VON OLIVER GRISS

Selbstverständlich, der TSV 1860 wird immer einen Sonderstatus im Münchner Fußball einnehmen - schon allein wegen der XXL-Fanlandschaft und der großen Tradition, die hauptsächlich auf die Meister-Mannschaft von 1966 und die gemeinsame Zeit unter Karl-Heinz Wildmoser und Werner Lorant zurückzuführen ist. Zwischendrin und danach gab’s mächtig Leerlauf beziehungsweise Chaos, Streitigkeiten, massive Fehlentscheidungen und viele, viele Ego-Trips. Die Bayern nutzten dies für sich aus - und haben sich mittlerweile Lichtjahre von den Löwen entfernt.

Dass irgendwann mal ein anderer Verein versucht, die Löwen in der Landeshauptstadt zu überholen - nein, das gab’s noch nie. Und genau diesen Trip fährt jetzt Türkgücü München, der ambitionierte Aufsteiger aus der Heinrich-Wieland-Straße. Innerhalb weniger Jahre ist der Klub von der Landesliga in die Dritte Liga aufgestiegen - und die Mission soll noch nicht beendet sein. Laut Geschäftsführer Max Kothny, der in der Branche als großes Talent gilt, will man den Löwen den Schneid abkaufen und mittelfristig die Nummer 2 in der Stadt werden. Das ist der große Traum von Hasan - von Hasan Kivran, dem Self-Made-Millionär.

Doch sind solche Gedankenspiele überhaupt realistisch?

Die Löwen sollten sich zumindest nicht zu sicher fühlen in ihrer Rolle hinter dem deutschen Markenprodukt FC Bayern. Zurücklehnen und glauben, dass das Grünwalder Stadion und die riesige Fan-Base alles regeln, wäre ein riesengroßer Denkfehler.

Kivran hat seine Leute eingeschworen, das Unmögliche möglich zu machen. Dafür zahlt er auch sehr ordentliche Tarife. Leistung und Fleiß werden bei ihm belohnt. Michael Hofmann, der Ex-Bundesliga-Torwart des TSV 1860, arbeitet bereits die vierte Saison bei der türkischen Kraft. Bevor ein Spieler bei TG unterschreibt, will Kivran ihn durchleuchten. Dann hebt oder senkt der Präsident den Daumen, schließlich ist es sein Geld, was in den Verein gepumpt wird.

Auch der Umzug ins Olympiastadion ist mehr als ein plumper Marketingtrick. Türkgücü baut für die Zukunft vor - und hofft auf ein baldiges Ende der Corona-Pandemie. Viele Groundhopper aus der ganzen Welt haben das Olympiastadion auf ihrem Tourzettel - und dann setzt man natürlich auch auf die 60.000 Türken in der Stadt. Dass ihre Landsleute auch innerhalb von München die Fußballbegeisterung packt, ist die größte Herausforderung des Drittliga-Aufsteigers - die zweifelsohne nur mit anhaltenden Erfolgen geweckt werden kann. Dazu gehört aus Sicht der Veranwortlichen auch, den Löwen die Zähne zu ziehen. Überhaupt fährt der Löwen-Rivale eine interessante PR-Strategie.

Ob’s die Blauen registriert haben, was Türkgücü mit ihnen vorhat? Am Samstag im ersten zuschauerlosen Drittliga-Derby geht’s um mehr als drei Punkte. Es geht um Platz 2 im Münchner Fußball. Mit einem Sieg im Grünwalder Stadion würde die Elf von Ex-Löwen-Trainer Alexander Schmidt das erste Mal in dieser Saison vor den Blauen stehen.

Deswegen heißt’s für alle Beteiligten: Obacht, Sechzig!