VON OLIVER GRISS, GETTY IMAGES UND IMAGO (FOTO)

Die Dritte Liga mobilisiert die Fan-Massen. In dieser Saison wurde wieder ein neuer Zuschauerrekord geknackt. Flankiert wird das Spektakel seit Jahren von MagentaSport. Damit die Berichterstattung auch mit Leben gefüllt wird, leistet sich der TV-Sender Experten. Einer davon ist Steven Ruprecht (36). Der robuste Ex-Verteidiger ist mit seinen 216 Einsätzen ein Kind der Dritten Liga. Er hatte sieben verschiedene Drittliga-Klubs, darunter auch Hansa Rostock, Wiesbaden und Fortuna Köln. Beim Löwen-Gastspiel in Essen (heute, 19 Uhr, db24-Ticker) ist er von Magenta als Experte eingeteilt. Das db24-Gespräch:

db24: Servus, Herr Ruprecht: Sie sind inzwischen fester Bestandteil der MagentaSport-Crew: Wie wird man eigentlich Experte für die Dritte Liga?

STEVEN RUPRECHT: Ich war im Oktober 2021 vermutlich zur richtigen Zeit am richtigen Ort (lacht). Und ich habe dann die Chance beim Schopfe gepackt. Ich habe meine Prinzipien: Ich bin ehrlich und direkt - ich denke, dass das bei den Menschen ganz gut ankommt. Ich kann aber auch mit fundierter Kritik umgehen. Ich bin sehr dankbar, dass ich das machen darf. Denn ich weiß: Das wollen viele machen, aber die Plätze vor der Kamera im Fußballbereich sind nun mal begrenzt. Für mich ist das schon ein kleiner Traum. Ich habe keine Medienausbildung, ich würde das aber gerne noch nachholen. Es wird mir auch nachgesagt, dass ich nicht nur reden kann, sondern auch ganz ordentlich schreiben kann. Ich halte die Augen und Ohren offen, wo eine Tür aufgeht. Ich bin im Fußball auch ganz ordentlich vernetzt. Ich warte auf die richtige Anfrage.

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db24: Sie hatten vor der Saison u.a. die Prognose abgegeben, dass mit dem MSV Duisburg ein Traditionsverein aus der Dritten Liga verabschieden wird. Haben Sie hellseherische Fähigkeiten?

(lacht): Das weiß ich nicht. Aber im Fall des MSV Duisburg war das nicht so schwer. Das Gefühl ist über Jahre gewachsen. Wenn du über all die Jahre so viele Fehler machst, bist du irgendwann fällig. Und der MSV eben zu viele Spieler geholt, die bereits über ihrem Zenit waren, u.a. Daniel Ginczek. Der war mal ein richtiger Kracher in der Bundesliga, aber in der Dritten Liga reicht halbe Kraft eben nicht. Da gibt’s nicht nur das Beispiel Ginczek. Ich war übrigens total falsch gelegen bei Dynamo Dresden: Ich war mir zu 1000 Prozent sicher, dass die aufsteigen.

db24: Wie war Ihre Einschätzung zu 1860 München?

Das war klar, dass die Frage jetzt kommt. Ich habe gesagt, dass 1860 nicht in die Top Five kommt. Und leider ist es viel schlechter gelaufen.

db24: Woran liegt’s?

Das ganze Drama außen rum belastet natürlich, das kann keiner ausblenden. Sogar bei mir in Köln kriegt man es mit, dass die sich alle nicht grün sind bei 1860. Das ist nicht leistungsfördernd. Das ganze Konstrukt bei 1860 ist sehr fragil - und Hasan Ismaik hat zwar sehr viel Geld zur Verfügung gestellt, aber das wird bei einem Teil der Fans nicht honoriert.

db24: Aber es lief ja schon mal besser bei 1860: Zweimal wurde die Mannschaft Vierter unter Ex-Trainer Michael Köllner.

In der letzten Saison hatte 1860 unter Köllner für meinen Geschmack den besten Kader seit dem Aufstieg 2018: Viele gute Spieler wie Jo Boyamba, Yannick Deichmann, Marcel Bär, Stefan Lex, Jesper Verlaat, Leandro Morgalla, Marco Hiller oder Marius Wörl. Diese Qualität aufzufangen, ist nicht leicht. Aber 1860 hatte im vergangenen Sommer keine gute Transferperiode und gleichwertigen Ersatz gefunden. Woran das liegt, kann ich nicht bewerten - dazu bin ich zu weit weg. Es gibt ja unterschiedliche Darstellungen. Aber man braucht sich nicht zu beschweren, dass die vorderen Plätze völlig außer Reichweite sind. Warum es nicht funktioniert hat? Ich nenne einige Beispiele: Joel Zwarts war in Regensburg nicht der Stürmer, der 10 Tore plus schießt, Manni Starke hat zwar viele Drittliga-Einsätze, aber war nie ein Topspieler. Er ist von einem Absteiger gekommen. Dann Eroll Zejnullahu: Großes Talent, wenig Durchsetzungsvermögen. Er hat sein zweifelsfrei großes Talent weggeworfen.

db24: Die Löwen, die vor ein paar Wochen schon 14 Punkte Vorsprung hatten, sind zwei Spieltage vor Schluss immer noch in Abstiegsgefahr. Und jetzt müssen sie in Essen bestehen.

Der Verlauf der unterschiedlichen Leistungskurven ist ein Spiegelbild der ganzen Saison. Erst die Anfangseuphorie mit zwei Start-Siegen, dann war 1860 plötzlich in einem Negativstrudel. Maurizio Jacobacci wurde ausgetauscht, im Januar kam dann Agis Giannikis. Erst die Top-Serie von acht Spielen ohne Niederlage, dann vier Pleiten in Folge - und nun zum falschen Zeitpunkt zwei Schlappen in Folge. Stell dir vor, 1860 verliert am Freitag in Essen und einen Tag später gewinnt Halle in Bielefeld. Dann kommt es am letzten Spieltag zu einem Finale im Grünwalder Stadion. Der Verlierer steigt möglicherweise ab. Für die Löwen hängen in Essen die Trauben sehr hoch. Essen will die theoretische Chance auf Platz 3 offen halten. Sie werden das Spiel ziehen - und 1860 wird auf fremde Hilfe angewiesen sein.

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db24: Im Winter hätte man die Baustellen im Kader korrigieren können: Es kamen vier Neuzugänge, die bis auf Abwehrspieler Max Reinthaler aber eher Statistenrollen haben…

Prinzipiell finde ich Winter-Transfers immer schwierig. Ich weiß, wovon ich rede. Ich bin zweimal im Winter gewechselt. Die Reinthaler-Verpflichtung fand ich aber gut - genau solche Transfers können den Unterschied ausmachen. Die Verletzung von Max war jedoch maximal ungünstig. Serhat Güler war ein Transfer mit dem Prinzip Hoffnung. Hätte mich Dr. Christian Werner angerufen, hätte ich ihm gesagt: “Mach’s nicht!” Ich kenne Güler von Fortuna Köln. Er hat ja noch nirgends seine Drittliga-Tauglichkeit unter Beweis gestellt. Mich hat es echt überrascht, als Güler vor der Saison nach Rostock gewechselt ist. Abdenego Nankishi ist ein Talent, das große Anlagen hat - das sieht man. Und Eliot Muteba ist ein junger Spieler, den man probieren kann, aber nicht muss.

db24: Was raten Sie 1860 für die Zukunft, sollte der Klassenerhalt gelingen?

Die Löwen brauchen dringend gestandene Drittligaspieler in einem guten Alter - so wie Robert Tesche beispielsweise in Osnabrück. Auf der Sechserposition brauchst du Erfahrung und Qualität. Das ist bei 1860 auch so etwas wie die Achillesferse. 1860 muss Geld in die Hand nehmen, ansonsten wird die nächste Saison nicht besser. Und ich weiß nicht, was aus dem Nachwuchs nachkommt. Und auf der Torhüter-Position muss wieder Ruhe einkehren: Für mich ist Jacobacci auch über Marco Hiller gestolpert. Für mich gehört er zu den besten Torhütern der Liga. Ich habe das nicht verstanden, warum Jacobacci da ein Fass aufgemacht hat. Für mich ist Hiller der, den man mit 1860 am ehesten in Verbindung bringt. Wenn du ihn rausnimmst, dann musst du ihn abgeben. Mich hat das an die Geschichte in Saarbrücken erinnert: Uwe Koschinat war nie fein mit Batz. Irgendwann hat er dann die Rechnung bezahlt…

db24: Agis Giannikis hat jetzt die selbe Quote wie sein Vorgänger Maurizio Jacobacci - 1,35 Punkte pro Spiel. Sehen Sie trotzdem Unterschiede?

Ich fand Jacobacci immer super sympathisch. Was er gesagt hat, hatte Hand und fußl. Er hat seiner Mannschaft immer einen Plan mitgegeben. Mir hat der Fußball gefallen, aber mit der Hiller-Posse und dem Pokal-Aus auf Landesebene in Pipinsried hat sich Jacobacci selbst ins Abseits gestellt. Giannikis ist im Vergleich zu Jacobacci ein ruhiger Zeitgenosse, ein Arbeiter, der kaum auffällt. Mehr kann ich dazu nicht sagen, weil ich zu weit weg bin.

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db24: Wie kam das bei Ihnen an, dass man bei 1860 einerseits von Demut spricht, andererseits bis 2029 die Nummer 2 in Bayern werden will?

Als Verein musst du natürlich Ziele haben, nur sollten sie auch realistisch sein. Mit diesem Namen und dieser Tradition ist prinzipiell vieles möglich. Doch du musst aus den Fehlern der letzten Jahre deine Lehren ziehen. Wenn du das nicht machst, geht es auf diesem Niveau weiter. 1860 muss alles auf eine Karte setzen und versuchen, in der nächsten Saison aus der Dritten Liga rauszukommen. Halle hat sich auch totgespart. Vor einigen Jahren spielten die noch vorne mit. Jetzt geht’s möglicherweise in die Regionalliga. Trotzdem find ich, dass man auch bei einem geringeren Etat gute Transfers tätigen kann. Das ist jetzt die Aufgabe von Dr. Christian Werner. Daran wird er gemessen.

db24: Sie gelten auch als Kritiker der bayerischen Regionalliga - warum?

Wenn man das Geschehen genau verfolgt, muss ich sagen, man sollte immer den Anspruch haben, in der höchstmöglichen Liga zu spielen. Aus Bayern will doch kaum eine Mannschaft aufsteigen, das ist kein richtiger Wettbewerb. Viele sehen die Regionalliga Bayern als Abenteuer, dabei ist es Leistungssport. Man sollte in Deutschland sich auf vier Regionalligen beschränken. Es kann nicht sein, dass Bayern seine eigene Liga bekommt. Das sollte man dringend abschaffen - keiner braucht die Aufstiegsrelegation.