VON OLIVER GRISS

Über vier Jahrzehnte nannte der TSV 1860 das Olympiastadion immer wieder seine Heimspielstätte. Deswegen nimmt dieser Spielort einen ganz großen Teil der Geschichte der Löwen ein - und das nicht nur, weil der TSV bis heute in der deutschen Besucher-Rekordeliste auftaucht: Am 15. August 1973 strömten laut inoffiziellen Angaben rund 100.000 Fans ins Olympiastadion, um das 1:1 zwischen 1860 und dem FC Augsburg zu sehen. Zu einem Regionalligaspiel.

Die Kultstätte am Oberwiesenfeld hatte freilich weitaus mehr zu bieten: Olympische Spiele 1972, WM-Finale 1974, EM-Endspiel 1988, Champions League-Finale 1997 mit einem Dortmunder Triumph, aber auch große Erfolge des TSV 1860: Aufstiegskrimi 1977 gegen Bielefeld, eine Derby-Watschn für Karl-Heinz Rummenigge 1977, zwei Derby-Siege in einer Saison mit dem fulminanten Riedl-Tor und viele andere großartige Bundesliga-Siege mit atemberaubenden Kulissen. Mit dieser Fußballstätte konnte der TSV Geld verdienen, was im Grünwalder Stadion niemals möglich war und niemals möglich sein wird. Dadurch konnte 1860 Stars wie Thomas Häßler, Martin Max oder auch Peter Nowak verpflichten.

Der Löwe erfuhr im Olympiapark, wie sollte es anders sein, auch sehr viel Leid. Das unglückliche Aus in der Champions League-Quali im August 2000 gegen Leeds - oder der verschossene Elfmeter von Francis Kioyo, der mehr oder weniger den Bundesliga-Abstieg 2004 besiegelte. Und natürlich gab es auch das ein oder andere trostlose Gekicke im Oly - wie übrigens auch im Grünwalder Stadion. Spiele unter 1500 Fans zu harten Bayernliga-Zeiten waren am Giesinger Berg keine Seltenheit.

Aber zurück zum Olympiastadion: Nein, ein reines Fußballstadion war es nie und wird es auch nie werden. Aber der echte Münchner liebt sein Olympiastadion, weil es nicht nur ein architektonisches Wunder ist, sondern auch deutsche Sportgeschichte geprägt hat. Das Oly ist eines der ganz großen Wahrzeichen der Landeshauptstadt. Es dient heute noch als beliebtes Fotomotiv für Touristen - und Austragungsort für große Konzerte.

Und diejenigen, die behaupten, im Olympiastadion wäre nie Stimmung gewesen, können wir anhand der Statistiken widerlegen. In der Saison 1996/1997 lag der Saisonschnitt bei 38.794 Fans pro Spiel oder ein Jahr später bei 33.671. In der Saison 1999/2000 - mit Platz vier in der Bundesliga die beste Spielzeit der letzten 50 Jahre - kamen 32.671 im Schnitt. Selbst in der Abstiegssaison 2003/2004 kamen noch 28.203 Besucher pro Partie. Zuschauerzahlen, die die Löwen womöglich in den nächsten zehn Jahren nicht mehr erreichen werden, wenn sie ihren Stadionkurs nicht verlassen.

Am Mittwoch können Löwen-Fans erstmals seit 17 Jahren wieder für ein Spiel ihrer Mannschaft ins Olympiastadion zurückkehren - für ein Derby gegen Türkgücü. Der sportliche Wert? Naja, die Löwen brauchen Punkte im Aufstiegskampf der Dritten Liga - mehr aber auch nicht. Den Gegner wird’s möglicherweise bald nicht mehr geben, dementsprechend ist dieses Stadtduell kein Zuschauerhit. Irgendwie schade, denn ein gut gefülltes Olympiastadion entschädigte früher auch die nicht vorhandene unmittelbare Nähe gegenüber eines reinen Fußballstadions oder die sichtstörenden Stützpfosten auf der Haupttribüne auf Giesings Höhen.