Europapokal-Finalist, DFB-Pokalsieger, Deutscher Meister…
Was heute für die Spieler des TSV 1860 in ganz, ganz weiter Ferne ist, konnten sich die erfolgreichen Löwen-Akteure der 1960er-Jahre auf die Fahne schreiben. Hans Reich hat die erfolgreichste Epoche der Vereinsgeschichte entscheidend mitgeprägt. Der Defensiv-Spezialist lief zwischen 1960 und 1969 für die Löwen auf, erzielte in 179 Ligaspielen sieben Treffer.
Heute lebt Reich, der im Juli 80 Jahre alt wurde, in München. Seine Sechzger hat er nicht aus den Augen verloren, kommt regelmäßig mit den anderen noch lebenden Meister-Löwen Bernd Patzke, Fredi Heiß, Hans Rebele und Ludwig Bründl zusammen. Im großen db24-Weihnachts-Interview spricht Reich über die Löwen der Neuzeit, die fehlende Einstellung der heutigen Fußballer-Generation und wie diese zustande kommt sowie das frühe Aus der deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Katar.
db24: Herr Reich, Weihnachten steht vor der Tür. Wie wird im Hause Reich gefeiert?
HANS REICH: Wie immer bescheiden im Kreise der Familie. Wir essen zusammen, dann gibt es die Bescherung. So wie es vermutlich bei den meisten Familien abläuft.
db24: Kamen vor dem Weihnachtsfest die Meister-Löwen nochmals zusammen?
Es gibt ja leider nicht mehr viele. Der Radi ist in Belgrad, ich habe ihn bestimmt schon zehn Jahre nicht mehr gesehen. Mit den anderen treffe ich mich schon regelmäßig, auch wenn wir vor Weihnachten nichts Besonderes gemacht haben.
db24: Um was geht es dann in den Gesprächen? Um Sechzig? Um die alten Zeiten?
Wir reden ja Gott sei Dank nicht nur über Sechzig (lacht). Wir reden auch über die Welt, über normale Themen abseits der Löwen. Aber natürlich geht es auch um Sechzig. Man erzählt sich Anekdoten von früher. Mal hat der eine eine lustige Geschichte auf Lager, mal der andere.
db24: Und der Kontakt zu 1860? Besteht er noch?
Michael Köllner lädt uns ein paar Mal im Jahr ein. Das ist immer recht nett, das gefällt mir. Außerdem gehe ich zu den Heimspielen, habe eine Ehrenkarte erhalten. Das finde ich toll vom Verein. Ansonsten ist aber kein Kontakt da.
db24: Zu ihrem 80. Geburtstag im Juli kam vom Verein relativ wenig…
Wenn ich nichts erwarte, kann ich auch nicht enttäuscht werden (lacht). Immerhin: Michael Köllner hat mir gratuliert, das hat mich sehr gefreut.
db24: Blicken wir einmal auf diese Drittliga-Saison, man steht auf Rang sechs. Ihr Eindruck von dieser Spielzeit?
Schwierig, schwierig. Am Anfang haben sie unheimlich viele Punkte geholt, auch etwas Glück gehabt. Danach kam aber ein Durchhänger, der normalerweise nicht passieren darf. Das ging schon bei der 0:1-Niederlage in Illertissen los, es folgte das 0:1 in Bayreuth. Das geht gar nicht! Wenn ich aufsteigen will, kann ich nicht im Pokal gegen einen Viertligisten ausscheiden und kurz darauf beim Tabellenletzten verlieren. Ich habe das Spiel in Bayreuth gesehen. Man kann natürlich mal einen schlechten Tag haben, auch wir haben damals nicht immer toll gespielt. Aber wenn dann Bayreuth die bessere Mannschaft ist in so einem Spiel, ist das schon ziemlich enttäuschend.
db24: Was muss passieren, damit 1860 wieder in die Erfolgsspur zurückkehrt?
Wenn ich so eine Einstellung wie in Illertissen oder Bayreuth habe, steige ich nie auf. Nie! Die Spieler müssen auf den Platz gehen, um alles dafür zu geben, zu gewinnen. Dann geht auch was, definitiv. Sechzig hat ja gute Fußballer. Die Einstellung ist das Entscheidende!
db24: Muss Sechzig aus Ihrer Sicht nochmal nachrüsten? In welchem Mannschaftsteil?
Die haben ja sowieso schon 25 Spieler unter Vertrag. Ich frag mich immer, wieso brauche ich 25 Spieler, wenn ich bei sieben von ihnen weiß, dass sie sowieso nicht spielen. Mit 17,18 Spielern komme ich normalerweise aus. Wir sind damals mit 15 Mann Meister geworden. Freilich kann man Pech mit Verletzungen haben, das haben andere Mannschaften auch. Aber meine Meinung ist, dass wenn ich alles für den Sport tue, ihn lebe, dann bin ich auch nicht so oft verletzt. Wenn sie noch einen Spieler holen, dann hoffentlich im Mittelfeld, da fehlt es leider bei uns. Ist halt die Frage, ob sie da im Winter ein Schwergewicht bekommen können. Aber gut, dass muss Köllner wissen, er ist der Trainer.
db24: Im Herbst prasselte viel Kritik – intern sowie extern – auf Köllner ein. Glauben Sie, dass er der richtige Mann ist, um die Löwen wieder hochzubringen?
Ich bin der Meinung, dass er ein guter Trainer ist. Bei manchen Situationen ist er allerdings zu menschlich. Max Merkel war damals zu schlimm, aber ich muss als Trainer auch mal sagen: ´Meine Herren, bis hierhin und nicht weiter.´ Ich mag ihn, er ist mir symphatisch. Aber er muss den Spielern auch mal in den Hintern treten.
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db24: Heutzutage wird häufig über die Einstellung der Fußballer gesprochen. Wieso war das früher anders?
Ich bin alles andere als neidisch, aber: Wir mussten unser Geld verdienen, hatten 1.200 Mark Grundgehalt. Alles andere musstest du dir über Auflauf- oder Siegesprämien verdienen. Wenn du schlecht gespielt hast und draußen warst, war der Geldbeutel am Ende des Monats leer. Deswegen haben wir Samstag für Samstag dafür gekämpft, zu gewinnen, damit wir zuhause unsere Familien ernähren konnten. Heutzutage müssen das die Spieler nicht mehr machen, sie bekommen das Geld einfach. Wenn ich damals 50.000 Euro im Monat verdient hätte, hätte mir Max Merkel erzählen können, was er wollte. Dem hätte ich gesagt: ´Du kannst mir den Schuh aufblasen´. Diese heutige Einstellung spiegelt sich auch in der deutschen Nationalmannschaft wieder.
db24: Waren Sie überrascht vom frühen DFB-Aus?
Nein, überhaupt nicht. Im Spiel, in dem es um alles geht, liegen wir 1:2 hinten gegen Costa Rica. Gegen Costa Rica! Nicht einmal die Fidschi-Inseln würden 1:2 hinten liegen gegen Costa Rica. Aber die deutsche Nationalmannschaft mit vielen Weltklasse-Spielern, die ist 1:2 hinten. Hauptsache, die Spieler sind tätowiert und haben gefärbte Haare. Uns fehlen auch Anführer, wie es Matthäus oder Beckenbauer waren. Man kann ja mal einen schlechten Tag haben. Aber wenn ich keine Einstellung zum Leistungssport habe, dann lasse ich es bleiben. Auch über die Nominierungen von Hansi Flick habe ich mich gewundert.
db24: Inwiefern?
Der Mokouko von Dortmund spielt drei Tage Bundesliga und fährt zur WM mit. Es geht nicht um die Leistung, sondern bei welchem Verein man spielt.
db24: Spielen Sie auf die Bayern-Achse im Team an?
Jeder, der einen deutschen Pass besitzt und beim FC Bayern spielt, ist automatisch Nationalspieler. Und wenn der Platzwart noch kicken könnte, wäre der auch dabei. Hat der Füllkrug in den letzten Jahren keinen Ball getroffen? Nein, er hat einfach beim falschen Verein gespielt. Aber drei Tage vor der WM soll der dann auf einmal der Retter der Nation sein, das kapiere ich nicht. Auch Kevin Volland ist so ein Beispiel…
db24: Der Ex-Löwe machte im November vergangenen Jahres seine letzten Länderspiele…
Der ist ein Kämpfer, einen unbändigen Willen. Solche Fußballer brauchst du auf dem Platz. Der hat aber keine Chance, weil er beim falschen Verein spielt. Aber dann holen wir den Mokouko, weil der seit drei Tagen bei Dortmund spielt. Nichts gegen junge Leute. Aber früher musste man ein, zwei Jahre gut in der obersten Liga spielen, um in die Nationalmannschaft zu kommen.
db24: Was muss sich im Hinblick auf die Heim-EM ändern, damit Deutschland wieder zur Spitze dazugehört?
Dass der Herr Flick nach der Leistung und nicht der Vereinszugehörigkeit aufstellt, das ist das A und O.