VON OLIVER GRISS UND ULI WAGNER (FOTO)

Am Donnerstagmorgen musste man auf dem Einserplatz an der Grünwalder Straße 114 etwas länger suchen, um Interimstrainer Günther Gorenzel, der eigentlich der Sport-Geschäftsführer ist, zu entdecken. Der 51-jährige Österreicher hatte seine Mütze tief ins Gesicht gezogen. Akustisch war Gorenzel, der 2006 als Konditionstrainer mit Walter Schachner in Giesing aufschlug, auch nicht zu hören. Gorenzel, der den Fußballehrerschein mit der Traumnote 1,0 absolviert hat, ist nicht unbedingt als Lautsprecher bekannt. Seine Stärken ist die Analyse - und so war es wenig verwunderlich, dass Stefan Reisinger, der Co-Trainer, den Ton angab. Immer wieder feuerte der frühere Bundesliga-Stürmer des SC Freiburg die Löwen an - meist in aufbauender Wortwahl. Gorenzel, der Zurückhaltende - und Reisinger, der Leidenschaftliche. In dieser Kombination soll das Köllner-Vakuum geschlossen werden. Eine Mammutaufgabe.

Es sei nicht in Gorenzels Lebensplanung gewesen, dass er jetzt Köllners Job übernimmt, sagte er kurz nach der Beurlaubung des Oberpfälzers. Einige Tage sind seitdem vergangen - eine neue Trainerlösung ist beim Giesinger Traditionsverein (noch) nicht in Sicht. Es ist allerdings zu hören, dass es wohl auf eine günstige Variante hinauslaufen wird - und das überrascht angesichts der großen Ziele. Sechs Millionen Euro hat der TSV 1860 in seinen fünften Drittliga-Saison in diesen Kader gepumpt - und jetzt scheitert es womöglich an einer Investition in den wichtigsten Job bei den Löwen? Präsident Robert Reisinger gegenüber dem “Münchner Merkur”: “Den Michael Köllner der Saison 2020/2021 - den würden wir alle sofort wieder nehmen.” Eine Aussage, die viel Raum für Spekulationen lässt.

Schon sicher: Gorenzel und Reisinger werden am Sonntag in Oldenburg (13 Uhr, db24-Ticker) die Mannschaft betreuen. Bis dahin ist es ihre Aufgabe, die Löwen wieder zu wecken. Wenn man am Donnerstag in die Gesichter der Spieler geblickt hat, ist die Freude am Fußball (noch) nicht zurück. Was aber gut ankam im Team: Nach kurzer Ballschule gab es Spiele in Turnierform - drei Mannschaften, jeweils sieben Profis. Für Fußballer das Salz in der Suppe und unverzichtbar.

Und trotzdem gibt es vor der Gorenzel-Premiere einige Baustellen, die im Fokus stehen. Die db24-Übersicht:

Die Freude am Fußball muss zurück: Die Körpersprache der Spieler war nach dem Köllner-Ende noch nicht so, wie man sie im Aufstiegskampf benötigt. Gorenzel muss jetzt schnellstens den Zugang zu Bär & Co. finden, um den Turnaround zu schaffen. Dazu muss der Österreicher selbst lockerer werden, um auf eine Welle mit den Löwen zu kommen.

Das System: Der Schlüssel in der Dritten Liga ist eine ausgezeichnete Abwehrarbeit - und deswegen wird sich der TSV 1860 aller Voraussicht nach vom Köllner-System (4-1-4-1) verabschieden. Der Weg geht zur Doppelsechs in einem 4-2-3-1-System. Zuletzt blieben die Löwen am 15. Oktober beim 2:0 in Osnabrück ohne Gegentor - für eine selbst ernannte Spitzenmannschaft keine gute Quote. Gut möglich, dass künftig der von Köllner verbannte Quirin Moll neben Tim Rieder wieder eine wichtige Rolle spielen wird.

Die Integration von Raphael Holzhauser: Die österreichische Leihgabe, die kurz nach dem Trainingslager in Belek mit großen Vorschusslorbeeren nach Giesing wechselte, hat noch unübersehbare Anpassungsprobleme. Der frühere Bundesligaspieler kann zwar ein feines Bällchen spielen, doch er muss jetzt auch Verantwortung übernehmen und auf einen läuferischen Zustand kommen, um in der robusten Dritten Liga helfen zu können. Vielleicht klappt’s am Sonntag auf seiner Wunschposition als Spielmacher? Gorenzel: “Rapha kann allein kein Spiel gewinnen.”

Die fehlende Souveränität von Marco Hiller: Der Gröbenzeller ist auf der Linie noch immer oberes Drittliga-Regal - jedoch fußballerisch und beim Flankentiming werden seine Defizite deutlich sichtbar. Seit Wochen performt Hiller nicht mehr so wie gewünscht. Der 25-Jährige hat erst vier Zu-Null-Spiele in dieser Saison. Zum Vergleich: Saarbrückens Daniel Batz hielt bereits neunmal seinen Kasten sauber. Im Liga-Vergleich steht Hiller in dieser Wertung auf Rang 12.

Das Bär-Vakuum: Als sich Torschützenkönig Marcel Bär im Sommer 2022 den Mittelfuß brach, glaubte die sportliche Kommandobrücke, den Ausfall auf mehrere Schultern verteilen zu können - eine Fehleinschätzung, auch, dass der frühere Ex-Braunschweiger auf jeden Fall wieder zu alter Stärke zurückfinden würde. Bär ist das große Fragezeichen bei 1860. Er wirkt sehr unglücklich in seinen Aktionen - was er braucht, ist jetzt ein Tor. Vielleicht regelt sich dann alles von selbst. “Aus meiner Sicht ist es primär eine psychologische Geschichte”, antwortete Gorenzel am Dienstag auf die Frage, warum die Löwen nicht mehr liefern, was natürlich auch insbesondere für Bär gilt.