VON OLIVER GRISS UND STEFAN MATZKE (IMAGO)

Unter dem Titel “Habt ihr den Knall nicht gehört?” meldete sich die aktive Fanszene (Münchner Löwen) am Freitagabend zu Wort. Ihr missfällt vor allem der Event-Charakter im Fußball in den schweren Corona-Zeiten. Die Kritik richtet sich gegen die Fußballfirma des TSV 1860. Auch das 1860-Präsidium um Robert Reisinger hatte sich zuletzt Geistertickets besorgt. Das Statement im Wortlaut:

Am vergangenen Freitag fand mal wieder ein Spiel unserer Löwen statt, ohne dass wir Fans im Stadion sein konnten. Was für ganz Fußballdeutschland/-europa traurige Realität ist, wollen viele Vereine nicht wahrhaben: Fußball ohne Fans ist kein echter Fußball!

Jedoch besitzt der Profifußball in Deutschland bereits eine Sonderrolle während der Pandemie. Statt dies in Demut zu honorieren, wird das Ganze mittels Eventisierung und Vermarktung maximal ausgeschlachtet. All diese Entwicklungen stehen im größtmöglichen Kontrast zu den vorherrschenden gesellschaftlichen Einschränkungen und Umweltbedingungen des Vereins. Die ganze Stadt, insbesondere Giesing, der eigentliche Mittelpunkt unseres Vereins, steht seit einem Jahr still: Die Boazn, der Einzelhandel, ja selbst die Laufhäuser sind geschlossen. Nur das 90-minütige Fußballspiel findet alle zwei Wochen völlig losgelöst und surreal zum Umfeld statt.

Statt diesen Ist-Zustand zu akzeptieren, versucht auch unsere KGaA, Partien gegen Ingolstadt und Haching zu emotionalen Derbys hochzuspielen, um dann über „Geistertickets“ sowie eine Zaunfahnenaktion die Fans weiter hauptsächlich kommerziell mit einzubeziehen und eine nicht stattfindende Rückkehr zum Normalzustand zu suggerieren bzw. voranzutreiben.

Nach der Ultra-Kritik: Was sollte der TSV 1860 sein?

Umfrage endete am 19.03.2021 23:00 Uhr
Ein Klub im Profifußball mit allen Vor- und Nachteilen!
86% (1487)
Ein Stadion-Verein!
8% (134)
Amateurliga - Hauptsache, Boazn!
6% (112)

Teilnehmer: 1733

Das ist in unseren Augen aufgrund mehrerer Gesichtspunkte unpassend. Zum einen werden so die Geisterspiele normalisiert, gewöhnliche Punktspiele ohne Fans eventisiert und zu Marketingzwecken hochstilisiert. Zum anderen ist für uns das Aufhängen von Zaunfahnen im leeren Sechzgerstadion äußerst befremdlich. Unserem Verständnis nach sind Fans und Fahnen untrennbar miteinander verbunden und eine ohne Präsenz aufgehängte Fahne ist keinesfalls ein Ersatz für die Löwenfans im Stadion. Letztendlich dient dies einer aus unserer Sicht nicht hinnehmbaren Etablierung der ohnehin hochumstrittenen Geisterspiele in einer weltweiten Pandemielage.

Diese Kritik geht Hand in Hand mit derer an den Geistertickets. Während der Profifußball in der privilegierten Situation ist, seinem Alltagsgeschäft nachzugehen und dabei allerlei Sonderrechte genießt, gibt es Vereine, die es unter dem Deckmantel scheinbarer Solidarität mit den Fans immer weiter auf die Spitze treiben. Statt sich seiner sozialen Verantwortung und der Ausnahmelage bewusst zu sein, wird durch Marketing und Treueschwüre rücksichtslos und egozentrisch möglichst viel Kapital generiert und die Sonderrolle mutmaßlich überbeansprucht, von jeglicher Verantwortung gegenüber den eigenen Fans und dem Umfeld ganz zu schweigen. Die Geisterticket-Aktion gaukelt eine Normalität der absolvierten Geisterspiele vor und misst Treue von Fans in einer ausschließlich monetären Größe, ungeachtet der finanziell schwierigen Lage in großen Teilen der Gesellschaft und somit auch der Anhängerschaft.

Jedem, der unseren Verein im Herzen trägt, ist bewusst, dass seitens des Vereins eine gewisse Kreativität notwendig ist, um eine solch neue und schwierige Situation zu meistern. Dennoch lautet unser Fazit: Die Vereine müssen sich ihrer Privilegien in der Ausnahmesituation bewusst werden, soziale Verantwortung gegenüber ihrem Umfeld übernehmen, aufhören, Geisterspiele künstlich zu vermarkten und die Entfremdung zwischen Fans und Verein voranzutreiben - für eine nachhaltige, solidarische und gesamtgesellschaftliche Lösung! Fußball, wie wir uns ihn wünschen ist erst wieder, wenn das Stadion uneingeschränkt durch Fans besucht werden kann. Nichts kann die Fans im Stadion ersetzen.
Fußball gehört den Fans!