VON OLIVER GRISS UND ULI WAGNER (FOTO)

Sonntagvormittag an der Grünwalder Straße 114: Ein paar Kiebitze sind an diesem Traum-Spätsommertag gekommen, um die Löwen nach diesem desillusionierenden 1:1 beim SC Verl zu beobachten. Handgezählt waren es neun Zuschauer, inklusive db24. Alle kamen vorschriftsmäßig mit Maske. Im Grunde war es wieder ein verkapptes Geheimtraining, eine Übungseinheit unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Vorsichtshalber hatte 1860 zwei Ordner eingesetzt. Man weiß ja nie…

Richtig Bock auf Sechzig am Wahlsonntag? Kaum vorhanden! Der Boulevard fehlt. Keine Fanblogger gesichtet. Schlaue Taktikfüchse sowieso nicht. In der “Sechzger Alm” dagegen spielte die Blasmusik, und im Löwenstüberl wurde sich auch fröhlich zugeprostet, als würden die Löwen auf einem Aufstiegsplatz stehen. Hauptsache gmiatlich ist’s - freilich für einen guten Zweck (NLZ-Sanierung!). Trotzdem: 1860 lebt aktuell in einer Parallelwelt.

Auf dem Rasen stand keine 100 Meter von der Alm entfernt ein sehr nachdenklicher Michael Köllner, der auf einem kleinen beweglichen Tor lehnte und seine Reservisten (ohne Kapitän Sascha Mölders, der lieber radelte) auf dem Fünferplatz beobachtete.

Was geht Köllner gerade durch den Kopf? Hat er noch die Kraft, die Löwen wieder aufzurichten? Sieht er selbst noch eine Perspektive bei 1860? Und warum soll’s im Winter besser werden bei den Konsolidierungs-Löwen? Geld ist keines da, um die Mannschaft zu verstärken. Außerdem laufen 14 Verträge im Sommer 2022 aus.

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Im November 2019 trat Köllner, der Nürnberger Aufstiegstrainer, voller Euphorie und Geschick seinen Dienst als Bierofka-Nachfolger an, um die Löwen besser zu machen. Dieser Plan war lange aufgegangen - auch weil der nimmersatte Torheld Sascha Mölders lieferte, lieferte und lieferte. Im Mai verpasste Köllner jedoch den Aufstieg in die Zweite Liga um Haaresbreite - just zu dem Zeitpunkt, als er mit dem österreichischen Traditionsverein Austria Wien flirtete.

In der Sommerpause rühmte man sich bei den Löwen, dass man die geplanten Transferaktivitäten noch vor dem Trainingsstart abgeschlossen hat - und ansonsten auf die Mannschaft des Vorjahres vertrauen wird. Eine Fehlplanung! Experten hatten schon im Sommer gewarnt. Bei 1860 wurde das in typischer Art “weggelächelt”. Stichwort fehlende Breite des Kaders.

Jetzt lernt der Oberpfälzer die Schattenseite des Löwen-Kosmos kennen - 1860 befindet sich in einer Abwärtsspirale. Seit fünf Spielen hat der Löwe nicht mehr gewonnen - Platz 13. Erste Kritik am Trainer wird laut: “Zu weich für 1860!” Und: “Das Schönreden beherrscht er aus dem Eff-Eff.” Köllner lässt sich den Gegenwind nicht anmerken. Am Sonntagmittag besuchte der 51-Jährige auch das Schafkopfturnier der “U60”, ließ Selfies zu und übernahm die Siegerehrung. Eigentlich passt Kumpeltyp Köllner so herrlich zu 1860. Aber was ist, wenn der Turnaround nicht zeitnah geschafft wird?

Das Ziel, die Löwen in die Zweite Liga zurückzuführen, kann jedoch nach zehn Spieltagen getrost ad acta gelegt werden. Die Mannschaft wirkt total verunsichert. Die Spielidee (Stabilität, hohes Pressing, große Torgefahr) ist verflogen. Es geht jetzt darum, die Mannschaft den Abstiegskampf zu ersparen. Noch hat 1860 drei Punkte Vorsprung auf Rang 17.

Aber wie lange noch?