Nein, so ganz sicher bin ich mir mittlerweile nicht mehr, ob bei 1860 vielleicht die versteckte Kamera mitläuft.
Aber dazu später mehr: Am Freitag, kurz nach 11 Uhr, saßen sie im großen modernen Sitzungssaal der IHK – direkt gegenüber dem Münchner In-Club “Call me drella”: Die beiden Hochkaräter vom Bündnis, Klaus Lutz und Martin Gräfer – sowie Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik, der im farbenfrohen Deutschland-Trikot erschienen war. Rhetorisch wurde die Präsentation von der Bündnis-Seite hochwertig geführt. Man fühlte sich für diesen kurzen Augenblick der verbalen Ausführungen an bessere Zeiten bei den Löwen erinnert, wieder auf einem Niveau, das 1860 besser zu Gesicht steht als Abtauchen oder Manuskripte ablesen. Allein dieser Askept ist Balsam für die geschundene Löwen-Seele.
Ismaik hatte sich mit dem Bündnis auf einen neuen Sechs-Punkte-Plan verständigt, der die Löwen in eine bessere Zukunft führen und vor allem eines garantieren soll: Eine gedeihliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit gegenseitigem Respekt ohne Tarnen und Täuschen.
Der Haken bei der Sache: Das Strategiepapier greift nur, wenn das Bündnis am Sonntag bei der Mitgliederversammlung gewählt wird und die Mehrheit im Verwaltungsrat gewährleistet ist – wenn nicht: Dann geht der weiß-blaue Zirkus weiter: Destruktiv und perspektivlos. Eben eine Fortsetzung von sieben Jahren Verzwergung nach dem Motto “Giasing, Oida!”
Sogleich kommen wir schon zum absoluten Höhepunkt, der Schenkelklopf-Charakter hat: Wenige Stunden nach der Bündnis-Präsentation veröffentlicht die “TZ” ein beachtliches Interview – die Headline hat durchaus satirische Züge: “Nie gegen Ismaik!” Die Verwaltungsrate Nicolai Walch, Uli Kellner und Sascha Königsberg – drei der Hardliner auf e.V.-Seite – fühlen sich seit 2017 offenbar falsch interpretiert. Gegenüber dem durchaus e.V.-freundlichen Merkur-Reporter Uli Kellner, der das Interview führte, wollte das selbstbewusste Trio nichts von einem Konfrontationskurs gegen den jordanischen Mehrheitsgesellschafter wissen. Natürlich nicht! Nie! Never! Wie kommt man denn überhaupt auf solche Theorien?
Sebastian Seeböck, der zu Zweitliga-Zeiten das “Not welcome”-Plakat in der Arena gegen Ismaik hochgehalten hatte, erklärt nun mit voller Überzeugung: “In der Vereinsführung, die seit 2017 im Amt ist, arbeitet keiner gegen Herrn Ismaik.” Eh klar! Und Königsberg fügt hinzu: “Es wird immer gesagt, wir wären Hardliner und würden einen Anti-Ismaik-Kurs fahren. Das stimmt aber gar nicht. Es geht nicht gegen Hasan, es geht für Sechzig München.” Für welches Sechzig? Für das alte oder eher bemitleidenswerte Sechzig der Neuzeit? An dieser Stelle: Glückwunsch zu den großen beispiellosen Erfolgen mit dem Profifußball des TSV! Bitte nicht auf das Dach des Löwenstüberls zum Feiern klettern!
Achso, ja, und sowieso. Logisch, der Rauswurf des fleißigen Geschäftsführers Marc Pfeifer und die Installierung der beiden 50 1-Geschäftsführer Oliver Mueller und Dr. Christian Werner sind ganz normale Vorgänge (nichts gegen die Personen!) – oder das schäbige Verhalten gegenüber dem fleißigen Vize-Präsident Hans Sitzberger, der ehrlichen Giesinger Haut. Oder die entlarvende Whatsapp-Nachricht von Präsident Robert Reisinger im Zuge des Werbens um Horst Heldt als Sportchef an die beiden Vizes: “HAM wäre evtl. eher zum Verkauf bereit gewesen.” Nein, Hasan ist der beste Mann! Wir haben uns doch alle lieb! Mei, ist des scheee. Und die Mail an Hasan Ismaik (liegt der db24-Redaktion vor), dass die Sprechstunde in der Geschäftsstelle nicht erlaubt sei – vermutlich alles nur eine Erfindung. Prinzpiell sollte man Satire kennzeichnen.
Warum sich die drei Super-Löwen in der Wochenend-Ausgabe der TZ unmittelbar vor dem Wahlsonntag von ihrer besten Seite zeigen wollen, hat natürlich einen entscheidenden Hintergrund: Sie wollen wieder gewählt werden und ihren Kurs fortsetzen – sonst ist möglicherweise der Super-Sonderstatus am Grünspitz futsch.
Mir persönlich sind Souveränität, Empathie, Vernunft, starkes Netzwerk in die Wirtschaft und eine Basis mit Ismaik wichtiger als ein spärliches Lastminute-Dementi, das mich – sorry – an den Postillon erinnert. Die Chance, 1860 besser zu machen, war für Walch, Seeböck & Co. die letzten sieben Jahre gegeben – jetzt sollte endgültig neue Kräfte ran, um den TSV 1860 wieder zu vereinen und zukunftsfähig aufzustellen. Wer den aktuellen Verwaltungsrat wiederwählt, wählt Reisinger!
Jetzt liegt’s ausschließlich an den Mitgliedern, die sich entscheiden müssen: Können sie sich aufraffen und einige Stunden im Leben dem TSV 1860 abseits des Rasens schenken? Diese MV ist ein echtes Endspiel – wichtiger als jede Drittliga-Partie. Es ist ein Finale um die Zukunft.
Oliver Griss (Jahrgang 1971) berichtet seit 1989 über den TSV 1860, ging den Weg von der Bayernliga bis in die Champions League-Qualifikation aus der ersten Reihe mit – und zurück.