Graue Gewitterwolken über München-Giesing…
Seit Wochen regnet es mit wenigen Ausnahmen in der bayerischen Landeshauptstadt. Das Wetter hat sich mittlerweile der Gemengelage beim TSV 1860 angepasst – daran ändert auch der 2:0-Sieg im bayerischen Duell gegen Bayreuth logischerweise nichts. Die Stimmung im Klub ist trist, eine gewisse Resignation macht sich breit. Wieder einmal wird der Löwe den Aufstieg in die Zweite Bundesliga verpassen, es wird auch in der Saison 2023/2024 nur drittklassigen Fußball in München-Giesing zu sehen geben.
Doch was ist nach dem historischen Super-Start – fünf Siege aus den ersten fünf Saisonspielen – im Sommer alles schiefgelaufen? Nun, es ist etwas komplizierter. Den einen Grund für das erneute Scheitern gibt es nicht. Vielmehr sind es mehrere Ursachen, die den Löwen weiterhin in der Dritten Liga halten werden. Eine Übersicht:
Risiko auf der Stümerposition wurde bestraft: Noch in der letzten Saison stellte 1860 mit Marcel Bär den Torschützenkönig (21 Treffer). Die Idee im Sommer: Dem unumstrittenen Bär wurden mit Fynn Lakenmacher und Meris Skenderovic zwei junge, hungrige Angreifer-Talente zur Seite gestellt. Dann jedoch kam der 29. Juli: Im DFB-Pokal-Spiel gegen den BVB (0:3) brach sich Bär den Mittelfuß, musste eine fast dreimonatige Zwangspause einlegen. Die Löwen vertrauten auf die Qualitäten von Skenderovic und Lakenmacher sowie darauf, dass Bär nach seiner schweren verletzung schnell wieder zu alter Form kommen würde. Während die beiden jungen Angreifer zunächst auch performten und ordentlich netzten, zeigte ihre Formkurve im Verlauf der Saison immer weiter nach unten. Das Problem: Bär wurde nach seiner Rückkehr Ende Oktober nie wieder der Alte, traf nur dreimal. Lakenmacher führt die interne Torschützenliste an – mit sieben Treffern. 1860 fehlte über die gesamte Spielzeit ein echter Knipser, das machte sich häufig bemerkbar.
Interne Störfeuer: Im Sommer 2022 war die Euphorie an der Grünwalder Straße 114 groß wie lange nicht mehr. Das Sportliche stand öffentlich im Vordergrund, die Fans fieberten auf die fünfte Drittligasaison in Folge hin, die zugleich die letzte werden sollte. Doch schon kurz vor dem ersten Spiel in Dresden (4:3) kam erste Skepsis auf, als Präsident Robert Reisinger im “Merkur”-Interview Trainer Michael Köllner riet: “Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!” Der historisch gute Saisonstart verbarg zunächst die internen Gräben in München-Giesing. Im Herbst dann, als die Ergebnisse schwächer wurden, gab es immer wieder Unstimmigkeiten. Häufig sickerten Internas an die Presse durch, nicht selten sprachen die Verantwortlichen lieber öffentlich übereinander als miteinander. Seit der wenig durchdachten Trainer-Entlassung Köllners Ende Januar gibt der Löwe in der Öffentlichkeit ein trauriges Bild ab. Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik lässt seinem Unmut über seine sozialen Netzwerkkanäle freien Lauf, Reisinger sorgt immer wieder mit skurrilen Aussagen in den Münchner Zeitungen für Aufsehen. Statthalter Anthony Powers kryptischen Instagram-Botschaften gießen zusätzlich Öl ins Feuer. Und die laut mehreren Medienberichten abgemahnten Geschäftsführer Marc Pfeifer und Günther Gorenzel? Sind medial völlig untergetaucht, äußern sich überhaupt nicht. Zustände, die eines professionellen Profifußballclubs unwürdig sind.
Flache Hierarchie in der Mannschaft: Der Fußball hat sich verändert: Die Tage, in denen in jeder Mannschaft einige Alpha-Tiere – wie Sascha Mölders bei 1860 – das Sagen haben, sind größtenteils gezählt. Auch Köllner setzte bei seinem Team auf eine flache Hierarchie. Anfangs klappte das wunderbar: Die Löwen eilten von Sieg zu Sieg, kein Spieler scherte aus. Das Problem: Als die Sechzger im Herbst in die Krise schlitterten, gab es zu viele Akteure, die sich wegduckten, anstatt die Verantwortung zu übernehmen. Die echten Hau-Drauf-Typen in der Mannschaft fehlten. Das anfangs so erfolgreiche Hierarchie-System in der Kabine fiel Köllner schließlich auf die Füße.
Verunsicherte Löwen vier Wochen lang ohne Trainer: Ende Januar reagierten die Geschäftsführer Pfeifer und Gorenzel auf die schwachen Ergebnisse in der Dritten Liga und entließen Trainer Köllner – ohne eine Alternative bereitstehen zu haben. Stattdessen setzte sich Gorenzel selbst auf die Bank. Das Ergebnis ist bekannt: Gegen die Kellerkinder aus Meppen, Oldenburg, Halle sowie den SC Verl holten die Löwen unter der Regie des Österreichers gerade einmal zwei magere Punkte. Der Aufstiegszug war abgefahren. Erst 27 Tage (!) nach dem Köllner-Rauswurf wurde mit Maurizio Jacobacci ein neuer Übungsleiter installiert – und 1860 stabilisierte sich endlich wieder.
Zeitpunkt des Trainerwechsels: Die Zweifel an Köllner werden den Verantwortlichen nicht erst bei der 1:2-Niederlage gegen Dresden gekommen sein werden. Es war die dritte Partie im Jahr 2023. Durch die Winter-WM in Katar hatte man zuvor eine historisch lange zweimonatige Winterpause. Hätte man Köllner bereits Mitte November nach dem 1:1 gegen Rot-Weiss Essen von seinen Aufgaben entbunden, hätte sein Nachfolger lange Zeit gehabt, die Mannschaft auf die 21 Spiele im neuen Jahr einzustellen. Stattdessen stand der Löwe nach der Köllner-Entlassung fast einen Monat ohne Coach da, ehe Jacobacci mitten im Spielbetrieb eine komplett verunsicherte Mannschaft übernahm. Umso höher ist es dem Italiener anzurechnen, dass er dem Team in so kurzer Zeit seine Handschrift verleihen konnte.
Monatelanges Warten auf den Wunsch-Achter: Häufig wurde berichtet, dass Köllner im Sommer all seine Transferwünsche erfüllt wurden. Das stimm nicht ganz: Der Oberpfälzer wollte einen robusten Achter haben, der den Löwen im Mittelfeld noch mehr Präsenz verleihen sollte. Da es im Sommer nicht das passende Spielermaterial auf dem Markt gab, wurde dieser Transfer in den Winter verschoben. Dort konnte sich dann mit Wunschspieler Lukas Rupp, der mittlerweile in der ersten griechischen Liga spielt, finanziell nicht geeinigt werden. Es kam schließlich Raphael Holzhauser. Der Österreicher war nach db24-Informationen besonders ein Wunschspieler Gorenzels. Durchsetzen konnte sich Holzhauser bei 1860 nicht, trotz seiner außergewöhnlichen starken technischen Fähigkeiten. In der Dritten Liga werden viele Partien über Kampf- und Laufbereitschaft. Attribute, die nicht zu Holzhausers Stärken gehören.
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Entfremdung zwischen Fans und Mannschaft: Was waren das für Heimspieltage zu Saisonbeginn auf Giesings Höhen. Die Löwen brillierten auf dem Rasen, die Fans verwandelten das Grünwalder Stadion regelmäßig in einen Hexenkessel. Im Saisonverlauf jedoch veränderte sich das Klima zwischen den Anhängern und Spielern zunehmend. Der – größtenteils zurecht – enttäuschte Anhang ließ seinem Unmut freien Lauf. Häufig mussten sich Stefan Lex und Co. nach der Partie Beschimpfungen am Zaun anhören, die Geduld der dennoch weiterhin reisefreudigen Sechzger-Fans war aufgebraucht. Anstatt auf den Support für die Mannschaft konzentrierten sich Teile der Kurve zudem vermehrt auf politische Botschaften. Eine Tatsache, die dem Team auf dem Rasen freilich wenig weiterhalf. Bleibt zu hoffen, dass den Fans im Sommer wieder eine Löwen-Mannschaft präsentiert werden kann, mit der sich die Zuschauer identifizieren können.
Erst Jacobacci findet einen Zugang zu Jo Boyamba: Bis zur Ankunft von Jacobacci als Löwen-Trainer konnte man den Transfer von Jo Boyamba im Sommer getrost als Missvertändnis bezeichnen. Zu selten ließ der 26-Jährige sein Talent auf dem Rasen aufblitzen, war weder unter Köllner noch unter Gorenzel gesetzt. Ehe Jacobacci das Zepter in München-Giesing in die Hand nahm, kam Boyamba auf vier Scorerpunkte. Seitdem der Italo-Schweizer an der Seitenlinie steht, sammelte der Flügelspieler vier Treffer sowie zwei Assists. Seit Wochen ist er eine absolute Bereicherung für das Spiel der Löwen. “Mit ihm ist der Spaß zurückgekommen, das war in der jüngeren Vergangenheit nicht immer so”, erklärt Boyamba seine Leistungsexplosion. Weder bei ihm noch bei Trainer Jacobacci ist die Zukunft bei den Löwen geklärt. Während es beim Coach nach einer Vertragsverlängerung riecht, ist die Zukunft Boyambas völlig offen.
Mittelfeld-Juwel Marius Wörl zu Jahresbeginn außen vor: Wörl ist unter Jacobacci aus dem defensiven Mittelfeld kaum mehr wegzudenken. Der 19-Jährige ist seit Wochen einer der absoluten Leistungsträger der Löwen. Mitte Oktober feierte er unter Köllner sein Profi-Debüt, ließ auch in einer schwierigen Phase mit seiner aggressiven Spielweise aufhorchen. Unter Gorenzel stand Wörl viermal überraschenderweise überhaupt nicht im Kader. Offizielle Begründung: Wörl sollte der U19 im Kampf um den Bundesliga-Verbleib helfen. Wäre verständlich gewesen, wenn die Drittliga-Mannschaft, die normalerweise immer Vorrang haben sollte, auf Wörl verzichten hätte können. Dem war aber nicht so. Nach db24-Informationen soll Wörl über die Nicht-Nominierungen enttäuscht gewesen sein. Seit dem 2:2 in Duisburg, Jacobaccis zweites Spiel, stand der U19-Nationalspieler Deutschlands in jeder Partie 90 Minuten lang auf dem Platz, ein Gewinn für 1860. Sein Vertrag läuft im Sommer aus. Kann der Löwe sein Talent zum Verbleib überzeugen oder verliert man Wörl ablösefrei?
Der Toto-Pokal wurde leichtfertig hergeschenkt: Ende September reiste der Löwe im Toto-Pokal-Viertelfinale als Tabellenzweiter der Dritten Liga zum damaligen Schlusslicht der Regionalliga Bayern, der FV Illertissen. Mit einigen unerfahrenen Spielern in der Startelf – unter anderem Devin Sür, Michael Glück und Alexander Freitag – unterlag 1860 nach einer katastrophalen Leistung und schied aus dem bayerischen Landespokal aus. Der Tenor damals: Nicht so schlimm, unter die ersten vier Plätze der Dritten Liga wird 1860 allemal kommen und sich somit für den DFB-Pokal qualifizieren. Ein Trugschluss, wie wir heute wissen. Sechzig wird im kommenden Jahr nicht im DFB-Pokal vertreten sein, muss somit auf eine sechsstellige Summe verzichten – bitter.