VON OLIVER GRISS

Es geht nicht darum, etwas partout schlecht zu reden oder dem Kader die Qualität abzusprechen. Nein - ganz und gar nicht! Der Kader ist nicht so schlecht, aber er ist nicht richtig ausjustiert. Doch angesichts des gefährlichen Ist-Zustandes - ausgelöst durch die letzten Wochen im alten Jahr, ist es jedoch angebracht, beim TSV 1860 den Zeigefinger zu heben und zu hinterfragen: Ist wirklich allen bewusst, in welcher schwierigen Lage sich die Löwen befinden? Es entsteht zunehmend der Eindruck, dass die Vereinsführung die Ernsthaftigkeit des Abstiegskampfes in der Dritten Liga nicht vollständig erfasst hat. Das einzige, was man zuletzt vernommen hat: Feuerwehrmann? Nein, den brauchen wir nicht! Wir planen langfristig! Der Kader ist besser als der Tabellenplatz!

Alles schön und gut: Wenn die Hausaufgaben in den letzten Wochen erledigt worden wären, dann könnte man entspannter in die restlichen 19 Spiele gehen. Doch vor dem Re-Start gegen Duisburg am Samstag ist nichts erledigt: Die Baustellen im Kader sind nach wie vor offensichtlich und nicht behoben.

Die zwei Test-Siege gegen Tirol (4:1) und Bregenz (6:3) sollte man nicht überbewerten. Es waren Vorbereitungsspiele gegen Gegner, die auf einem ganz anderen Stand der Vorbereitung waren und dem ein oder anderen Entscheider offenbar Sand in die Augen gestreut haben.

Anders als die Löwen tritt die Konkurrenz ihren Defiziten entgegen und rüstet nach. Der MSV Duisburg verpflichtete beispielsweise den früheren Bundesliga-Torjäger Daniel Ginczek, Waldhof Mannheim angelte sich von Erzfeind Kaiserslautern Terrence Boyd. Beide Klubs signalisieren ihren Fans damit: Wir haben uns noch nicht aufgegeben!

Und was machen die Sechzger? Sie fallen mit einer Zurückhaltung und stoischer Ruhe auf, die den leidgeprüften Fans den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Es reicht nicht aus, den Kader nur stark zu reden. Hinten passt’s eigentlich: Die Torhüter sind gut, verteidigt wird recht ordentlich, aber das Offensivspiel ist durch die Bank limitiert - das belegt auch die Torstatistik: Mit nur 18 erzielten Treffern in 19 Spielen gehört 1860 zu den offensiv-schwächsten Vereinen der Dritten Liga. Nur Freiburg und Duisburg haben weniger Tore erzielt. Das sollte die letzten Träumer aufwecken. Und dass man den vereinslosen und in München lebenden Moritz Leitner nicht zum Probetraining einlädt, wirft zusätzlich Fragen auf. Hinterher könnte man immer noch sagen: Das reicht nicht mehr, Moritz! PS: Der vereinslose Berkant Göktan wurde von 1860 zu Zweitliga-Zeiten aus dem Englischen Garten heraus verpflichtet, nur mal so am Rande. Geliefert hat er sofort.

Die Löwen 2024 - maximal blauäugig.

Woran hakt´s, dass 1860 immer noch keinen Neuzugang präsentiert hat, während die Mitkonkurrenten längst nachgeladen haben? Am Geld sollte es nicht liegen - das hatte vor dem Jahreswechsel Marc Pfeifer glaubhaft versichert. Nein, es darf auch keine Ausrede sein, dass Dr. Christian Werner erst seit dem 5. Januar offiziell als Sport-Geschäftsführer vorgestellt worden ist. Der 42-jährige Pädagoge hatte eine mehrmonatige Vorlaufzeit, um 1860 auch in der Tiefe kennenzulernen. Seit September konnte er sich ausführlich ein Bild vom vorhandenen Kader machen. Der neue Gorenzel sollte die Schwachpunkte längst ausgemacht haben. Doch Lösungen konnte er noch keine präsentieren, auch nicht, wie 1860 auf den Trainingsrückstand von Stürmer Joel Zwarts reagiert. Natürlich, Werner will bei seiner großen Chance nichts verkehrt machen. Er weiß: Sein erster Schuß muss sitzen! Doch in dieser Phase auf Zeit zu spielen, ist der Tanz mit dem Feuer. Werner muss jetzt liefern und nicht erst im Sommer. Dafür wurde er vom e.V. verpflichtet. Was hilft ein Vier-Augen-Prinzip, wenn keine notwendigen Entscheidungen für die Löwen-Rettung getroffen werden.

Merke: Ein Drittliga-Abstieg wäre für 1860 ein Fiasko - und käme dem Klub teurer zu stehen als sofortige Investitionen in den nicht ausgegorenen Kader. Jetzt wird es sehr deutlich, dass der Klub in seinen Gremien keine Fußball-Kompetenz hat, sonst hätte längst einer Alarm geschlagen!