VON OLIVER GRISS

Auch wenn ich früher zu AZ-Zeiten nicht selten mit Politikern wie Christian Ude, Hans Zehetmair oder Theo Waigel zu tun hatte, begab ich mich am Mittwoch auf neues Terrain: In das Münchner Rathaus anstatt auf den Fußballplatz. Der Themenschwerpunkt aus 1860-Sicht: Die Debatte um den von OB Dieter Reiter favorisierten 30-Millionen-Euro-Umbau des Grünwalder Stadions. Nach rund 45 Minuten war das Thema durch - oder genauer gesagt: Nicht durch.

Der Stadtrat hatte beschlossen, dass die Machbarkeitsstudie vom Architekturbüro Albert Speer & Partner geprüft und der Antrag des tapferen Löwen-Lebensmitglieds Mario Schmidbauer (Bayernpartei) auf Prüfung von möglichen 23.500 Fans auf Giesings Höhen abgelehnt wird. Von der Umsetzung des tatsächlichen Umbaus ist die Stadt - Stand jetzt - noch so weit entfernt wie 1860 von der Bundesliga. Juristisch ist nicht einmal gesichert, ob 18.060 Fans überhaupt möglich sind.

Danach genehmigte ich mir im “Donisl” eine antialkoholische Erfrischung (Paulaner Spezi) - und nach kurzer Zeit berichteten auch schon diverse Social Media-Kanäle über die “News”. Die SPD setzte beispielsweise einen Facebook-Post ab und die Message war, gelinde gesagt, etwas irritierend: “Ich freue mich für den Münchner Fußball, weil wir mit der Erweiterung dauerhaft eine Heimat für die Vereine schaffen”, erklärte die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Verena Dietl: “Und ich bin der Meinung: Wenn wir schon ein städtisches Stadion ertüchtigen, dann auch so, dass darin möglichst viele Fans ihren Verein erleben können.” Und obwohl die 1860-Verwaltungsrätin auch die fehlende Wirtschaftlichkeit des Stadions für ihren Verein aus dem Effeff kennen sollte, blendete sie diese Problematik aus. Weil sich die Parteien mitten im Kommunal-Wahlkampf befinden (2020 wird der OB und der Stadtrat gewählt) und jede Stimme zählt? Die Politik in Deutschland sollte endlich bei den Fakten bleiben - sonst läuft sie Gefahr, weiter an Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Doch die Maschinerie war zu diesem Zeitpunkt schon in vollem Gange. AZ-Lokalchef und Stadion-Freund Felix Müller schrieb: “Grünwalder Stadion: Stadtrat sagt ja zum Dach!”. Nicht anders die TZ in ihrer Abendausgabe: “Löwen: Stadion-Ausbau beschlossen!” Weitaus realistischer die Zusammenfassung in der SZ: “Mit dem Beschluss der Stadtrats-Vollversammlung können die Referentinnen Beatrix Zurek (Sport) und Rosemarie Hingerl (Bau) nun ausloten, ob der auch von den Löwen befürwortete Ausbau des “Sechziger-Stadions” eine Chance hat.”

Warum die Wahrnehmungen so unterschiedlich in Zeiten von Fakenews sind, darüber darf gerätselt werden. Klar ist jedoch, dass ein Umbau den Löwen zwar nostalgische Heimatgefühle bescheren, aber wirtschaftlich den Verein nicht groß entlasten wird.