VON OLIVER GRISS

Natürlich, der Sieg von Japan ist nicht nur mir spanisch vorgekommen…

Deutschland diskutiert jetzt: Das 2:1 des flinken und überaus engagierten Weltranglisten-24. gegen den WM-Champion von 2010 war zweifelhaft, der Ball hatte zumindest mit dem bloßen Auge die Torauslinie vor dem Treffer überschritten - und selbst nach der Video-Kontrolle wollte man das Tor der Japaner nicht annullieren. Aber wie heißt es so schön: Wer sich auf andere verlässt, ist oft verlassen…

Doch diese Entscheidung, die der DFB-Auswahl trotz des eigenen 4:2-Erfolgs über Costa Rica das frühzeitige WM-Aus bescherte, darf nicht hinwegtäuschen, dass der deutsche Fußball seit Jahren bröckelt. Der Beweis: WM-Vorrunden-Aus 2018, EM-Achtelfinal-Aus 2021, WM-Vorrunden-Aus 2022.

Es bleiben nur die schönen Erinnerungen an den Gewinn des WM-Titels 2014 in Rio, als der blutende Bastian Schweinsteiger bis zur Ekstase fightete und schließlich den WM-Pokal in die Luft stemmen durfte - oder an die Helden von Rom: 8. Juli 1990 - das 1:0 gegen Argentinien. Lothar Matthäus, Andi Brehme, Rudi Völler, Guido Buchwald und Thomas Häßler - u.a. diese Spieler prägten die goldene 90er-Generation. Damals war die Fußball-Welt in Deutschland noch in Ordnung. Man diskutierte nicht über politische Statements, sondern um das Spiel. Heute kann ich mich mit dem deutschen Fußball nicht mehr identifizieren. Zu wenig Klasse, zu wenig Spaß - und zu viel taktisches Geplänkel und Zufriedenheit in den Klubs. Hinzu kommt, dass Vereinssatzungen und Folklore rund um den Stadion-Besuch in den deutschen Profiligen heutzutage wichtiger sind als erfolgreiches Handeln. Was bringt dir die Verteidigung der Tradition, wenn du den Anschluß an die Spitze verlierst? Der Claim “Made in Germany”, der einst für das Wirtschaftswunder Deutschland stand - das war einmal. Ein Blick in die Nachwuchsleistungszentren reicht: Alle sind gleichgeschaltet. Es gibt kaum noch Individualisten. Typen? Fehlanzeige! Nur nicht anecken und alles schönreden - das ist Deutschland im Jahr 2022. Der Fußball ist ein Spiegelbild der Politik. Oder schauen Sie in Ihren Heimatverein: Viele Klubs können sich nur noch mit Spielgemeinschaften helfen, um den Spielbetrieb zu sichern - weil der Nachwuchs fehlt.

Nein, das Aus bei der Wüsten-WM ist kein Zufall, sondern nur die Bestätigung von seit Jahren schlechter und unreflektierter Arbeit im Hause des DFB. Die deutsche Bundesliga ist längst nicht mehr das Premiumprodukt, für das es sich selbst hält. Während in England gleich mehrere Vereine ernsthaft um den Titel spielen, visiert der FC Bayern auch in dieser Saison die nächste Meisterschaft an. Die Frage ist nur: An welchem Spieltag können die Bayern vorzeitig feiern? Und genau das ist das Problem: Dass der Rekordmeister ein Solo nach dem anderen hinlegt, liegt nicht an den großen Fähigkeiten von Hasan Salihamidzic, sondern ist vor allem dem schwachen Wettbewerb geschuldet - und natürlich auch der unzureichenden Kapitalzufuhr im Vergleich zu den Big Playern in Europa. Frag nach bei Erling Haaland. Warum sollte dieser Ausnahmestürmer in Dortmund bleiben, wenn er sich bei ManCity mit den Top-Stars der Welt messen kann?

Der deutsche Fußball ist nicht mehr der unschlagbare Gigant, sondern nur noch ein abgeschlagenes Zwergerl. Wir stehen in einer Reihe mit den Fußball-Großmächten Katar, Ecuador, Iran, Wales, Mexico, Saudi-Arabien, Tunesien, Dänemark, Costa Rica oder Kanada, die mit uns vorzeitig nach Hause fahren…

Sprüche wie “Jetzt kommen wir stärker zurück!” dienen ausschließlich der Beruhigung der Fans. Wer übernimmt die Verantwortung für dieses Scheitern im deutschen Fußball? Bitte jetzt nicht wegducken!