VON OLIVER GRISS

Nein, das wollte die Fanszene des TSV 1860 nicht so stehen lassen: Nach dem U21-Derby im Grünwalder Stadion, das der Löwe mit 1:3 gegen den FC Bayern verloren hatte, übertraf sich die Münchner Boulevardpresse selbst, schrieb von einem “Münchner Hass-Gipfel”. Hierzu nimmt der 1860-Fanrat in einem offenen Brief nun Stellung:

Wenn auch etwas verspätet, wollen wir nun ebenfalls unseren Senf zur Medienberichterstattung und insbesondere zum Antrag der SPD-Rathausfraktion anlässlich der Ereignisse vom Amateurderby dazugeben. Mit Verwunderung, aber teils auch mit großem Entsetzen hat die Fanszene des TSV 1860 München die Berichterstattung in sämtlichen Münchner Printmedien vor und nach dem Amateurderby vom 12.08.2014 verfolgt. Dem Unbeteiligten, sprich Nicht-Besucher des Spiels, wurde der Eindruck suggeriert, dass an jenem Dienstagabend in Giesing die totale Anarchie und Gesetzlosigkeit ausgebrochen sein muss. Quer durch die Redaktionen der Landeshauptstadt war die Rede vom “Münchner Hass-Gipfel”, von “Fußball-Hooligans” und “marodierenden Fußball-Fans”. Auch die oftmals wenigstens teilweise kritisch hinterfragende SZ schoss sich leider, auch schon zum wiederholten Male, auf die Fans ein und sprang größtenteils auf den Eskalationszug mit auf, den sie mit einem reißerischen Artikel im Vorfeld des Derbys mit auf den Weg gebracht hatte.

Selbst Tage danach ging das muntere Spiel der Übertreibung und blinden Übernahme von Polizei-Statements weiter. Die tz zieht “traurige Bilanz des von Krawallen überschatteten Stadtderbys” und übertrifft sich gemeinsam mit Bild, AZ und Süddeutscher Zeitung in sensationsgeilen Berichten und Schlagzeilen. Frei nach dem Motto: “Je reißerischer, desto besser”. Die vielen kritischen Anmerkungen ihrer Leser in den Kommentarspalten, sowie die Tatsache, dass es an jenem gesamten Tag lediglich 13 Festnahmen gab (übrigens nicht viel mehr als bei einem gewöhnlichen Zweitligaspiel der Profimannschaft des TSV 1860 München), bewirken jedoch kaum ein Umdenken bei den verantwortlichen Redakteuren. Lieber wird der Münchner Polizei mal wieder ausführlich Platz zum Jammern und Lamentieren geboten (“Neue Dimension der Probleme”, “Dass das so nicht weitergehen kann, ist klar”) und eine differenzierte, journalistisch angemessene Berichterstattung komplett unter den Tisch gekehrt.

Die vermeintlichen schweren Ausschreitungen werden allein durch den Einsatz von Pyrotechnik beider Fanlager vor und während des Spiels “begründet”. So wird der durchgehend friedliche Marsch der Löwenfans vom Treffpunkt am Candidplatz zur Stehhalle mit dem Krawall-Anschein versehen, da Löwenfans ja “etliche Feuerwerkskörper” angezündet hätten. Auch der nahezu komplett kontrollierte Einsatz von Pyrotechnik im Stadion erregt bei den Schreibern der eingangs erwähnten Medien einen derartigen Empörungszustand, dass es ganz und gar verwunderlich ist, dass keiner von ihnen im Büro vor lauter Erregung in Ohnmacht gefallen ist. In diesem Zusammenhang sei auch ausnahmsweise der Treffpunkt der Seitenstraßler am Viktualienmarkt genannt, der wegen ein paar Scherben und Pyrotechnik das Prädikat der schweren Hooligan-Ausschreitungen aufgedruckt bekommen hat. Eine Weltuntergangsstimmung am Viktualienmarkt, wie sie durch die Medien gezeichnet wurde, fand laut Club Nr. 12 jedoch in keiner Weise statt.

Den Vogel endgültig abgeschossen haben dann jedoch zwei Mitglieder der SPD-Rathausfraktion. Alexander Reissl und Ulrike Boesser fordern in ihrem Antrag (hier im Original: www.spd-rathausmuenchen.de/service/kolumne-von-alexander-reissl/detail/mitteilung/fussball-hooligans-1.html) Stadtverwaltung und Polizei dazu auf ein Konzept zu entwickeln, um in Zukunft “Ausschreitungen von marodierenden Fußballfans in der Innenstadt, insbesondere auf dem Viktualienmarkt” zu verhindern. Sie versteigen sich schlussendlich zur Aussage, dass “die Presseberichterstattung der vergangenen Woche die Brisanz der Entwicklung zeige”. Jedem vernünftig denkenden Menschen dürften sich nun bei solch einer Behauptung sämtliche Nackenhaare aufstellen. Von demokratisch gewählten Volksvertretern muss erwartet werden, dass sich jene ihre Meinung nicht ausschließlich aus der Medienberichterstattung bilden, die in Zeiten rückläufiger Absatzzahlen immer mehr auf die Klicks (und damit verbundenen Werbeeinnahmen) der Onlineportale bauen muss!

Wir sehen die beschriebenen Entwicklungen der letzten Wochen und Jahre äußerst kritisch und befürchten immer mehr den Versuch einer systematischen Zerstörung des Standorts Giesing als Austragungsort der Münchner Amateurderbys durch Politik, Polizei und Medien. Zudem fordern wir Alexander Reissl und Ulrike Boesser auf ihren populistischen und überzogenen Antrag zurückzuziehen, sich eine differenzierte Meinung über die Geschehnisse zu bilden und in einen offenen und unvoreingenommenen Dialog mit den Fans zu treten.

Wie haben Sie das Derby auf dem Giesinger Berg gesehen? Diskutieren Sie mit!