VON OLIVER GRISS

Über die WM in Katar hat man ja schon recht viel gelesen, eigentlich wurde ja fast alles bislang verrissen - und so habe ich mich heute für den ultimativen Selbsttest entschieden. Ist die WM wirklich so schlimm, wie sie nicht nur von den Mainstream Medien gemacht wird? Nein! Aber dazu später.

Im WM-Park im Dubai-Stadtteil JBR, direkt am Meer, habe ich mich in meinem Urlaub für die Partie von Rekord-Weltmeister Brasilien gegen die guten Serben entschieden - und ich gebe zu: Die überdimensionale 20-Meter-Leinwand mit Blick auf die Wolkenkratzer hat mich beim lockeren Spaziergang animiert - 100 Dirham (umgerechnet 25 Euro Verzehr-Gutschein) hat mich der Spaß gekostet. Und ich bereue: Nichts!

Denn, was ich bei zwei Pepsi-Cola (ich brauch kein Bier!) und einem Chicken-Sandwich erleben durfte, war möglicherweise eines der bislang besten WM-Spiele 2022: Technik, Dynamik, Leidenschaft, Tempo - und ein Jahrhundert-Tor des Brasilianer Richarlison, worüber man bestimmt noch in 30 Jahren sprechen wird. Das war Kunst pur. Entschlossenheit sowieso. Diesen Treffer werden Sie in den nächsten Tagen zu jeder Stunde serviert bekommen, wenn Sie den Fernbedienung in der Hand haben. Wetten dass?

86496.jpg

Und Sie werden es nicht glauben: Die Bilder, die zumindest bei der BBC ausgespielt wurden, wirkten nicht gefälscht, sondern absolut authentisch: 88.103 Zuschauer verzauberten das Lusail Iconic Stadium in einen Hexenkessel, in dem beide Fanlager für sensationelle Stimmung sorgten. Nach bezahlten Klatsch-Kameraden sah das nicht aus. Was mich neben der fußballerischen Leistung überzeugte: Kein Pyro, keine Hassplakate gegen irgendwelche Feindbild - und auch keine Beleidigungen von der Tribüne aus. Sondern einfach nur geiler Fußball und friedlicher Support. In dieser Qualität ist Fußball der schönste Sport der Welt.

Das ist das, was Deutschland fehlt. Dass wir zuletzt gegen Japan kläglich verloren haben und jetzt um das Weiterkommen zittern müssen, ist ein hausgemachtes Problem. Wir Deutschen diskutieren lieber über andere, anstatt in die eigene Fehleranalyse zu gehen, um wieder besser zu werden. In den Nachwuchsleistungszentren werden längst nicht mehr die Individualisten gefordert und gefördert, sondern die Spieler sind beliebig austauschbar. Wirkt irgendwie gleichgeschaltet. Keine gute Eigenschaft, um wieder eine führende Fußball-Macht zu werden.