VON OLIVER GRISS UND BERND FEIL (MIS)

Der TSV 1860 steht vor einer ungewissen Zukunft - das Präsidium um Robert Reisinger sieht das anders und veröffentlichte am Mittwochmorgen eine Presseerklärung. Ob’s ein Zufall ist, dass der Verein sich nur wenige Stunden nach dem “AZ”-Interview von Saki Stimoniaris auf eine Aufsichtsratssitzung vom 17. Februar meldet? Die Erklärung im Wortlaut:

Verehrte Mitglieder, liebe Löwinnen und Löwen,

auf der Aufsichtsratssitzung der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA am 17. Februar 2019 standen Strategie- und Etatberatungen für den Profifußball auf der Agenda. Wir möchten Sie als Mitglieder aus Sicht des Präsidiums über den Verlauf und das Ergebnis direkt informieren.

Günther Gorenzel und Michael Scharold präsentierten den Gesellschaftervertretern vier verschiedene von den Geschäftsführern erdachte Entwicklungsmodelle für die kommenden drei Jahre mit den zugehörigen sportlichen und wirtschaftlichen Rahmendaten. Stark vereinfacht beschrieben, handelt es sich dabei um vier Szenarien:

Szenario 1 geht von einer kompletten Eigenfinanzierung der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA ohne Fremdmittel aus. Der Saisonetat für die Profimannschaft läge in diesem Fall zwischen 3 und 3,5 Millionen Euro.

Wie ist diese Summe einzuordnen? Sie entspricht im Vergleich mit dem Wettbewerb einem durchschnittlichen Etat. Bei finanzschwächeren Klubs in der Dritten Liga liegt das Saisonbudget um die 2 Millionen Euro. Gehobene Etats sind zwischen 5 und 7 Millionen Euro anzusiedeln.

Auswirkungen: Um den genannten Etat ohne Fremdmittel generieren zu können, wird die TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA ihre Ausgaben auf die Profimannschaft konzentrieren müssen.

Szenario 2 geht auf ein Angebot des Vereins zurück, den finanziellen Spielraum für die Profimannschaft zu erweitern, indem der Aufwand für das Nachwuchsleistungszentrum solange vom Verein allein getragen wird, bis der angestrebte Wiederaufstieg in die Zweite Liga erreicht ist. In diesem Szenario würden die Mannschaften U19 und U21 wieder unter dem Dach des Vereins geführt.

Auswirkungen: Die Ausbildungsmöglichkeiten im Nachwuchsleistungszentrum blieben für alle Mannschaften weitgehend auf dem bisherigen Level erhalten und die Profimannschaft hätte finanziell mehr Bewegungsfreiheit zur Erreichung ihrer sportlichen Ziele.

Szenario 3 beinhaltet Darlehen unseres Mitgesellschafters in Höhe von 2 Millionen Euro pro Saison, die jeweils termingerecht zur Lizenzierungsphase bereitzustellen wären.

Szenario 4 geht sogar von Darlehen unseres Mitgesellschafters in unbegrenzter Höhe aus.

Auswirkungen: In den beiden letztgenannten Szenarien steigt der Schuldenstand der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA bei unserem Mitgesellschafter. Die Aufnahme neuer Darlehen würde die Unwucht der Gesellschaft nur weiter vergrößern. Wir halten das perspektivisch nicht für sinnvoll.

Die vier genannten Modelle gingen den Gesellschaftern im Dezember vergangenen Jahres vorab zur Prüfung zu. Das Präsidium hat sich mit den Vorschlägen ausführlich beschäftigt und sich Anfang Januar gegenüber der Geschäftsführung erklärt. Wir halten Szenario 2 für ein tragbares Modell für die kommenden drei Jahre, weil es die Balance hält zwischen der erforderlichen Konsolidierung des Unternehmens und der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Profimannschaft. In der Aufsichtsratssitzung der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA am 17. Februar 2019 bekamen die Gremiumsmitglieder die Details dazu von den Geschäftsführern noch einmal ausführlich persönlich erläutert.

Die Vertreter unseres Mitgesellschafters mochten sich in dieser Sitzung zu keinem der von der Geschäftsführung vorgestellten Modelle bekennen. Die Ablehnung erfolgte ohne nähere inhaltliche Begründung. Um das vom Verein präferierte Szenario 2 realisieren zu können, bedarf es der Zustimmung unseres Mitgesellschafters. Diese war zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu erlangen. Deshalb plant die Geschäftsführung bis auf weiteres mit Szenario 1.

Deutlich machten die Vertreter unseres Mitgesellschafters in der Sitzung jedoch, dass nach ihrem derzeitigen Kenntnisstand von Seiten der HAM International Limited mit finanziellen Zuwendungen für die TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA in keiner Form mehr zu rechnen sei. Das ist die freie unternehmerische Entscheidung der HAM International Limited, die wir respektieren.

Bekanntlich belasten die Nachwirkungen der Politik kreditfinanzierter Risikoinvestitionen – insbesondere aus der Zweitliga-Abstiegssaison 2016/2017 – die TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA stark. Teile der bestehenden Darlehen unseres Mitgesellschafters wären deshalb spätestens zum Jahresende 2018 in Genussscheine zu wandeln gewesen, um eine Verschlechterung der Eigenkapitalquote zu vermeiden. Die Wandlung hat unser Mitgesellschafter zum Stichtag nicht im erforderlichen Umfang vorgenommen, weshalb der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA vom Verband eine Geldbuße in Höhe von 5 % der sanktionswürdigen Eigenkapitalverschlechterung auferlegt wird. Der Vorgang zeigt noch einmal eindrücklich, weshalb das Präsidium weiteren Finanzierungsinstrumenten dieser Art aus der Hand unseres Mitgesellschafters zurückhaltend gegenübersteht.

Dem von manchem Vertreter der HAM International Limited in der Öffentlichkeit gern erweckten Eindruck, Gesellschafterdarlehen oder Genussscheine wären eine Form von Geschenk des Investors an den Klub, muss widersprochen werden. Das ist mitnichten so. Die TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA ist als Kreditnehmerin zur vollständigen Rückzahlung aller gewährten Kreditmittel samt einer Gegenleistung in Form von Zinsen vertraglich verpflichtet. Daran ist nichts ehrenrührig. Aber es ist auch kein Mäzenatentum.

Wir halten mittelfristig eine Diversifikation der Kapitalgeber der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA für wichtig, um Risiken abzubauen und Chancen zu erhöhen. Die Lasten im Profifußball müssen auf mehrere Schultern verteilt werden. Es gibt seriöse Interessenten für einen Einstieg als dritter Gesellschafter. Voraussetzung dafür ist die Zustimmung der beiden bestehenden Gesellschafter, Anteile an der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA abzugeben, sowie eine Neuordnung des Kooperationsvertrags. Im Fall des Vereins würde über einen möglichen Verkauf von Anteilen letztlich die Mitgliederversammlung befinden müssen. Die Vertreter unseres Mitgesellschafters haben in der Aufsichtsratssitzung einem entsprechenden Vorschlag des Vereins, die Option zu überdenken, eine spontane Absage erteilt.

Die Konsolidierung und Restrukturierung der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA ist wirtschaftlich dringend erforderlich. Wir handeln als Gesellschaftervertreter aus Verantwortung gegenüber dem Klub und seinen vielen Mitgliedern im Verein, indem wir auf diesem Prozess bestehen. Er ist Aufgabe der Geschäftsführung. Wir werden sie als Verein dabei bestmöglich unterstützen.

In den kommenden drei Jahren werden sich viele Partner und Sponsoren ebenso wie die Mitglieder und Fans des Vereins leidenschaftlich für den TSV 1860 München engagieren. Für diese Unterstützung sind wir dankbar und sicher, dass sie Früchte trägt.

Durch umsichtiges Wirtschaften, eine geschickte Transferpolitik und kluges sportliches Handeln lässt sich Substanz erzeugen. Der TSV 1860 München braucht Mitarbeiter, die diese Herausforderung tatkräftig annehmen.