VON MARCO BLANCO UCLES UND IMAGO (FOTO)

Auch wenn der Löwe seit mehreren Jahren aus dem großen Fußball raus ist, gibt es dennoch positive Entwicklungen an der Grünwalder Straße 114 zu beobachten: Mit Leandro Morgalla und Marius Wörl hat 1860 zwei deutsche U19-Nationalspieler in seinen Reihen - durchaus beachtlich für einen Drittligisten.

Morgalla fehlte Sechzig zuletzt bei der bitteren Heimklatsche gegen Dortmund II (1:4), da er mit der deutschen U19-Nationalmannschaft an der Eliterunde für die EM-Qualifikation teilnahm. Der Jung-Löwe verpasste mit seinem Team unter der Regie von U19-Nationaltrainer Guido Streichsbier, seit vielen Jahren im DFB-Nachwuchs tätig, die Qualifikation knapp, wurde nach Spielen gegen Italien (2:3), Belgien (1:1) und Slowenien (3:0) Zweiter in seiner Gruppe - zu wenig für die EM-Teilnahme.

Für db24 hat sich U19-Coach Streichsbier die Zeit genommen, um ausführlich über die Entwicklungen im deutschen Fußball sowie die beiden Löwen-Talente Morgalla und Wörl zu sprechen. Der 53-Jährige legt den Finger in die Wunde und zählt auf, wo der deutsche Fußball im Vergleich zu den Top-Nationen Nachholbedarf hat. Zudem spricht er über die Nachwuchsabteilung der Sechzger und verrät, welchen Tipp er Morgalla für seinen weiteren Karriere-Weg mit auf den Weg gegeben hat.

db24: Herr Streichsbier, die EM-Qualifikation wurde mit vier Zählern aus den drei Partien gegen Italien, Belgien und Slowenien knapp verpasst. Ihr Fazit dieser Elite-Qualifikationsrunde?
 
GUIDO STREICHSBIER: Wir sind natürlich enttäuscht. Der Wettbewerb ist hart, das gibt es sonst nirgends, dass von 28 Teams am Ende nur sieben weiterkommen. Wir wussten davor, dass es eine enge Kiste wird. Man sieht es an den anderen Gruppen: Frankreich scheitert an Norwegen, England an Island. Mit Belgien und Italien hatten wir sehr starke Gegner, Slowenien war zuvor auch Sieger einer Gruppe mit den Niederlanden. Trotz der Schwere der Aufgabe haben wir uns Chancen ausgerechnet. Es waren alles sehr enge Partien. Gegen Italien (2:3) hätten wir einfach einen Punkt mitnehmen müssen.
 
db24: Der deutsche Fußball steckt in einer Krise. Was fehlt momentan im Vergleich zu den Top-Nationen, welche Hebel müssen nun in Bewegung gesetzt werden?
 
Auf ein paar Positionen fehlen uns herausragende Spieler. Wenn man auf die A-Mannschaft schaut, sagt man immer, dass das eine sehr gute Mannschaft ist. Wenn man dann aber genauer hinschaut, sieht man, dass es hauptsächlich Mittelfeldspieler mit überdurchschnittlicher Qualität sind. Ich war Kopf der WM-Analyse: Wenn man sieht, was bei anderen Nationen auf der Innen- und Außenverteidigerposition für Spieler unterwegs sind, muss man sagen, dass wir dort einfach nicht top besetzt sind. Das ist die nüchterne Analyse.

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db24: Mit welchen Maßnahmen will der DFB diesbezüglich dagegensteuern?
 
Schon vor der Corona-Zeit haben wir, damals noch mit Stefan Kuntz (heutiger türkischer Nationaltrainer; d. Red.) und Antonio Di Salvo (U21-Nationaltrainer; d. Red.) angefangen, ein spezielles Stürmer-Training zu konzipieren. Das ist heute Teil unserer positionsspezifischen Programme: Mit Christian Wörns haben wir dasselbe für die Defensive getan. Ich war und bin für Mittelfeldspieler zuständig. Wir haben Trainings-Kataloge entwickelt und sind mit den Vereinen, die auch eigene Ideen einbringen, im ständigen Austausch. Es geht nur über harte Arbeit. Wir müssen mit den Jungs, die für uns spielberechtigt sind, härter arbeiten. Das geht nur über stetiges Training. Aber auch die Talente müssen Geduld und Arbeitswille mitbringen - anders wird es nicht gehen!
 
db24: Immer wieder wird der Hilferuf nach “echten Typen” im Fußball laut. Wie sehen Sie das und achten Sie bei Ihrer Nominierung darauf, dass auch Lautsprecher im Team mit dabei sind?
 
Klar, ich hatte letztens ein tolles Gespräch mit Felix Magath. Der hat gesagt: ´Guido, zu meiner Zeit haben noch die Spieler die Spiele gewonnen. Heute habe ich immer mehr das Gefühl, dass die Trainer meinen, sie gewinnen die Spiele.´ Da müssen wir dran ansetzen. Die Spieler müssen bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. Ich habe mit meinen Co-Trainern Jens Nowotny und Gunther Metz viel gesprochen. Jedes dritte Wort im Umgang mit den Jungs war ´Verantwortung´. Die Spieler müssen bereit sein, diese zu übernehmen. Sie müssen die leitenden Köpfe auf dem Feld sein, nicht wir Trainer. Dafür müssen wir ihnen Hilfen an die Hand geben.
 
db24: Stichwort Verantwortung: Hat das auch damit zu tun, dass den Spielern in den Nachwuchsleistungszentren früh viele Aufgaben abgenommen werden, dass sie anders aufwachsen als frühere Spielergenerationen?
 
Ich bin viel unterwegs, war Anfang Januar in Japan, rede viel mit anderen Trainern. Wir müssen ein bisschen aufpassen. 2014 haben uns alle auf die Schultern geklopft für die Installation der Leistungszentren. Jetzt plötzlich verteufeln manche das Ganze. Wir haben hier in Deutschland eine super Organisation, um die uns die ganze Welt beneidet. Wir müssen nun inhaltlich arbeiten. Die Jungs haben mittlerweile nicht mehr so viel Zeit auf dem Bolzplatz, aber dafür mehr in den Talentzentren. Jetzt geht es darum, dass wir ins Detail schauen und bereit sind, uns zu hinterfragen. Dann kriegen wir das wieder hin. Vielleicht nicht in ein, zwei Jahren - aber auf lange Sicht schon! Vielleicht müssen wir die ein oder andere Theorie zurückstellen und wieder mehr auf den Platz gehen, die Jungs individuell fördern, sie spielen lassen. Ein weiterer Punkt: Die Jungs entwickeln sich etwas zu schnell zu Träumern, weil ihnen, auch über ihr Umfeld, oft zu schnell suggeriert, dass sie zu gut sind. Man muss ihnen die Stärken aufzeigen, aber auch ganz klar sagen, wo ihre Schwächen liegen.
 
db24: Warum müssen die Fans sich trotz der zuletzt schwachen Turnier-Ergebnisse keine Sorgen um den deutschen Fußball machen? Welche Aspekte machen Mut?
 
Ich finde es gut, dass auch Vereinsvertreter mit am Tisch sitzen. Der DFB hat nur bedingt Einflussmöglichkeiten. Die Themen müssen vor allem tagtäglich im Verein bearbeitet werden. Das muss immer ein Miteinander sein. Ich bin positiv gestimmt, dass man das alles wieder hinkriegt. Klar, bis 2024 ist nicht mehr viel Zeit. Hansi Flick sollte man jetzt die Zeit geben, etwas zu testen. Dann glaube ich schon, dass es nächstes Jahr ein gutes Turnier wird. Auch die Spieler auf dem höchsten Level müssen bereit sein, mehr zu tun.