VON OLIVER GRISS

Wenn Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter im Rathaus an seinem Bürofenster steht, dann liegt direkt gegenüber die Wirtschaft von Heinz Wildmoser. Reiter könnte Wildmoser eigentlich zurufen, so kurz ist die Distanz. Oft steht der Gastronom, zumindest bei schönem Wetter draußen an seinem Stamm-Stehtisch, zieht an seiner E-Zigarette und spricht über die gute alte Zeit des TSV 1860. Mit Wehmut. Auch er kann nicht fassen, was aus dem Verein mittlerweile geworden ist - und teilweise von Fans dirigiert wird.

Der junge Wildmoser, was er mittlerweile mit seinen 58 Jahren natürlich nicht mehr ist, könnte Reiter viele Geschichten zum Thema Grünwalder Stadion erzählen - und warum diese Posse nicht nur zukunftslos, sondern auch hochpolitisch ist. Wie gegen seinen Vater, dem stolzen Patriarchen der Löwen, über fast ein Jahrzehnt ein Glaubenskrieg geführt worden ist, der unmenschlich war - und das alles nur, weil er dem Grünwalder Stadion allein aus finanzieller Sicht den Rücken kehrte und sich für das lukrativere Olympiastadion entschieden hat. Wildmoser, der den Verein in dieser Zeit zu einem stolzen Erstligisten und Europapokal-Teilnehmer geformt hatte, wurde von einer kleinen Gruppe als “Wildschweinmoser” oder als “Hendlmörder” beleidigt. Und immer wieder kamen die “Wildmoser raus”-Rufe. Einmal brauchte Wildmoser Polizeischutz - nach einem Derby der U21 gegen die Bayern. Es wurde ein Programm gegen Wildmoser gefahren, das auch im Rückblick noch immer als Schande zu bewerten ist. Jeder, der sich gegen das Grünwalder Stadion stellte, war aus Sicht dieser “Fans” ein Verräter. Diese Undankbarkeit nagte an Wildmoser. Es hat ihn schlichtweg zerfressen. Wie krank die Situation wirklich war, lässt sich gut im größten Spiel der Wildmoser-Ära ablesen: Champions League-Qualifikations-Rückspiel im August 2000 gegen Leeds United, 58.000 Fans im Olympiastadion - 1860 braucht nach dem 1:2 auf der Insel einen Sieg. Spielt furios, verliert aber unglücklich mit 0:1. Was macht die Nordkurve? Sie singt mit rund 1000 Kehlen “Grünwalder Stadion”. Und immer wieder verteilen in dieser Zeit junge Männer Flugblätter, um Stimmung gegen das Präsidium und für das Grünwalder zu machen.

Auch heute, 22 Jahre später, ist das Thema brisanter denn je. Jeder, der zum Grünwalder Stadion eine andere Meinung hat, wird zum Feindbild erklärt. Das Fanmagazin “Brunnenmiller” schrieb zuletzt, dass es seit 25 Jahren einen Kampf ums Sechzger gäbe. Ein Kampf, bei dem es nur einen Verlierer gibt: 1860 München. Die unendliche Geschichte ums Grünwalder.

Braucht 1860 das bundesliga-untaugliche Grünwalder Stadion für 18.105 Fans?

Umfrage endete am 10.05.2022 17:00 Uhr
Nein!
65% (4434)
Ja - aber nur, wenn die Kosten nicht auf die Miete umgelegt werden!
25% (1700)
Ja - unbedingt!
10% (670)

Teilnehmer: 6804

Der aktuelle Präsident Robert Reisinger gilt als großer Stadionfreund. Teile der Fans sind ihm dankbar, dass er den TSV 1860 nach dem Zwangsabstieg 2017 ins Grünwalder Stadion zurückgeführt hat - ohne freilich zu wissen, dass die Löwen in eine Sackgasse geraten. Unter Reisinger wurde von Interims-Geschäftsführer Markus Fauser auch der Mietvertrag mit der Stadt unterschrieben, der dem Klub die Luft zum Atmen nimmt. Dass von Reisinger zu diesem Thema kaum noch inhaltsreiche Aussagen kommen, liegt vermutlich auch daran, dass er inzwischen einen ganz anderen Blick auf die Zahlen des Vereins hat und vor allem in der Verantwortung steht. Die Löwen haben im Liga-Vergleich einen Nachteil von rund 1,5 Millionen Euro. Das sind in der Dritten Liga fünf Topspieler mehr. Und deswegen ist es nur logisch, dass der Traditionsklub aus München-Giesing nach dem Angebot der Stadt, das Grünwalder Stadion für 77 Millionen Euro umbauen zu wollen, nicht Hurra geschrien hat. Wer bindet sich langfristig schon an ein Projekt, das nicht mal garantiert, in der höchsten deutschen Spielklasse antreten zu können, was letztlich jegliche sportliche Zukunftsaussichten beschränkt? Oder wollen die Fans nur Party?

Heute will der Stadtrat in seiner Vollversammlung den XXL-Umbau beschließen. Jetzt braucht die Stadt nur noch einen Verein, der bereit ist, einen marktunüblichen Mietzins für ein nicht erstliga-taugliches Stadion zu bezahlen. Marc Pfeifer, der Finanz-Geschäftsführer des TSV 1860, hat sich bereits klar positioniert - und das ist auch eine Geschichte, die Hoffnung macht, dass die Löwen ganz ohne Emotionen inzwischen auch rechnen können.