VON OLIVER GRISS

Werner Lorant (69) ist angekommen in seinem Leben. “Ich wohne in der schönsten Gegend Deutschlands. Ich kann mit meinem Hund in der freien Natur spazieren gehen oder bin in 30 Minuten in den Bergen.” Die Löwen-Ikone lebt seit fünf Jahren in Waging am See. Sein Freund Andreas Barmbichler, ein bekennender Blauer, hat den Kulttrainer in den Chiemgau geholt: Lorant ist die Attraktion im XXL-Campingplatz, der derzeit rund 5000 Urlauber beherbergt und früher als Hotspot der Münchner Schickeria galt, als Alfons Schuhbeck noch im Kurhausstüberl kochte. Lorant muss viele Autogramme schreiben. Ab und zu trainiert er die Camping-Kids. Auch wenn Lorant vom großen Fußball mittlerweile lange weg ist, lassen ihn seine Löwen nicht los. Das db24-Interview:

Die Löwen sind mit dem 0:1 in Kaiserlautern in die Dritte Liga gestartet: Herr Lorant, wie fällt Ihr Fazit aus?

WERNER LORANT: Nun ja, die Spieler müssen sich erst an die Liga gewöhnen. Das erste Spiel ist immer schwierig und hat null Aussagekraft. Es sind viele neue Spieler dabei. Für die Pessimisten unter uns: Das wird schon noch besser. Wir dürfen außerdem nicht vergessen: Lautern ist keine Wirtshaustruppe, sondern ein großer Verein, der sofort wieder zurück in die Zweite Liga will. Sechzig hat ja nicht nur gegen 11 Lauterer gespielt, sondern auch gegen das Stadion. Es war schon zu meiner Zeit nicht leicht, in Kaiserslautern zu bestehen. Die erste Hälfte von Sechzig hat mir eigentlich ganz gut gefallen, aber danach haben sie leider abgebaut. Die Spieler haben nur noch ans Verteidigen gedacht - und das ist genau der Fehler.

Sie haben zu Ihrer Zeit bei 1860 immer gesagt: “Die Saison geht für mich erst nach dem vierten Spieltag los…”

Ja, weil wir in der Vorbereitung immer so viel gelaufen sind (lacht). Nach dem vierten oder fünften Spieltag sollte die Mannschaft dann eingespielt sein und dann kann Kritik - wenn nötig - auch angebracht werden.

Lassen Sie uns teilhaben an Ihrem Wissen: In der vergangenen Saison prophezeiten Sie 1860 die Meisterschaft mit zehn Punkten Vorsprung. Am Ende waren es neun. Wo landen die Löwen am Ende der Runde?

(lacht): Der eine Punkt, der fehlt, den verschweigen wir jetzt. Hatte ich wieder recht, oder? Ich will noch zwei bis drei Spiele abwarten, bis ich eine endgültige Prognose stellen kann. Es wird nicht so einfach, um gleich wieder aufzusteigen. Ich würde mir das wünschen, weil ein Verein wie 1860 nicht in die Dritte Liga gehört, sondern viel weiter nach oben. Für die Löwen wird das in dieser Saison eine ganz schwere Runde, wieder richtig Erfolg zu haben. Es muss alles passen.

In der Regionalliga Bayern war 1860 erfolgsverwöhnt, hat in 36 Spielen 26mal gewonnen…

Nicht nur für die Spieler ist das ein Lernprozess, sondern auch für die Fans. Man darf nicht zu viel erwarten. Die Regionalliga ist mit der Dritten Liga überhaupt nicht zu vergleichen. Vorher hat 1860 meist gegen Amateure gespielt, jetzt ist der Verein zurück im Profifußball.

Daniel Bierofka pendelt derzeit zwischen Hennef und München, um sein Trainer-Diplom abzulegen…

Das ist ein großes Problem - das weiß er selbst. Ich habe meinen Fußballlehrer auch bei 1860 gemacht. Du bist die ganze Woche nicht da. Das ist eine Belastung für den Trainer, die Einstellung der Mannschaft wird ganz wichtig sein. Da kannst du noch so viel telefonieren, du kommst in den Tagen, in denen du in Hennef bist, nicht an die Mannschaft ran. Ich hoffe, dass Daniel den Spagat schafft und ihm seine Zuarbeiter bis März den Rücken freihalten.

Die Dritte Liga ist prominent besetzt wie nie: Zehn ehemalige Erstligisten tummeln sich in dieser Spielklasse. Der KFC Uerdingen hat mehrere Stars wie Stefan Aigner oder Weltmeister Kevin Großkreutz verpflichtet.

Wie alt ist der Großkreutz? Hör mir auf mit Weltmeister! Der ist vier Jahre älter geworden, deswegen wird er kein Spiel mehr alleine entscheiden. Uerdingen war früher immer eine gute Nummer. Namen allein sorgen nicht für den Aufstieg, das Kollektiv ist immer entscheidend. Ich würde auch jetzt nicht behaupten: Lautern steigt auf, so gefallen hat mir das nicht gegen 1860. Ich glaube: Wer den besten Start hat, hat am Ende gute Chancen, vorne dabei zu sein.

Schwabl? Wer so viel Herz hat, sollte eigentlich Präsident bei den Löwen sein

Einen guten Job macht seit Jahren der ehemalige Löwen-Kapitän Manni Schwabl bei der SpVgg Unterhaching…

Das ist für mich keine Überraschung. Der Manni macht immer seine Arbeit: Schon als Fußballer - und jetzt als Präsident. Vielleicht schaue ich demnächst mal wieder in Unterhaching vorbei und “Grüß Gott” sagen. Ich drücke ihm die Daumen, weil er den Fußball lesen kann. Wer so viel Herz hat, Bayern- und 1860-Spieler war, sollte eigentlich Präsident bei den Löwen sein. Ich habe das früher schon nicht verstanden: Der Manni wollte immer bei 1860 etwas machen, aber man hat ihn nicht rangelassen. Man sieht das er’s kann. Schade, dass er da drüben ist und nicht bei uns…

Wie sehen Sie den Absturz des deutschen Fußballs?

Der Auftritt der deutschen Nationalmannschaft, noch dazu als amtierender Weltmeister, war eine Katastrophe - da muss man sich fragen: Herr Löw, was haben Sie da gemacht? Dass sich Ewald Lienen freut, dass wir in der Vorrunde rausgeflogen sind, ist eine Frechheit. Ich habe mich geärgert über die Kaderzusammenstellung. Dass Löw mit Sane den besten Nachwuchsspieler Englands daheim gelassen hat. Das kann ich nicht verstehen. Vielleicht hatten die beiden einen Disput, oder Löw hat die Frisur von Sane nicht gefallen. Aber das darf doch keine Rolle spielen.

Nicht aus den Medien kommt auch die Akte Özil.

Es ist ein Wahnsinn, dass das Theater um Mesut Özil mehr Schlagzeilen produziert als die Aufarbeitung des WM-Debakels. Özil ist türkischer Abstammung, also sollte es auch keine Rolle spielen, ob er mit dem türkischen Ministerpräsidenten ein Foto macht. Der DFB lenkt aus meiner Sicht nur von den eigenen Fehlern ab. Es hat sich doch auch keiner aufgeregt, als Angela Merkel in der Spielerkabine mit Lukas Podolski Wahlkampf gemacht hat…

Wie geht’s wieder aufwärts mit dem deutschen Fußball?

Wir sagen immer: Wir haben die beste Ausbildung. Akademie etc. - aber was lernen sie da? Da muss ich sagen: Wir haben kein Tempo, kein Zweikampfverhalten, hunderte Systeme. Alle spielen den gleichen Rotz! Wo sind die Stürmer? Früher hatten wir Hrubesch, Völler, Klinsmann, Klose - und heute? Mir fällt keiner ein. Ich war vor ein paar Jahren Trainer in der Bezirksliga beim TSV Waging: Die Spieler haben nur immer den Ball hin- und hergeschoben. Als ich mal laut wurde, sagte einer zu mir: “Trainer, das ist nur Training!” Wenn ich keine Lust auf Tore habe, dann kann ich gleich auf den Bolzplatz gehen. Das hat mir keinen Spass gemacht. Die Ausbildung der Jugendlichen ist schlechter geworden: Die können kein Eins-gegen-Eins mehr. Die Trainer befassen sich mit Videoanalysen, mit Ernährung, mit Koordination, aber auf dem Platz wird zu wenig gemacht. Das muss sich wieder ändern.

Wie sehen Sie die 50+1-Regel?

Ich halte nichts davon. Jeder Verein sollte selbst entscheiden, was er braucht. Und 1860 hat 60 Prozent verkauft…

In einer Münchner Tageszeitung hatten Sie zuletzt 1860-Investor Hasan Ismaik scharf kritisiert…

Das stimmt nicht. Das hat ein Reporter falsch geschrieben, der immer wieder versuchte, dass ich gegen Ismaik was sage. Ismaik hat genug für Sechzig getan. Was ich aber sage: Er hätte mit seinem ganzen Geld einen vernünftigen Sportdirektor einstellen müssen, der das alles für ihn überwacht. Und das wurde bis 2016 immer dem Verein überlassen. Dann wäre das alles für ihn anders gelaufen. Das muss man Ismaik vorwerfen.

Hätten Sie sich zu Ihrer Zeit einen Investor gewünscht?

Selbstverständlich, auch wenn ich sagen muss: Ich hatte mit Karl-Heinz Wildmoser den besten Partner und Präsidenten für 1860 an meiner Seite. Wir hatten zwar nicht das große Geld, aber wir haben unglaublich gut zuammengearbeitet. Er hat fast alles gemacht, was ich wollte - und selber gute Ideen. Ums Geld musste ich mir keine Sorgen machen, das hat Wildmoser immer besorgt. Wo er überall Klinkel geputzt hat für seinen Verein, das war unglaublich. Da muss man den Hut vor ziehen…

Es gibt nicht wenige, die behaupten, Wildmoser hätte 1860 zerstört…

Das ist totaler Blödsinn und überhaupt nicht wahr. Er hat den Verein hochgebracht. Die anderen nach ihm haben den Verein kaputt gemacht, nicht Herr Wildmoser. Die Unfähigkeit war an der Grünwalder Straße zu Hause. Wildmoser ist seit 2004 weg und seitdem ging’s nur bergab. Ich kann ihm nur vorwerfen, dass er mit dem Bau der Allianz Arena fast keine Zeit mehr für mich hatte. Das war schade.

1860 darf seine großen Fußballer nicht vergessen!

Wie sehen Sie die Vereinspolitik?

Ich kenne da keinen mehr. Nur noch Daniel Bierofka. Ich bin zwar Ehrenmitglied, aber gehört habe ich schon lange nichts mehr von 1860. Eine Dauerkarte habe ich dieses Jahr nicht bekommen. Vielleicht liegt’s daran, dass es nur 15.000 Plätze im Grünwalder Stadion gibt. Ich habe zuletzt gelesen, dass zwei Leichtathleten zu Ehrenmitgliedern gewählt wurden. Da frage ich mich natürlich: Hätten dies Radi, Grosser & Co. nicht verdient? Die haben aus 1860 diesen Verein gemacht, der er heute ist. 1860 darf seine großen Fußballer nicht vergessen.

Das Grünwalder Stadion ist nachwievor das große Thema bei 1860.

Ich kann die Taktik der Stadt nicht verstehen. Warum dürfen nicht mehr als 15.000 Zuschauer ins Stadion? Wenn die Stadt München mit 1860 etwas zu tun haben will, dann müssen sie dem Verein helfen. Da reicht nicht eine Kapazitätserhöhung von 2500 Plätzen aus, um hinterher zu sagen: “Schaut her! Wir helfen Euch doch!” Das ist lächerlich. 1860 hat so viel für die Stadt schon getan, aber was kommt groß zurück? Die Heimat von 1860 ist an der Grünwalder Straße - die Stadt muss endlich die Karten auf den Tisch legen. Ich bin auch der Meinung, dass 1860 nicht so viele Logen braucht. Viel wichtiger wäre, wenn die Westkurve überdacht würde.