VON MARCO BLANCO UCLES UND IMAGO (FOTOS)

Geschichte geschrieben hat sie als erstes afrikanisches Team unter den besten vier Teams der Welt bereits, heute Abend im WM-Halbfinale gegen Frankreich (20 Uhr) kann die Nationalmannschaft Marokkos für das nächste historische Ereignis sorgen…

Zu Bundesliga-Zeiten zauberte auch in den Reihen des TSV 1860 ein Marokkaner. Abderrahim Ouakili lief zwischen Januar 1998 und Juni 1999 40-mal für die Löwen im Mittelfeld auf, erzielte sechs Treffer, netzte auch im Derby gegen den FC Bayern ein. Nach eineinhalb Jahren trennten sich die Wege bereits wieder, Ouakili zog es zu Tennis Borussia Berlin.

Am Montag feierte der elfache Nationalspieler seinen 52. Geburtstag. Im Interview mit db24 spricht Ouakili über die historische WM seines Heimatlandes, seine Zeit bei den Löwen und wie er den Kultverein aus München-Giesing heute sieht.

db24: Nachträglich alles Gute zum 52. Geburtstag, wurde angemessen gefeiert?

ABDERRAHIM OUAKILI: Vielen, vielen Dank! Wir haben nur im kleinen Kreis gefeiert, die größere Party findet am Mittwoch statt. Dann wird hoffentlich doppelt gefeiert, wenn Marokko auf Frankreich im WM-Halbfinale trifft.

db24: Wo erreichen wir Sie denn? Leben Sie in Marokko?

Ich lebe zwischen Marokko und Dubai. Da ich sowohl für einen marokkanischen als auch für einen arabischen Fernsehsender als Fußballexperte arbeite, pendel ich immer hin und her, je nachdem wo ich gerade gebraucht werde. Ich bin als Experte und Kommentator für die WM im Einsatz, ansonsten begleite ich andere Großereignisse wie die Champions League und den Afrika-Cup, vielleicht auch bald die Bundesliga.

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TV-Experte: Abderrahim Ouakili.

db24: Ihr Land steht als erste afrikanische Nation aller Zeiten in einem WM-Halbfinale. Was macht diese Mannschaft, die im Achtelfinale Spanien und im Viertelfinale Portugal ausschaltete, so unfassbar stark?

Ich bin von der marokkanischen Mannschaft nicht überrascht. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie explodiert. Mich überrascht eher, dass die anderen Teams - wie zum Beispiel unser Gruppengegner Belgien - ohne Herz spielen. Der einzige Unterschied zwischen uns und den anderen Teams ist unser Herz - das ist unser Geheimnis. Wir geben alles auf dem Platz, kommen über den Zusammenhalt, haben keinen Star im Team. Die Mannschaft ist bei uns der Star. Und unser junger Trainer Walid Regragui kann diesen Glauben gut vermitteln, dass wir etwas Großes gewinnen können.

db24: Im Land herrscht derzeit eine grenzenlose Euphorie, oder?

Egal, was ich jetzt sage: Es wird dem, was hier momentan passiert, nicht gerecht. Die Stimmung ist einmalig. Das Gefühl in einem WM-Halbfinale zu stehen, kennt kein Marokkaner. Ich bin so glücklich, dass die Menschen hier - alt wie jung - endlich etwas zu feiern haben. Natürlich träumen wir jetzt, das ist unser gutes Recht. Wir wollen Weltmeister werden! Sollte das passieren, würde in Marokko vier Jahre lang - bis zur nächsten WM - gefeiert werden.

db24: Im Halbfinale wartet die wohl größtmöglichste Hürde, der amtierende Weltmeister Frankreich…

Wir müssen genauso kompakt stehen wie in den letzten Spielen. Wenn wir dazu Herz und Leidenschaft auf den Platz bringen, können wir jeden Gegner schlagen. Die Franzosen bringen viel Schnelligkeit mit, wir müssen die Räume eng machen. Sie haben großartige Einzelspieler wie Mbappé oder Dembélé, aber wir haben ein Team. Ich traue es Marokko zu, 1:0 in Führung zu gehen und dann das Spiel nachhause zu schaukeln.

db24: Sie waren 1998 bei der WM in Frankreich selbst im Kader Marokkos, kamen aber nicht zum Einsatz. Beschreiben Sie dennoch einmal das Gefühl, bei einer Weltmeisterschaft als Spieler teilzunehmen.

Ja, leider hat es zum Achtelfinale knapp nicht gereicht - obwohl wir vier Punkte geholt haben. Ich habe das Glück, ein solches Ereignis als Spieler erlebt haben zu dürfen. Ich weiß, wie emotional das für einen Spieler ist, unglaublich…

db24: Die deutsche Nationalmannschaft schied in Katar genauso wie in Russland 2018 bereits in der Vorrunde aus. Überrascht?

Nein, ehrlich gesagt nicht. Es war mir klar, dass sie spätestens im Achtel- oder Viettelfinale rausfliegen. Toni Kroos fehlt dieser Mannschaft extrem. Dazu gibt es meiner Meinung nach aktuell bessere Keeper als Manuel Neuer. Auch die Zeit von Thomas Müller ist vorbei. Zudem kam Kai Havertz zu wenig zum Einsatz. Der deutsche Trainer hat viele Fehler gemacht. Fehler, die bei einer Weltmeisterschaft nicht passieren dürfen.

db24: Sie haben lange Zeit in Deutschland gespielt, auch eineinhalb Jahre bei 1860. Wie blicken Sie auf ihre Zeit bei den Löwen - damaliger Bundesligist - zurück?

Die Zeit bei Sechzig war leider zu kurz. Ich hatte im Sommer 1999 ja noch zwei Jahre Vertrag gehabt. Winfried Schäfer wollte mich damals allerdings unbedingt zu Tennis Borussia Berlin holen und ich bin hingegangen. Aber die eineinhalb Jahre bei 1860 waren wunderschön. Die Fans, die Derbys - das war alles überragend. Der Verein ist mir unfassbar ans Herz gewachsen.

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db24: Wieso dann der vorzeitige Abgang zu Zweitligist Berlin? Gab es Probleme mit Trainer Werner Lorant?

Nein, eigentlich nicht. Ich habe in den eineinhalb Jahren fast immer gespielt. Lorant tickt aber bekanntlich anders, bei ihm ist niemand gesetzt. Schäfer versprach mir damals einen Stammplatz in Berlin. Zudem sollten wir nur ein Jahr in der Zweiten Liga spielen, der Verein wollte aufsteigen. Leider ist dann vieles schiefgelaufen…

db24: Und heute? Verfolgen Sie die Löwen in der Dritten Liga?

Ja, natürlich! 1860 und Mainz 05 verfolge ich ganz, ganz genau. Zu Sechzig: Wenn ich sehe, dass so ein großer Verein in der Dritten Liga spielt, kommen mir die Tränen! Der Klub muss wieder in die Bundesliga aufsteigen, da gehört er nämlich hin. Ich hoffe jedes Jahr, dass es weiter nach oben geht. Leider bleibt es bislang nur ein Traum, aber ich glaube weiterhin daran!