VON OLIVER GRISS

Rückblende, Januar 2023: Michael Köllner wird nach einem 1:2 gegen Dynamo Dresden beurlaubt. Damit wird die versprochene Kontinuität an der Grünwalder Straße 114 gebrochen. Wohlgemerkt auf Platz 6 - mit nur drei Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz - wurden dem Oberpfälzer die Arbeitspapiere überreicht. Gegen den Willen von Hasan Ismaik. Köllner durfte sich nicht mal verabschieden. Dabei war der 53-Jährige für 1860 mehr als nur ein Trainer. Er war Ruhepol - und ein leitender Angestellter mit Stallgeruch. Auf der Mitgliederversammlung im Juli sagte Reisinger, dass er sich über sich selbst ärgere. Man hätte Köllner schon viel früher entlassen müssen. Heute spielt Köllner mit dem FC Ingolstadt um den Zweitliga-Aufstieg. Aber das nur am Rande.

Die Reisinger-Logik ist entlarvend für die Giesinger Machtspielchen - und zeigt auch, wie wenig Fußball-Kompetenz in diesem Verein hinterlegt ist.

Klar, man könnte jetzt sagen: Interimstrainer Frank Schmöller hätte beim gestrigen 0:2 in Bielefeld niemals auf diese langsame und viel zu statisch agierende Viererkette setzen dürfen - und ja, der junge Österreicher Michi Glück sollte auf diesem Niveau immer in der Startelf stehen. Mit einer Nacht drüberschlafen wird sich Schmöller wahrscheinlich bewusst darüber sein, dass seine Anfangself nicht dem Drittliga-Standard genügt.

Und trotzdem: Nein, an den Trainern seit 2017 liegt es nicht, dass der TSV 1860 nur noch ein Schatten seiner selbst ist, sondern an den Strukturen, die eine positive Entwicklung erst gar nicht zulassen. Als sich Günther Gorenzel in Richtung Klagenfurt verabschiedete, war das Budget von 4,5 Millionen Euro restlos ausgeschöpft, und das obwohl wichtige Leistungsträger wie Marcel Bär, Yannick Deichmann oder Marius Wörl den Klub bereits ablösefrei verlassen hatten.

Wieviel Stallgeruch haben die Löwen-Bosse?

Umfrage endete am 01.01.2024 10:00 Uhr
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Kurz zuvor hatte der inzwischen geschasste Trainer Maurizio Jacobacci vor Abstiegskampf eindringlich gewarnt. Nachdem der Dauerkarten-Verkauf die Erwartungen weit übertroffen hatte, konnte 1860 in zwei Tranchen noch einmal eine Million Euro in Beine investieren. Zu diesem Zeitpunkt waren aber die Leckerlis schon vom Markt, u.a. sagte Merv Biankadi, gestern Torschütze des Bielefelder 1:0, nach guten Gesprächen mit Jacobacci wieder ab. Der Angreifer wäre gerne zu 1860 zurückgekehrt, aber weil die Löwen nicht flüssig waren, schloß er sich der Arminia an. Die Löwen haben in dieser Saison eine Milion Euro weniger zur Verfügung als noch in der Vorsaison. Und immer wieder wird gern ausgeblendet, dass das ruinöse Grünwalder Stadion rund 1,6 Millionen Euro Miete pro Jahr schluckt.

Auf der Mitgliederversammlung am 9. Juli versprach Reisinger einen neuen Sportlichen Leiter mit Format. db24 deckte wenige Stunden später auf, dass es sich hier um den früheren Löwen-Star Horst Heldt handelt, der zu Zweitliga-Zeiten 2016 ein Traumangebot von Hasan Ismaik nach Gesprächen in London nicht angenommen hatte. Also jenen Heldt, der beim Hauptgesellschafter wegen zusätzlichen Forderungen bereits im Abseits stand - und das sollte Reisinger gewusst haben: Er saß 2016 im Verwaltungsrat - und die beiden Vizes hießen wie damals wie heute Hans Sitzberger und Heinz Schmidt. War Heldt womöglich nur ein weiterer Nadelstich in der Dauerfehde mit Ismaik? Jetzt will der e.V. den unerfahrenen, aber sympathischen Dr. Christian Werner als Sport-Geschäftsführer einsetzen - gegen den Willen der HAM-Seite. Der e.V. hatte den promovierten Werner dreimal zuvor als Sportdirektor abgelehnt. Das muss man nicht verstehen.

Reisinger hat kürzlich gesagt, er sei gespannt, wer für die Saison die Verantwortung übernehmen werde. Es würde dem Ober-Löwen gut zu Gesicht stehen, sich zunächst einmal selbst zu reflektieren, ob er über den Stallgeruch verfügt, den er anderen gleichzeitig abspricht.