jeder selbst ausrechnen.