VON OLIVER GRISS UND IMAGO (FOTO)

Kristian Böhnlein gehört mit seinen über 35,5 Jahren zu den ältesten Spielern der Dritten Liga. Nichtsdestotrotz brennt der Schweinfurter Routinier vor dem Duell bei seinem Herzensverein 1860 München, für den er selbst von 2018 bis 2020 die ersten Drittliga-Jahre mitgemacht hat. Jetzt kommt’s am Samstag ab 16.30 Uhr zum Wiedersehen. Klar ist: Böhnlein hisst mit dem Tabellenletzten nicht die weiße Fahne im Grünwalder Stadion. Das db24-Interview:

db24: Herr Böhnlein, als Sie den TSV 1860 im Jahr 2020 verlassen haben, hätten Sie damals gedacht, dass Sie noch einmal im Grünwalder Stadion gegen Ihre Löwen auflaufen würden?

KRISTIAN BÖHNLEIN: Sagen wir es mal so: Nach dem Corona-Jahr mit den leider für uns negativen Play-off-Spielen gegen Havelse hatte ich das schon im Hinterkopf – es war die Saison, als es für 1860 im letzten Spiel 2021 in Ingolstadt um den dritten Platz ging und Marco Hiller dabei früh vom Platz flog. Dass die Löwen seitdem in der Dritten Liga gefangen sind und wir ausgerechnet aufgestiegen sind, als keiner mit uns rechnete, war nicht absehbar.

Ich fühle mich nicht wie 35, sondern wie 25 oder 28.

db24: Sie sind jetzt in einem hohen Fußballer-Alter: Gilt für Sie das Sprichwort „Je älter, desto besser“?

Das sollen andere beantworten. Ich fühle mich nicht wie 35, sondern wie 25 oder 28. Und ich habe natürlich einen entscheidenden Vorteil: Ich war noch nie schlimmer verletzt. Ich achte seit einigen Jahren viel mehr auf meine Ernährung. Aber ich muss gestehen: Wenn ich mal beim Einkaufen bin, muss ich aufpassen, dass ich nicht zu viel Schokolade kaufe. Die ist bei mir meist schnell weg (lacht).

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db24: Die Rollen sind am Samstag klar verteilt: 1860 ist der haushohe Favorit, Schweinfurt klarer Außenseiter. Warum wird es trotzdem für die Löwen eine heiße Kiste?

Wir wollen lange die Null halten – und selbst unsere Chancen nutzen. Wir werden sie bekommen. Wir waren schon in Rostock drauf und dran, für eine Überraschung zu sorgen. Auch in Essen. Und ich finde: Wir haben es langsam verstanden, wie Drittliga-Fußball funktioniert. Wir haben ein Ziel: Wir wollen für eine Überraschung in München sorgen. Und wir haben auch unsere Fans im Rücken: Über 1.000 Schweinfurter werden uns begleiten – so viele Fans wie noch nie in dieser Saison.

db24: Auf dem Habenkonto stehen nur sechs Punkte nach 16 Spielen – das ist die Bilanz eines Absteigers. Wie groß ist noch die Überzeugung, das Wunder zu schaffen?

Wir dürfen nie vergessen, wo wir herkommen. Intern sind wir natürlich überzeugt, dass wir es noch packen können. Und ich sage Ihnen, wie es ist: Wir rechnen uns schon etwas aus bei 1860. Wir wissen aber auch, dass die Tabelle nicht lügt. Das ist viel zu wenig. Was uns Mut macht, sind die letzten Spiele. Es war nie ein Spiel dabei, in dem wir meilenweit vom Gegner entfernt waren. In Ulm haben wir zwar mit 1:5 verloren, aber fragen Sie mich nicht, warum.

db24: Wenn Sie einem fußballbegeisterten Menschen den FC Schweinfurt in wenigen Sätzen erklären müssten – wie würde Ihre Beschreibung ausfallen?

Auf jeden Fall ist der FC Schweinfurt 05 ein Arbeiterverein: Wir arbeiten Fußball. Dieser Slogan wird gelebt. Wir sind auch ein sehr familiärer Verein: Jeder kennt jeden. Dieser Klub hat die Kraft, zu begeistern. Ich erinnere an letztes Jahr: Es hieß, es kämen 6.000 Leute zum Finale gegen Würzburg, das ja auch ein Derby ist – am Ende waren 13.000 Fans im Stadion.

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db24: Markus Wolf ist der Macher des Schweinfurter Aufschwungs: Er ist Präsident, Geschäftsführer und Sponsor in einem Paket. Wie wichtig ist dieser Mann für den Fußball in Unterfranken?

Ich bin ja auch bei seiner Firma angestellt – ohne ihn läuft in Schweinfurt gar nichts. Im Sommer nach dem Aufstieg hätte ich nicht mit ihm tauschen wollen: Stadt, Sportamt, DFB – Markus war jeden Tag am Schuften. Er ist absolut fußballverrückt, ein emotionaler und ehrlicher Mensch – und ein unfassbarer Geschäftsmann. Ohne ihn würde Schweinfurt vielleicht in der Bayernliga spielen, wenn überhaupt. Was mir auch gefällt: Er hält am Trainer fest. In anderen Vereinen wäre die Trainerstelle die erste Stellschraube gewesen. Das spricht für Markus’ Charakter.

db24: Sie haben es kurz gesagt: Sie sind bei Wolf in der Möbelfirma angestellt. Was machen Sie da genau?

So ist es: Ich bin bei Wolf Möbel für die Lieferscheine in der Buchhaltung zuständig – ich komme pro Woche auf 20 bis 25 Stunden. Manchmal drückt Markus auch ein Auge zu, wenn die Belastung hoch ist (lacht).

db24: Wie bewerten Sie den Kader der Löwen?

Die Stärke dieses Kaders sind die Einzelspieler – von den Namen her gibt es kaum Vergleichbares in der Dritten Liga. In der Breite sind auch Essen und Rostock ähnlich besetzt. Vor der Saison dachte ich, dass das ein klares Ding für 1860 wird. Aber wir kennen diese Liga: Es ist einfach alles möglich – in die eine wie in die andere Richtung. Und es hat sich gezeigt, dass 1860 auch nicht die Übermannschaft in dieser Saison hat.

Mei, der Biero: A harter Hund war er scho!

db24: Wie war Sechzig zu Ihrer Zeit?

Wir hatten eine geile Truppe, intern hat alles gepasst. Und mit Daniel Bierofka hatten wir einen Trainer, der Sechzig liebt. Er hat für uns Spieler alles gemacht. Er hat sehr viel von uns gefordert. Ich war oft im roten Bereich, aber auch die anderen Spieler sagen heute noch: „Mei, der Biero – a harter Hund war er scho!“ (lacht). An seinem Gesicht konnte man gut erkennen, dass ihm der Job viel Kraft gekostet hat. Ihm hat es am meisten wehgetan, aufhören zu müssen. Die Gründe waren leider politisch.

Ich glaube nicht, dass der ausbleibende Erfolg nur an den Strukturen oder dem Grünwalder Stadion liegt – letzten Endes fehlt einfach die sportliche Qualität.

db24: Hat Ihre Liebe zu den Löwen nachgelassen, nachdem der Klub weiter auf der Stelle tritt?

Überhaupt nicht! Einmal Löwe, immer Löwe! Ich war 2004 im Stadion, als Michael Hofmann beim 1:1 gegen Hertha BSC die Retter-Shirts der Abendzeitung in die Nordkurve geworfen hat. Das T-Shirt habe ich immer noch daheim (wurde von db24-Gründer Oliver Griss entworfen, d. Red.) – und Francis Kioyo den Elfmeter in der 89. Minute verschossen hat. Und ich war auch 2017 in der Relegation gegen Jahn Regensburg im Stadion. Ich gönne diesen verrückten Fans, die so unglaublich treu sind, dass 1860 irgendwann wieder Bundesliga spielt. Ich glaube nicht, dass der ausbleibende Erfolg nur an den Strukturen oder dem Grünwalder Stadion liegt – letzten Endes fehlt einfach die sportliche Qualität. Von 2020 ist kein einziger Spieler mehr da, das sagt auch viel aus – und für den Durchmarsch hat der Verein einfach nicht die Kohle. Da muss man der Wahrheit schon ins Auge blicken.