VON OLIVER GRISS

Thomas Angerer ist ein Herzblut-Löwe. Der Unternehmer (IT-Branche) unterstützt den TSV 1860 seit Jahren. Jetzt will der 46-Jährige, der dem “Team Profifußball” angehört, in den Verwaltungsrat. Das db24-Interview:

dieblaue24: Herr Angerer, ganz direkt gefragt: Warum muss man ausgerechnet Sie bei der Mitgliederversammlung am 22. Juli in den 1860-Verwaltungsrat wählen?

Es geht hier überhaupt nicht um mich. Wir haben eine super Mannschaft mit einem voll funktionierenden Trainer/Manager-Team. Wir haben in der Geschäftsstelle Top-Leute, die sich - egal ob in der 2. Liga, Regionalliga oder jetzt eben 3. Liga - geräuschlos und professionell um den Betrieb kümmern. Ob das die komplette Verwaltung oder die Betreuer, usw. sind. Aber: Unser Team, und da gehöre ich dazu, möchte es schaffen, die Gesellschafter auch auf Kurs zu bringen. Der Kurs muss unter anderem heißen, dass die Gesellschafter ein faires Miteinander pflegen und man wirtschaftlich sinnvolle Geldquellen erschließt, damit es den Sparten gut geht, damit unsere Mannschaft sinnvoll verstärkt werden kann und man raus aus dem Schuldenberg kommt. Vielleicht bis hin zu einem freien TSV 1860 München. Es kann nicht sein, dass wir immer zu Herrn Ismaik gehen müssen, damit es bei uns weiter geht.

Sie gehören zum sogenannten “Team Profifußball” - ist der Name überhaupt richtig gewählt? Zuletzt meinte Präsident Robert Reisinger süffisant, dass sein Profiteam Daniel Bierofka und Günther Gorenzel sei…

Also zu aller erst hat er ja recht, Daniel Bierofka und Günther Gorenzel arbeiten extrem professionell und zielorientiert. Ich hab aber gar nicht gewusst, dass es sein Profiteam ist. Der Name hätte auch „Team AlleaneinemStrang“ (und zwar in die gleiche Richtung) heißen können. Egal, wie der Name auch heißt, es gibt immer jemanden, der ihn gut bzw. schlecht findet.

Sie und Ihre Mitstreiter waren viel in Bayern unterwegs und stellten sich bei diversen Veranstaltungen den Löwen-Fans vor: Mit welchen Themen werden Sie am meisten konfrontiert und wie fällt das Feedback aus?

Ganz klar das Thema Stadion. Viele der Fanklubs beziehungsweise auch einzelne Fans haben keine Dauerkarte bekommen und konnten letztes Jahr kaum Spiele sehen. Wenn man seit 20 Jahren oder länger gewohnt ist zu Sechzig zu gehen, und dann kann man es auf einmal nicht mehr, dann ist das nicht so schön. Als nächstes Thema kommt dann schon die Fanspaltung…

Ihr Team wird von manchen Kandidaten als „Spalter“ und „unwählbar“ hingestellt. Haben sie dazu eine Meinung?

Ich kann diese Kandidaten überhaupt nicht verstehen. Erstens, weil es vollkommener Blödsinn ist und zweitens macht man das nicht. Wir sind keine Spalter! Keiner von uns stellt sich hin und spricht sich gegen einen der anderen Kandidaten aus. Aber auch hier kann sich jeder seine Meinung bilden, was diese Menschen dazu treibt, sowas zu sagen. Wir wissen außerdem selber, dass es eine Einzelwahl ist und garantiert nicht alle von uns – wenn überhaupt – hinein gewählt werden. Wir haben auch nie gesagt, dass die Leute uns alle wählen sollen. Es wäre auch vermessen, so etwas zu tun. Es sind doch sehr viele gute Kandidaten dabei. Jedem Mitglied ist es doch selbst überlassen, wen er wählt. Die Kandidaten, die am meisten für Sechzig was bewegen können, müssen für mich da rein. Wenn ich zum Beispiel jemanden brauche, der nachhaltig und erfolgreich was aufbaut, dann fällt mir der Thomas Hirschberger sofort ein. Matthias Pantke ist ein Vollprofi im PR und Marketing. Für mich große Unternehmer mit tollen Kontakten in die Wirtschaft und in den Verein sind zum Beispiel Klaus Ruhdorfer und Norbert Oxee.

Was passiert, wenn das “Team Profifußball” bei der Verwaltungsratswahl scheitert?

Vom Gefühl her glaube ich, dass wir schon allein durch unsere Vorstellungsrunden ein bisschen was bewegt haben. Ich glaube, es können schon ein paar von uns in den VR schaffen. Wenn das so ist, dann haben wir vereinbart, dass wir unterstützend helfen, wenn es gewünscht ist. Aber eines ist auch klar, keiner kann erwarten, dass wenn jemand nicht gewählt wird, er aber trotzdem seine Kompetenz und wirtschaftlichen Einflüsse zur Verfügung stellt. Das ist dann nämlich ein Zeichen der Mitglieder, dass dies nicht gewünscht ist. Wenn wir gänzlich scheitern, dann sind halt andere in der Verantwortung. Die Erde wird sich trotzdem weiterdrehen…
 
Besonders schlimm ist das Lagerdenken seit dem Zwangsabstieg 2017 - in dieser Schärfe wurde sich noch nie untereinander gezankt. Die Mitgliederversammlung 2017 war ein abschreckendes Beispiel. Warum ist das so - und wie könnten sich die beiden Seiten wieder annähern?

Das ist einer der Punkte, die mir am meisten weh tun. Wir sind alle Löwen, freuen uns über die gleichen Tore und Siege und denken in unserem Leben immer weiß-blau. Und auf der anderen Seite muss man schon fast Angst haben, wenn man sich kritisch zu gewissen Dingen äußert oder eine andere Meinung hat. Nur durch miteinander reden kann man den Gegenüber verstehen lernen. Und das funktioniert auch und sollte jeder einmal versuchen. Einfach mal zuhören und drüber nachdenken. Und zwar auf beiden Seiten.

Würden Sie gewählt werden, welchen Kurs würden Sie im Umgang mit Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik befürworten: Konfrontationskurs oder ein Miteinander auf Augenhöhe?

Ganz klar bin ich hier für ein Miteinander auf Augenhöhe. Herr Ismaik ist nun mal da, ihm gehören 60 Prozent der KGaA. Er hat uns 2011 gerettet, als der Verein wieder alles falsch gemacht hatte und keiner mehr da war, der uns helfen wollte. Sonst hätten wir ihn ja gar nicht gebraucht. Das in der Zwischenzeit einige Fehler gemacht worden sind, ist auch klar - von ihm und all denen, die diesen Kurs mitgegangen sind in den letzten Jahren. Aber, und das kann man ihm gar nicht hoch genug anrechnen, jetzt hat er wieder zwei Millionen Euro gegeben, um die Mannschaft zu verstärken.

Helmut Kirmaier hat auf einem Server pikante Details aus dem Innenleben des Klubs veröffentlicht, in einer Reisinger-Mail  ist sogar davon die Rede, dass man im Streit mit Hasan Ismaik sogar über “politischen Beistand” nachdenkt. Wie verstehen Sie das?

Die Dokumente haben es ja ganz schön in sich wenn die echt sind. Aber davon geh ich mal aus. Ich möchte dazu aber nichts sagen, es soll sich jeder selbst sein Bild davon machen.

Vor einem Jahr hatten Sie in dieblaue24 in einem Brandbrief gegen das System 1860 gewettert - wie fiel die Reaktion aus? Vize-Präsident Hans Sitzberger hatte beispielsweise die Echtheit Ihres Schreibens angezweifelt…

Mich haben Sponsoren, aktuelle Spieler und auch welche mit Löwenvergangenheit und sogar Mitarbeiter der Löwen angerufen und sich bei mir für die offenen Worte bedankt. Viele meiner Beobachtungen und Emotionen - andere haben das ja auch gesehen und mitbekommen - haben auch bei denen den Nerv getroffen. Kritik gab es eigentlich wenig. Ja, Herr Sitzberger hat da bei mir schon nachgefragt, ob ich das geschrieben habe. Das war schon in Ordnung und ganz ehrlich, der Verein kann froh sein, das er so einen Menschen hat, der unheimlich viel für den Verein tut und gibt und den Löwen im Herzen trägt. Und zwar seit Jahren.

Der Verwaltungsrat bestellt im Jahr 2019 den Präsidenten: Was stört Sie an Robert Reisinger bzw. warum hat er Ihr Vertrauen?

Ich möchte hier nicht auf Robert Reisinger, sondern auf alle Präsidenten eingehen. Sie alle haben eine Aufgabe vor über 12 Monaten angenommen, die nicht leicht war und aller Ehren wert ist. Meine Wunschvorstellung von einem Präsidenten, der Oberhaupt von über 22.000 Mitgliedern ist, sieht folgendermaßen aus. Zum Beispiel find ich,  dass man, wenn der Hauptgesellschafter beleidigt wird, ihn ohne Kompromisse verteidigen sollte. Ich erwarte ein maximales Miteinander mit dem Hauptgesellschafter zum Wohle des Vereins und keine Beleidigungen gegenüber Geschäftspartnern, die uns zum Beispiel beim Arena-Auszug geholfen haben. Ich erwarte vor allem wirtschaftliche Lösungsansätze zum Wohle der Löwen und dass er etwas gegen die nicht nachvollziehbare und traurige Fanspaltung unternimmt. Außerdem erwarte ich glasklare Aussagen zu diversen Themen wie z. B. zum Stadion und ich erwarte Transparenz wie es um die Löwen in all den aufgeführten Punkten steht, damit nicht ununterbrochen Halbwahrheiten, von wem auch immer gestreut, im Umlauf sind.

Haben Sie in den letzten Jahren nicht etwas die Kontrolle im Verein vermisst? Auch Reisinger hätte als ehemaliger Verwaltungsrat die Zügel in den Händen gehabt…

Ich glaube die Kontrolle hat jeder Fan vom Verein vermisst. Im Nachhinein ist es aber immer leicht zu reden und Herr Reisinger war nur ein Teil des Verwaltungsrats. Alle haben den Hauruck-Kurs unterstützt und leider ist es nicht gut gegangen. Wir sollten aber jetzt nach vorne schauen, Daniel Bierofka mit seiner gesamten Mannschaft macht eine super Arbeit und hat uns den Aufstieg geschenkt und ich freue mich schon wie ein Schnitzel auf den Saisonstart. Wo eine Tür zugeschlagen wird, geht eine neue wieder auf und alle sollten helfen, dass wir durch die Türe durchgehen können.

Der TSV 1860 ist seit Jahrzehnten chronisch klamm: Welchen Masterplan haben Sie als Marketingexperte, damit die KGaA eigenständig überleben kann und vor allem in der Sponsorensuche eine bessere Figur abgibt als in der Vergangenheit?

Es gibt keinen Masterplan und erst recht nicht bei 1860 München. Ich weiß, der Verein und Infront arbeiten mit Hochdruck daran. Wichtig für ihre Arbeit ist unsere Außendarstellung und da kann jeder, dem Sechzig wichtig ist, dazuhelfen.

Im Grünwalder Stadion ist der Löwe stark limitiert: Mit nur 15.000 Plätzen und kaum Vermarktungsmöglichkeiten wird 1860 wohl nur selten schwarze Zahlen schreiben können. Wie sehen Sie dieses offensichtliche Handicap?

Als Fan mit Dauerkarte sag ich, ich finde es einfach geil, was da vor, während und nach dem Spiel abgeht.
Als Fan ohne Dauerkarte sag ich, schei..e! Das geht so nicht ich bin auch ein Teil dieses Vereins und hab fast keine Chance an Tickets zu kommen. Aus wirtschaftlicher Sicht ist es nicht nur wegen der Zuschauereinnahmen viel zu wenig. Auch im Sponsoring- und Werbebereich ist es nicht akzeptabel. Wie soll man richtig Geld verdienen, wenn einem durch ein veraltetes Stadion diese Möglichkeiten verwehrt bleiben. Überspitzt gesagt muss man die Eintrittspreise verdoppeln, keine Dauerkarten mehr anbieten und allen Fans, die sich am Anfang einer Saison bewerben, ein verbindliches Kontingent von fünf bis acht Spielen geben. Dann wäre es gerechter und wir hätten dazu auch noch doppelte Einnahmen. Aber das wird vielen nicht wirklich gefallen…

Die SPD-Stadtratsfraktion, zu der auch 1860-Verwaltungsrätin Verena Dietl gehört, hat jetzt einen Antrag gestellt, dass das Grünwalder Stadion auf eine Kapazität von 18.600 Zuschauer aufgestockt werden muss. Wahlkampf oder eine vernünftige Idee?

Es ist lobenswert, wenn wir immer mehr Zuschauer ins Stadion bekommen würden, ändert aber an der Gesamtsituation nichts. Es sind immer noch zu wenig und auch die Vermarktungsmöglichkeiten sind gering. Mich würde dabei als Fan interessieren, wie die Zukunftspläne ausschauen. Warum kann man die nicht öffentlich machen? „Wir haben einen Plan mit der Stadt entwickelt, den wir die nächsten drei Jahre durchziehen wollen, er sieht folgendermaßen aus: 1. …. 2. …. 3. …“ zum Beispiel. Dann wäre vielen geholfen.

Über welche Kapazität sollte eine Löwen-Heimat aus Ihrer Sicht verfügen?
Ganz klar: über 30.000 Zuschauer!

Wenn die Stadt einen Aus- bzw. Umbau des Grünwalder Stadion final ablehnt, was muss dann bei 1860 passieren?

Dann muss man sich an die Arbeit machen und so schnell wie möglich ein neues Stadion vorantreiben. Die „Seitenstraßler“ haben eine Arena, einen Campus und jetzt auch noch eine Halle für den Basketball. Warum sollen wir dann nichts bekommen?

Wie stehen Sie der 50+1-Regel gegenüber - und wie bewerten Sie den Kommerz im Fußball generell?

50+1 hätte auf alle Fälle Sinn gemacht, wenn es in Deutschland einheitlich durchgezogen geworden wäre. Leverkusen, Wolfsburg, Leipzig, … sag ich da nur. Mir persönlich wäre ein freies 1860 München am allerliebsten, aber der Zug ist seit 2011 abgefahren. Hasan Ismaik hat viel Geld investiert und deshalb gehören ihm 60 Prozent der KGaA. Im Endeffekt hat er aber überhaupt nichts zu sagen, wenn 50+1 auf e. V. Seite gezogen wird und man auf Konfrontation geht und das wird Investoren in Zukunft bei uns abschrecken. Ich bin mir aber sicher, dass 50+1 in naher Zukunft fallen wird, auch wenn das andere Menschen nicht glauben. Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass man in Deutschland von Freitag bis Montag in unterschiedlichsten Bezahlsendern Fußball schauen muss, nur um einen Spieltag komplett mitzubekommen? Und deshalb bin ich der Meinung, dass man mit Herrn Ismaik gemeinsam und fair zusammenarbeiten muss. Wenn man das in einer Zeit schafft, in der 50+1 noch aktiv ist, dann wird man es auch schaffen, wenn mal 50+1 nicht mehr aktiv ist. Wenn man aber jetzt immer auf Konfrontation geht, dann Gute Nacht an dem Tag, an dem 50+1 fällt.

Was ist Ihnen lieber: 1860 als sympathischer Stadtteilverein oder erfolgreicher Erstligist?

Sympathischer Zweit- oder Erstligist, der ruhig ein paar Ecken und Kanten haben soll.