VON OLIVER GRISS UND KIRCHNER-MEDIA (IMAGO)

Die jüngste Presseerklärung des TSV 1860 lässt zumindest Raum für Spekulationen: “Der Beirat der TSV München von 1860 Geschäftsführungs-GmbH hat sich einstimmig dafür ausgesprochen, von der bis zum Jahresende gegebenen Möglichkeit einer Kündigung der Verträge der Geschäftsführer der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA, Günther Gorenzel (Sport) und Marc-Nicolai Pfeifer (kaufmännisch), jeweils keinen Gebrauch zu machen. Die Gesellschafter sind überzeugt, dass personelle Kontinuität für den sportlichen Erfolg des TSV 1860 München im Profifußball hilfreich ist.”

Heißt: Die Löwen kündigen ihren beiden Geschäftsführern zum 31. Dezember NICHT. Während Pfeifers Kontrakt sowieso bis zum 30. Juni 2023 läuft, endet das Arbeitspapier Gorenzels zum 30. Juni 2022.

Eine Vertragsverlängerung von Gorenzel hat der Beirat in seinem Statement nicht verankert. Bewusst oder unbewusst. Sei’s drum, Gorenzel kann in den nächsten Monaten nun beweisen, dass er nach einer bislang überschaubaren Performance als Geschäftsführer es besser kann als sein Ruf ist. Jetzt zählt nicht die Theorie, die er oft geschickt verpackt, sondern die Praxisarbeit. Zurücklehnen gilt nicht, Herr Gorenzel!

Diese Baustellen muss der Österreicher jetzt anpacken:

Ist-Analyse und Thema Winter-Verstärkungen: Wichtig wird sein, den Kader bis zum Abflug ins Trainingslager am 2. Januar noch einmal auf Herz und Nieren zu prüfen und im Vergleich zur Konkurrenz richtig einzuschätzen. Bereits im vergangenen Winter sah man nicht - auf Platz 3 stehend - die große Chance, die Gunst der Stunde zu nutzen. Vergleicht man sich in dieser Spoielzeit mit den Konkurrenten, fehlt was - auch die vielzitierte Breite, vor allem dann, wenn wichtige Leistungsträger ausfallen. Der Löwe hat zu viele Mitläufer. Nach dem Abgang von Kult-Löwe Sascha Mölders (Vorsaison 22 Tore) ist ein Platz im Angriff frei geworden. Will 1860 noch einmal oben angreifen, sollte nachjustiert werden - die Frage ist jedoch: Sind nach der Abfindung für Mölders noch Gelder dafür vorhanden? Auch ein schneller Innenverteidiger würde Sinn machen, die Frage ist nur: Glaubt 1860 noch an die kleine Aufstiegschance? Möglich ist, dass 1860 das Pokal-Achtelfinale am 18. Januar gegen den KSC abwartet und sich dann entscheidet. Transfers sind grunsätzlich bis zum 31. Januar 2022 möglich.

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Kaderplanung für die neue Saison: Etliche Verträge wichtiger Spieler laufen aus, darunter die Arbeitspapiere von Torwart Marco Hiller, Niki Lang, Stephan Salger, Richard Neudecker, Fabian Greilinger - und auch Dennis Dressel. Der 23-Jährige sieht sich prinzipiell in der Zweiten Liga. In diesem Winter könnte 1860 letztmals Geld für ihn bekommen - oder Gorenzel schafft es, Dressel an die Löwen zu binden. Zudem endet der Leihvertrag von Merv Biankadi. Der Außenstürmer muss im Sommer zurück nach Heidenheim. Eine Baustelle bleibt Gorenzel erspart: Der Vertrag von Kapitän Stefan Lex hat sich bereits automatisch um ein weiteres Jahr verlängert. Die größte Herausforderung wird freilich die Verlängerung von Hiller. Der 24-jährige Torwart fühlt sich dem Verein zwar sehr verbunden, doch die jüngsten Leistungen dürften mögliche Interessenten noch mehr aufgeweckt zu haben. Jetzt muss Gorenzel zeigen, dass er die Zukunft auch mit weniger Budget kann. Nach db24-Informationen hat 1860 bei dem ein oder anderen Profi in den letzten zwei Jahren mehr als marktüblich bezahlt.

Scouting: Seit Jahren das große Manko - regional und auch überregional. Obwohl 1860 noch immer einen guten Namen in der Branche hat und natürlich auch der Standort München ein wichtiger Indikator ist, passiert in diesem Bereich relativ wenig. Dazu kommt auch, dass man eigene Spieler aus dem NLZ weiter sieht als diese wirklich sind - und dagegen Spieler wie Kilian Fischer (jetzt Nürnberg) oder Leon Klassen (jetzt Wattens) ablösefrei abgibt. Klassen soll als russischer U21-Nationalspieler bereits bei einem großen Klub in seiner Heimat auf dem Zettel stehen. Die Ablösesumme, die im Raum steht, kassiert nicht 1860, sollte es zu einem Wechsel kommen. Deswegen: Das Auge muss geschult werden, auch um spätere mögliche Ablösesummen zu generieren. Dennis Dressel hätte 1860 im vergangenen Sommer zwar nach Darmstadt verkaufen können, aber eben nicht zu einem Preis, der den Löwen gedient hätte.

Führungsqualität: Für Spieler, aber auch Berater gilt Gorenzel als eher unnahbar und von sich absolut überzeugt. Gerne verweist der Fußballlehrer, den einst Ex-Trainer Daniel Bierofka nach München-Giesing lotste und in dessen Not auf Gorenzel setzte, immer auf seine 20 Berufsjahre. Der Fall Mölders soll bei 1860 nicht die einzige Baustelle in den letzten zwei Jahren gewesen sein, die zu schaffen machte - unangehme Themen soll Gorenzel nicht selten umgehen. Obwohl der Österreicher bei der Personalie Oliver Beer klare Signale hatte, schaute er viel zu lange zu. Beer soll nicht unbedingt ein Teamplayer gewesen sein, heißt es von Ex-Spielern des TSV. Es soll nach der 2:5-Pleite gegen Magdeburg der hinterlegte Wunsch von Michael Köllner gewesen sein, auf Beer künftig zu verzichten. Das Verhältnis zu seinem einstigen “Königstransfer” Köllner soll auch etwas gelitten haben. Gut war zweifelsohne Gorenzels Einsatz zum Start der Corona-Krise (auch im Interesse der Drittliga-Mehrheit), aber auch die schnelle und am Ende nahezu geräuschlose Vertragsauflösung mit Kult-Löwe Mölders.