VON OLIVER GRISS

Der nächste potentielle Verwaltungsrat ist raus: Christian Schmidbauer. Warum er kandidiert? “Wenn man mit etwas nicht zufrieden ist, dann reicht schimpfen nicht immer aus, sondern man sollte selbst versuchen, mitzugestalten und sich nicht hinter dem Ofen verstecken und vor sich hingranteln”, erklärte der 39-jährige Finanzangestellte aus Laufen, der nebenbei auch der Region 6 der ARGE vorsteht und sich außerdem in der Jugendarbeit des ehemaligen Bezirksligisten SV Laufen engagiert. Das db24-Interview:

dieblaue24: Herr Schmidbauer, was halten Sie vom “Team Profifußball”, das sich ebenfalls für die Verwaltungsratswahl am 22. Juli stellt?

CHRISTIAN SCHMIDBAUER: Die Grundidee “Zurück in den Profifußball” unterstützen doch viele. Auch Präsident Reisinger hat doch geäußert, dass er aufsteigen will. Daher sehe ich in diesem oberen Ziel keine Widersprüche. Besonders zu begrüßen ist natürlich aus meiner Sicht die Kandidatur von Bernhard Winkler, der eine sportliche Sichtweise in den Verwaltungsrat bringen kann, die bisher von vielen vermisst wurde. Ansonsten sehe ich dies als Angebot an die dann anwesenden wahlberechtigten Mitglieder, genauso wie jeden anderen Kandidaten. Dazu sind Wahlen da, um eine Auswahl zu haben und dann für sich selbst zu entscheiden, nach bestem Wissen und Gewissen.

Sie gelten als kritischer Geist innerhalb der ARGE: Was stört Sie am aktuellen Konzept des Fandachverbandes des TSV 1860?

Ich finde das Konzept gut. Die ARGE sorgt sich um die Gemeinschaft der organisierten Fanclubs. Da gibt es nicht viel falsch zu verstehen. Was ich aber vermisse, sind junge Kräfte in der ARGE, auch Querdenker fehlen mir, die sich bereit erklären für die Gemeinschaft zu arbeiten.

Dennoch gab’s zuletzt aus politischen Gründen einige Austritte aus der ARGE…

Ein „Davonlaufen“ - wenn ich das so nennen darf - ist nicht der richtige Weg. Einmischen und in dem bestehenden Kollektiv etwas ändern, ist aus meiner Sicht der bessere Weg.

Sollte sich die ARGE aus der Vereinspolitik raushalten?

Nein, warum denn auch? Politik beinhaltet unser Leben. Das ganze Leben besteht aus Politik und auch der Sport, insbesondere Fußballsport, ist doch von Politik beherrscht. Das muss uns allen klar sein. Und wenn es um Vereinspolitik geht, halte ich ein starkes, aber gesundes Feedback von Fans und Fangruppen überlebenswichtig und äußerst bereichernd für eine gut funktionierende Vereinsführung.

Präsident Robert Reisinger kritisierte die ARGE-Regionsvorsitzenden, die bei einem Treffen in Olching zusammentrafen, als Claqueure. Sind ARGE-Mitglieder bezahlte Vorklatscher ohne eigene Meinung?

Ich selbst konnte leider nicht an dieser Veranstaltung teilnehmen, da ich zu dieser Tageszeit noch versuchte, das Bruttosozialprodukt anzutreiben. Die Aussage von Herrn Reisinger halte ich doch eher für eine sehr humorvolle Aussage, denn ich selbst habe noch nie Geld fürs Klatschen bekommen. Ein Claqueur soll ja eine Person sein, welche im Theater oder anderen öffentlichen Veranstaltungen bezahlten Applaus liefert. Und wenn wir vorwiegend von Theaterpublikum reden, sollten wir den Blick woanders in München hinwenden. Sechzig ein bezahltes Theaterpublikum ist für mich keine ernsthafte Aussage.

Was will der normale Löwen-Fan: Erfolg oder Tradition?

Beides. Ein Sportverein hat aus meiner persönlichen Sicht immer die Aufgabe im sportlichen Bereich Bestmögliches zu erreichen. Das bedeutet natürlich gewinnen und in unserem speziellen Fall dann auch aufzusteigen. Dass dabei die Tradition auch eine Rolle spielt, darf nicht verschwiegen werden. Doch Tradition kann man nicht bis zur Bedingungslosigkeit als Monstranz vorantragen und nicht links oder rechts schauen. Ein Mittelweg aus modernen Fußball und Tradition scheint mir hier der richtige Weg, auch wenn ich zugebe, dass dies durchaus eine Mammutaufgabe ist. Doch eines muss jedem klardenkenden Mensch vor Augen geführt werden und dies bringt ein Zitat von Gustav Mahler auf den Punkt: Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.

Hat die ARGE noch eine Zukunft? Was würden Sie im Speziellen ändern?

Natürlich hat sie eine Zukunft. Seien wir uns doch alle mal ehrlich. Einen unpolitischen Fan gibt es genauso wenig wie einen unpolitischen Menschen. Ändern sollte sich durchaus, dass man einsehen muss, dass man nicht zwangsläufig immer für alle Mitglieder und Fanclubs sprechen kann, sondern im demokratischen Sinne eben nur Mehrheiten vertreten kann. Demokratie ist nun mal „a Hund“. Weiters sollte versucht werden, eine Verjüngung voranzutreiben. Denn 1860 besteht aus Fans aller Altersklassen.

Von Annäherung zwischen Verein und Investor ist weiter keine Spur - haben Sie Verständnis für dieses Nicht-Verhältnis?

So wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus, das galt in der Vergangenheit oftmals für beide Seiten. Ein bisschen weniger Emotionen, einen großen Hauch mehr Sachlichkeit und vieles würde sich aus meiner persönlichen Sicht wohl einfacher gestalten. Dass dabei beide Seiten in der Vergangenheit augenscheinlich nicht immer gut beraten wurden, sieht jeder Mensch. Wenn es aber schon so weit ist, dass fast der Wunsch nach einem Mediator im Hinterstübchen aufkommt, ist es höchste Eisenbahn etwas von seinen eigenen Empfindlichkeiten herunterzuschrauben.

Die ARGE besteht seit 1977 - viele wünschen sich trotzdem eine vereinsorganisierte Fanbetreuung. Wie stehen Sie dazu?

Egal wieviel Fanclubs es dann immer sind oder wieviel Fans es dann sein sollen. Ich frage mich, wer soll das ernsthaft straff organisieren, verwalten und aktiv mit Leben füllen? Da brauchst Du wohl mehrere Vollzeitangestellte, die im übrigen nicht ehrenamtlich arbeiten werden. Die Masse an Befindlichkeiten und Wünsche zu befriedigen, da kommen doch automatisch Unstimmigkeiten heraus und weiterer Unmut hält Einzug, die mit voller Arbeitskraft zu befriedigen, zumindest abzuarbeiten sind. Denn eine vereinsorganisierte Fanbetreuung kann ja nur alle Fans (egal ob organisiert oder unorganisiert) beinhalten. Die weitere Frage, die sich stellt, unter welcher Form wird hier organisiert. Bin ich Fan des Vereins? Bin ich Fan der Jugendmannschaften? Bin ich Fan der Profimannschaft? Werden die Fans dann in den e.V. oder in die KGaA eingegliedert? Wer ist für was zuständig? Gibt es eine eigene Fanabteilung? Fragen, die man bevor man so etwas fordert, vielleicht sich beantworten lassen sollte.

Hat 1860 eine Perspektive?

Jeder Verein, egal in welcher Spielklasse, hat immer eine Zukunft. Wie die dann im Detail aussieht, das ist hauptverantwortlich die Aufgabe der gewählten und eingesetzten Gremien. Dass dabei nicht alle Entscheidungen auf tosenden Applaus treffen, ist in der Natur der Sache. Franz-Josef Strauß sagte es damals schon so schön und das passt ja fast in alle Lebenslagen: „Everybody´s Darling ist everybody´s Depp !“ Und genau das sagt aus, dass ich auch mal etwas aushalten muss, was mir als „Gewählter“ nicht gefällt.

Fühlen Sie sich als ländlicher Fanclub vom TSV 1860 mitgenommen?

Wir fühlen uns schon mitgenommen, denn der Großteil der Fanclubs und Fans kommt ja unbestritten, trotz großer Stadtpräsenz, aus dem Umland und auch aus ganz Bayern. Was ich jedoch oft an Wertschätzung vermisse ist dies, dass die Fans von außerhalb von München oft sehr viel auf sich nehmen müssen, z.B.: Fahrtwege, um ihre Löwen zu sehen und zu unterstützen. Ein bisschen mehr Wertschätzung für die Arbeit auf dem Lande hat noch nie geschadet und wird auch mit flammender Unterstützung zurückgezahlt werden.

Der Verein ist zerstritten wie noch nie: Haben Sie ein Patentrezept, wie die beiden Fanlager wieder gemeinsam nach vorne schreiten können?

Emotionen runterfahren, Sachlichkeit hochfahren und ein bisschen mit Kopf an die Sachen gehen. Mit reinen Emotionen ist noch nie jemand richtig weit im Leben gekommen.

Sind Sie zufrieden mit der Vereinspolitik des TSV 1860?

Aus der Vergangenheit betrachtet kann man doch nicht zufrieden sein, aber das geht vielen Vereinen so, dass hier vieles falsch gelaufen ist. Innerhalb von knapp über einem Jahrzehnt von der 1. Bundesliga bis in die 4. Liga abzustürzen - da kann man nicht von Zufriedenheit sprechen. Da konnte so einiges nicht stimmen. Aktuell wird sich doch erst ernsthaft herausstellen, wohin der Weg führt, denn jetzt brechen schon alleine im sportlichen Bereich, und dieser sportliche Bereich hebt sich von Natur aus ja schon für den „Otto-Normal-Verbraucher“ von den anderen Dingen ab, die entscheidenden Monate an.

Wie denken Ihre Mitglieder in der Region 6?

Wie in jedem Verein, jeder Partei oder jedem Verband gibt es doch zu allen Themen unterschiedliche Ansichten. Beginnend bei Sechzig mit der Stadionfrage bis hin zur Vereinspolitik und sportlichen Ausrichtung. Diese verschiedenen Ansichten und Meinungen gilt es zu respektieren und nicht in Hasstiraden oder ins Persönliche abzudriften. Es gibt doch keinen Verein, wo alle Mitglieder immer einer Meinung sind. Wenn dies so wäre, würde ich mir sehr ernsthafte Fragen an unsere Gesellschaft und Diskussionskultur stellen. Für jeden Vorsitzenden wäre es doch reine Selbstherrlichkeit, wenn er behaupten würde, dass alle dieselbe und am besten noch seine Meinung haben – davon bin ich weit entfernt.

Der Verein ist so zerstritten, dass sogar dem Fanartikel-Verkauf mit einer eigenen FA-Linie Konkurrenz gemacht wird: Der richtige Weg?

Das allerdings sehe ich schon kritisch. Doch woran es wirklich liegt, ist ebenfalls eine unbeantwortete Frage. Liegt es am Ausrüster? Will man sich wissentlich von der Profiabteilung (hoffentlich bald wieder Profiabteilung) abgrenzen, was im Sinne eines vielgepriesenen Zusammengehörigkeitsgefühls schon ein wenig fatal wäre? Alles hat sicher seinen tieferen Sinn, doch verstehen muss man diese tieferen Beweggründe nicht immer vollends.

Was haben Sie für eine Meinung zum Investor? Es scheint auf der einen Seite die e.V.-Anhänger, auf der anderen Seite die Investoren-Befürworter zu geben…

Ich muss mich wiederholen. Ich bleibe bei meiner Meinung, dass alle Seiten in der Vergangenheit äußerst schlecht beraten waren und sich wohl durch nicht allzu kompetente Einflüsterer aufs Glatteis führen ließen. Daher braucht es bei uns wieder viel mehr Kompetenz im eigenen Haus, im wirtschaftlichen Bereich sowieso, aber auch im sportlichen Bereich. In allen Bereichen strukturell, fachlich und sachlich gut aufstellen, dann kann es solche Unstimmigkeiten und Unterschiede in der Zukunft eigentlich nicht mehr in diesem Maße geben.

Glauben Sie, dass die finanziellen Ressourcen ausreichen, um Dritte Liga zu spielen? Für die Dritte Liga soll nur ein Budget von drei Millionen Euro zur Verfügung stehen - personelle Entscheidungen - wie die Vertragsverlängerung von Daniel Bierofka - sind bis heute nicht vollzogen.

Es muss doch jedem klar sein, dass man, sollte man aufsteigen, nicht sofort oben mitspielt. Da wird es wohl Jahre des Kampfs um den Klassenerhalt geben, bevor man den Blick nach weiter oben richten kann. Kulturell und sportlich ist die 3. Liga durchaus spannend mit vielen Traditionsvereinen aus Ost und West. Was die personellen Entscheidungen betrifft, bleibt uns Fans doch nichts anderes übrig als abzuwarten, zu hoffen und auf die handelnden Personen zu vertrauen. Wir sind keine Entscheidungsträger in dieser Hinsicht und können nur hoffen, dass die richtigen der Entscheidungen getroffen werden.