VON OLIVER GRISS

Lieber Herr Köllner,

Sie werden gerade im Bus Richtung Zwickau sitzen. Ich bin ein großer Fan von Ihnen, weil Sie es mit Ihrer Empathie und Menschlichkeit sowie Ihrem Weitblick geschafft haben, dass sich die beiden Gesellschafter nicht mehr öffentlich bekriegen. Dadurch gibt der TSV 1860 ein viel positiveres Bild als in der Vergangenheit ab. Dies ist Ihnen nicht hoch genug anzurechnen. Deswegen wünsche ich mir auch, dass Sie erfolgreich bei den Löwen arbeiten und den Aufstieg aus der Dritten Liga schaffen.

Doch jetzt kommen wir zu Ihrem Kerngeschäft - dem Sport. Dass es in Ihnen rumort, ist angesichts der ausbleibenden Ergebnisse verständlich und menschlich. Das war in der Zoom-PK vom gestrigen Donnerstag deutlich festzustellen. Aber kein Fan, und erst recht kein Sportjournalist dieser Welt, und in dem Fall fühle ich mich angesprochen, kann etwas für die Fehlentwicklung der Münchner Löwen, auf die ich bezüglich der fehlenden Kaderbreite seit zwei Jahren immer wieder hingewiesen habe. Auch Sie hatten diesen gut gemeinten Hinweis immer wieder weggelächelt. Und nein, es liegt nicht am fehlenden Geld, sondern an der Kunst, eine Mannschaft aufzubauen, die aufstiegsfähig ist. Gemeinsam mit Sport-Geschäftsführer Günther Gorenzel sind Sie es, die die Löwen steuern.

Sie hatten gestern in Ihrem Monolog u.a. ausgeführt, dass es Liveticker von Ihrem Training gebe - und deswegen die 1860-Aufstellung eigentlich gleich in der PK verraten könnten. Nein, das brauchen Sie natürlich nicht. Pokern gehört schließlich zum Geschäft. Es ist angesichts der fehlenden Alternativen allerdings auch gar nicht so schwer, auf die erste Elf im Blindflug zu kommen.

Und zur Beruhigung, schließlich müssen wir in unserem Alter besonders auf den Blutdruck achten: Es hat unter Ihrer Regie noch NIE einen Liveticker von einem Löwen-Training gegeben. Aber es ist die Arbeit eines Reporters, Eindrücke zu sammeln und schließlich zu verwerten - und nicht vom Sofa oder vom TV-Gerät aus über die Löwen zu schreiben. Ich gehe einen anderen Weg. Mein Anspruch ist es, direkt und wahrheitsgetreu die Löwen-Gemeinde - und die ist immer noch für einen Drittligisten groß - zu informieren. Schließlich will ich mir auch hinterher nicht genau von Ihnen vorwerfen lassen: “Herr Griss, Sie können gar nicht mitreden: Sie sind ja nie beim Training!” Keiner aus der Münchner Reporter-Landschaft hat jemals behauptet, dass ihre Mannschaft faul sei. Sie selbst waren es, der nach dem 1:2 bei Türkgücü gesagt hat, dass der Fußball ihrer Mannschaft technisch schlecht gewesen ist. Ihr Präsident Robert Reisinger höchstselbst hat sogar die Charakterfrage gestellt.

Nein, ich habe keinen Trainerschein wie Sie und ich hab in meiner aktiven Zeit in den 90er Jahren auch leider nur u.a. gegen die Löwen-Amateure spielen dürfen, aber ich weiß allzu gut, wie Ihre Vorgänger bei 1860 gearbeitet haben. Die einen waren erfolgreich, die anderen weniger erfolgreich. Gefühlt waren es um die 30. Von Werner Lorant, Peter Pacult, Friedhelm Funkel, Alexander Schmidt, Benno Möhlmann bis hin zu Daniel Bierofka. Jetzt sind Sie an der Reihe, um 1860 einen Stempel zu verpassen. Und ja, ich weiß auch sehr wohl, dass sich die Trainingssteuerung und Trainingsarbeit im deutschen Fußball in den letzten Jahren entscheidend verändert hat. Ob das gut ist, kann sich jeder selbst beantworten. Die Work-Life-Balance muss ja am Ende des Tages auch stimmen…

Ich kann Ihnen auch verraten, um auf mein Eingangsthema zurückzukommen: Als der TSV 1860 noch eine große Nummer im deutschen Fußball war, standen teilweise bis zu fünf Reporter gleichzeitig am Trainingsgelände an der Grünwalder Straße, um die beste Geschichte für die jeweilige Redaktion abzugreifen. Die Aufmerksamkeit heute? Große Leere! Natürlich, Corona hat vieles verändert - aber auch diese Entwicklung ist ein Spiegelbild der Ist-Löwen. Ich kann Ihnen auch versichern, dass bei vielen Klubs in Deutschland das Medien-Aufkommen bedeutend größer ist - ich klammere mal Freiburg, Bielefeld oder Fürth aus.

Sie haben in Ihrer Donnerstags-PK auch davor gewarnt, dass neben einer gefährlichen FSV-Mannschaft auch der Wind im Zwickauer Stadion das Spiel beeinflussen könnte - ein kleiner Tipp: Einfach gewinnen und aufsteigen, dann ist 1860 auch dieses wind-durchlässige Stadion los. Es könnte eigentlich alles einfach sein. Vielleicht sollten Ihre Löwen wieder aktiver werden - und nicht in ihrem System auf den Gegner reagieren, sondern selbst wieder die Initiative übernehmen. Ein hohes Pressing schadet nie. Aber das ist nur ein Ansatz!

Viel Glück!

Herzlichst, Ihr Oliver Griss