VON OLIVER GRISS UND ORKY HAIST (IMAGO)

Für 1200 Löwen war die Zenith-Halle bestuhlt. Am Samstagabend hatten eifrige Helfer aus den eigenen Reihen die Klappstühle für die Mitgliedersammlung des TSV 1860 aufgebaut. Doch schon wenige Stunden später musste sich der Klub eingestehen: Die Lust auf die Mitgliederversammlung lässt immer mehr nach. Der Parkplatz war mehr oder weniger leer gefegt. Es kamen am Ende nur 310 stimmberechtigte Mitglieder in die überdimensionierte Halle in München-Freimann - absoluter Minusrekord seit dem Wechsel vom Delegiertensystem zur Mitgliederversammlung. Das wird Präsident Robert Reisinger (58) nicht sonderlich jucken, denn er wurde mit 93,6 Prozent der Stimmen für drei weitere Jahre bis 2025 bestätigt. 290 von 310 möglichen Stimmen bekam Reisinger. Sein Plan ist aufgegangen. Dabei sollte es den Unternehmensberater aus Kirchheim eigentlich nachdenklich machen, warum immer mehr Mitglieder einen großen Bogen um die e.V.-Versammlungen machen.

Zum Vergleich: Beim Fanfest 24 Stunden vorher, bei dem Reisinger als oberster Repräsentant des Klubs zur Überraschung vieler Anhänger sich nicht sehen hat lassen, kamen über 2500 (!) Löwen an die Grünwalder Straße. Die Stimmung war toll. Vor dem Fanshop bildeten sich über über den gesamten Tag lange Schlangen. Die Lust an der Mannschaft ist groß.

Ergo: Die Löwen-Familie hat die Politik im eigenen Verein satt. Eine Opposition wird sich nicht mehr bilden. Allesfahrer Franz Hell hat längst aufgegeben. Auch Karsten Wettberg will nicht mehr kämpfen.

Obwohl der TSV seit dem Zwangsabstieg 2017 mehr oder weniger auf der Stelle tritt, lobt Reisinger seinen verschriebenen Kurs: “Der Konsolidierungskurs war erfolgreich.” Weitere Schulden werde es auch in Zukunft nicht unter seiner Regie geben. Hat Reisinger das Zwei-Millionen-Euro-Darlehen der Bayerischen samt Zinsen schon wieder vergessen? Möglich. Reisinger sagt: „Den Kurs vernünftigen Wirtschaftens gilt es auch im Falle eines Aufstiegs beizubehalten.”

Was auf der Mitgliederversammlung gar nicht angesprochen worden ist: Reisingers Löwen-Weg zurück ins Grünwalder Stadion hat den Profifußball in eine finanzielle und sportliche Sackgasse geführt. Deswegen stehe er einem Umzug ins Olympiastadion bei weiteren möglichen Pokalspielen weiter kritisch gegenüber: „Mir persönlich ist ein ausverkauftes Grünwalder lieber.“ Der Klub sei im Dialog mit der Stadt und kämpfe um weitere „Bonifikationen“. Das knappe Fassungsvermögen von 15.000 Fans auf Giesings Höhen hat aus Sicht des Präsidenten „ein Für und Wider“: Früher hätte man mit Freikarten in der Allianz Arena betteln müssen, heute seien die Tickets „ein rares Gut geworden“. Frag nach bei den Löwen-Fans: Für den Pokal-Hit gegen Dortmund (29. Juli) kommen nur 13.500 Sechzger in den Genuß des Stadionbesuchs. Beim letzten Aufeinandertreffen im DFB-Pokal zwischen 1860 und Dortmund (0:2 n.V.) füllten mehr als 71.000 Besucher die Allianz Arena.

Die Entwicklung der Besucher-Zahlen bei der MV:

2013: 923 (Präsidenten-Wahl Mayrhofer).
2015: 439 (Präsidenten-Wahl Cassalette)
2016: 432 (Präsidenten-Wahl Cassalette)
2017: 1359 (Präsidenten-Wahl Reisinger nach dem Sturz in die Regionalliga)
2018: 1207 (Kandidatur Team Profifußball für den Verwaltungsrat)
2019: 1473 (Wiederwahl Reisinger)
2020: Onlineversammlung (Corona)
2021: 247 (Wahlen Verwaltungsrat)
2022: 310 (Präsidenten-Wahl Reisinger)