VON OLIVER GRISS

Emanzipieren wollte sich der TSV 1860 von Investor Hasan Ismaik nach dem bitteren Zwangsabstieg 2017, einen Kurs der schwäbischen Hausfrauen-Politik fahren. Doch die Realität ist leider eine ganz andere - und die Erkenntnis ist vor allem sehr hart für die vielen Traditionalisten. Ohne Ismaik können die Drittliga-Löwen nämlich: Gar nix!

Die traurige Wahrheit: Von Ismaiks Zwei-Millionen-Darlehen, das eigentlich für zwei (!) Jahre vorgesehen war, benötigen die Löwen bereits im Dezember, also keine sechs Monate später, 1,5 Millionen Euro. Damit es überhaupt richtig weitergeht, muss Ismaik laut “SZ” bis zum 31. Dezember zudem Darlehen in Höhe von rund 5,2 Millionen Euro umwandeln. Ist das der berühmte Fünfjahres-Plan von Geschäftsführer Michael Scharold?

Nach den großspurigen und realitätsfremden Aussagen der 1860-Bosse ist die Finanzpolitik nach dem schwarzen Freitag als blauer Offenbarungseid zu werten. Die Löwen können offenbar weder richtig haushalten noch eine Traditionsmarke wieder zum Leben erwecken, wäre da nicht Daniel Bierofka mit seinem leidenschaftlichen und hungrigen Team. Manchmal hat der kritische Beobachter das Gefühl, der Löwe (und das ist nun mal in erster Linie die 1. Fußball-Mannschaft) wird weiterhin nur verwaltet und gemolken, bis die Quelle 1860 endgültig versiegt ist. Passt ins Bild, dass man im Sommer finanziell potente Löwen-Mitglieder wie Thomas Hirschberger oder Norbert Oxee (beide sind Multi-Millionäre) aus dem “Team Profifußball” vergrätzte als zu umgarnen. Und Profifußball funktioniert eben nur mit Kohle und nicht mit Nostalgieträumchen. Selbst in Unterhaching werden die besten Spieler fremdfinanziert.

Dass die Wohlfühlkathedrale Grünwalder Stadion in der aktuellen Konstellation nicht ausreicht, um die Bedürfnisse aller Anhänger zu erfüllen und zudem kaum Geld abwirft, ist obendrein tragisch, aber typisch für den derzeitigen Vereinskurs. Umso wichtiger ist es, dass von der Stadt München endlich ein finales Signal bezüglich der Stadionproblematik kommen muss, damit der Schrumpfprozess ein Ende findet. Nach db24-Informationen soll es außerdem ernsthafte Überlegungen in der Geschäftsstelle geben, die U21 im Sommer abzumelden. Das ist der falsche Ansatz. Die Unterbau-Mannschaft ist ein wichtiger Werbeträger in der Region. Alles nicht mehr wichtig?

Umso bemerkenswerter ist es, dass angesichts dieser Sparzwänge bis heute kein ernsthafter Versuch von Präsident Robert Reisinger unternommen wurde (aus Stolz? Oder darf er nicht?), um Hasan Ismaik wieder in der großen Löwen-Familie zu integrieren. Was hat nicht Ian Ayre bei seiner Flucht im Sommer 2017 vom TSV 1860 bemerkt? “Ich habe in der Vergangenheit gesagt, dass Hasan Ismaik diesen Club sehr leidenschaftlich liebt und viel investiert hat, um ihn zum Erfolg zu führen”, erklärte der Ex-Liverpooler gegenüber liverpoolecho.uk: “Diese Investition wird jedoch keine Früchte tragen, es sei denn, alle Aktionäre schließen sich gegenseitig an gemeinsamen Zielen für die Zukunft an. Nur dann kann die Geschäftsführung einen effektiven und erfolgreichen Club aufbauen und betreiben.” Diese Worte sind anderthalb Jahre später leider immer noch aktueller denn je.