VON TOBIAS FISCHBECK

Es ist ein mehr als jämmerliches Bild, das der Deutsche Fußball Bund seit Monaten abgibt. Seitdem bekannt geworden ist, dass die Weltmeisterschaft 2006 gekauft war, jagt ein Skandal den nächsten und die Präsidenten geben sich reihenweise die Klinke in die Hand. Fast so wie in Vergangenheit beim TSV 1860.

Welche Funktion hat ein Sportverband? Vereine schließen sich in einem Verband zusammen. Dieser soll einen Spielbetrieb organisieren, Regeln festsetzen und kontrollieren. Ob diese im Sinne der Gleichheit eingehalten werden? Werden Regeln gebrochen, muss ein Verband einschreiten und dies sanktionieren. Doch genau das macht der DFB, der mit fast sieben Millionen Mitgliedern größte Sportfachverband der Welt, derzeit mitnichten. In der Dritten Liga kann derzeit fast jeder machen, was er will. Strafen? Wenn dann nur in sehr geringem Maße. Wir sind ja schließlich mittendrin in der Pandemie.

Der TSV 1860 ist ein gebranntes Kind, was Sanktionen des DFB angeht. 1982 wird den Löwen die Lizenz aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten entzogen. Der TSV muss in die drittklassige Bayernliga und verbringt dort fast zehn Jahre auf den Dorfplätzen: Eching, Ampfing und Helmbrechts - Sie wissen schon. 2017 verpasst der TSV 1860 nach dem sportlichen Abstieg in die Dritte Liga eine Deadline, um die nötigen finanziellen Mittel für die Lizenz nachzuweisen. Kein Fristaufschub! 1860 muss in die viertklassige Regionalliga Bayern absteigen. Paderborn darf als sportlicher Absteiger doch in der Dritten Liga bleiben. Anschließend schaffen die Paderborner den Durchmarsch in die Bundesliga.

Davor stieg der der TSV 2004 aus der Bundesliga ab. Francis Kyoyo verschoss am vorletzten Spieltag gegen Hertha BSC in der 90. Minute den wichtigsten Elfmeter der vergangenen 20 Jahre. Das Spiel endete 1:1. Wie sich später heraus stellte, wurde nach diesem Spiel bei Berlins Marco Rehmer das Mittel Betamethason nachgewiesen, das auf der Dopingliste stand. Wie reagierte der DFB? Als der TSV 1860 schon in der Zweitliga-Vorbereitung in Sterzing war, kam die Meldung, dass Rehmer “gedopt” war. Der Spieler wurde sechs Wochen gesperrt, die Spielwertung blieb aber bestehen - sehr zum Frust der Löwen.

Sollte der TSV 1860 gegen dieses Urteil Beschwerde einlegen?

Umfrage endete am 29.01.2021 17:00 Uhr
Ja!
72% (3542)
Nein!
20% (976)
Mir egal.
9% (423)

Teilnehmer: 4941

Am 4. November 2005 wurde bei Löwenspieler Nemanja Vucicevic nach der Partie gegen Burghausen der Wirkstoff Finasterid nachgewiesen. Der eitle Serbe hatte sich ein Haarwuchsmittel verabreicht, dessen Wirkstoff auf der Dopingliste stand. Auch wenn Vucicevic erst in der Schlussphase in der 72. Minute eingewechselt wurde, als die Löwen mit 2:0 führten und der Sieg so gut wie feststand, wird die Spielwertung aufgehoben und ein Nachholspiel angesetzt. Vucicevic wird für sechs Monate gesperrt. Das Wiederholungsspiel verliert 1860 mit 0:1 und somit misslingt in der Folge auch der Wiederaufstieg in die Bundesliga.

Vor der aktuellen Spielzeit der Dritten Liga meldet der 1. FC Kaiserslautern am 1. September 2020 Insolvenz an. Früher war das gleichbedeutend mit einem Lizenzentzug. Wie reagiert der DFB diesmal? Gar nicht. In Zeiten von Corona haben Klubs in so einem Fall nichts zu befürchten, haben Narrenfreiheit. Mit aller Macht soll der Fall von 50+1 verhindert werden. Der Einstieg von externen Investoren, die die Macht bei in Schieflage geratenen Klubs übernehmen würden, soll unbedingt vermieden werden. Die Vereine, die versuchen vernünftig zu wirtschaften, sind die Gelackmeierten. Nachdem der FCK seine Rechnung nicht mehr bezahlen konnte und Klubs weiterhin auf die Überweisung von Transfererlösen warten, kauft der FCK sogar groß ein, verpflichtet etwa mit den Ex-Löwen Marvin Pourie oder Tim Rieder zahlreiche namhafte Spieler und schwächt somit auch die nach den Regeln agierende Konkurrenz. Der mit vielen Qualitätsspielern gespickte Kader aber funktioniert nicht in Kaiserslautern. Hätte man den roten Teufeln vor der Saison neun Punkte abgezogen, könnte man in der Pfalz bereits für die Regionalliga Südwest planen.

Die Dritte Liga versteht sich selbst als Sprungbrett und als eine, die den Nachwuchs fördern soll. Daher wurde die sogenannte U23-Regel eingeführt. Pro Spieltag und Team müssen mindestens vier Spieler unter 23 Jahren im Kader eines Drittligisten stehen, die für eine Auswahl des DFB spielberechtigt sind. Gegen diese Regel verstößt erst der 1. FC Kaiserslautern. Beim 1:1 gegen den SV Wehen-Wiesbaden wird Hikmet Ciftci als vierter U23-Akteur eingesetzt. Der 22-Jährige aber war nicht in Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft. Ein eindeutiger Regelverstoß. Dem DFB, dem stets die offiziellen Spielberichte der Schiedsrichter zugehen, fällt der Regelverstoß angeblich erst verspätet auf. Durch das verspätete Einleiten des Ermittlungsverfahrens ist kein Punktabzug mehr möglich. Kaiserslautern muss 4000 Euro bezahlen. Das war’s.

In neun (!) Spielen setzt der 1. FC Saarbrücken - übrigens auch beim 2:1-Sieg gegen 1860 am 21. Oktober - mit Marin Sverko einen 22-jährigen gebürtigen Pforzheimer ein. Der Verteidiger hat sowohl die deutsche als auch die kroatische Staatsbürgerschaft und war bereits 23mal für kroatische U-Auswahlteams im Einsatz. Für den DFB ist er zu diesem Zeitpunkt also nicht spielberichtigt. Auch wenn er sich immer noch für die deutsche A-Nationalmannschaft entscheiden könnte. Dazu bedürfte es erst einen Antrag, der vom Weltverband FIFA genehmigt werden müsste. Innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntwerden des Vergehens hätte der DFB Anklage erheben müssen, um den Saarländern die Punkte abzuziehen. Doch da die Ermittlungen erst später eingeleitet werden, „kommt ein Punktabzug nicht mehr in Frage“, so Stephan Oberholz als stellvertretender Vorsitzender des DFB-Sportgerichts. Stattdessen muss der Aufsteiger eine Geldstrafe in Höhe von 30.000 Euro nach Frankfurt überweisen. Nicht mehr, nicht weniger. Mit einem Punktabzug für Saarbrücken hätte 1860 wohl einen Konkurrenten um den Zweitliga—Aufstieg weniger. So ist der Aufsteiger richtig gut im Rennen, um nächstes Jahr Millionen an TV-Gelder zu kassieren.

Was heißt das für die Dritte Liga? Es kann in dieser Saison anscheinend jeder machen, was er will. Der Verband wird seinen Aufgaben nicht mehr gerecht. Einige Vereine tanzen dem DFB auf der Nase herum, haben aber mit fast keinerlei Konsequenzen zu rechnen. Es wird mit zweierlei Maß gemessen. Vereine, die sich an die Regeln halten, sind die Leidtragenden. So kann man diesen Verband und diese Liga nicht mehr ernst nehmen. Die Devise muss heißen: Schnell raus aus dieser Witz-Liga! Ab der Zweiten Liga hat bekanntlich die DFL das Sagen und nicht mehr ein einst ruhmreicher Verband, der ein Schatten seiner selbst geworden ist.

Tobias Fischbeck (39) ist TV-Kommentator für DAZN, MagentaSport und Eurosport. Zudem hat er mit db24-Gründer Oliver Griss den Löwen-Podcast Radis Erben hochgezogen.