VON OLIVER GRISS

Nach dem Tod seiner beiden Söhne sucht der 72-jährige Meister-Löwe  einen Weg zurück ins Leben: Mit Radfahren im Englischen Garten hält sich der einstige Mittelfeldstar des TSV 1860 fit - und geht nicht selten bis an die Grenzen.  Wildmoser fragte ihn früher immer um Rat

dieblaue24: Herr Grosser, Sie, das große Münchner Fußball-Idol des TSV 1860, haben sich nach dem Rücktritt als Hachings Vize-Präsident endgültig in die Rente verabschiedet: Wie ist ein Leben ohne Fußball?
PETER GROSSER (lacht): Ich bin mit Haching nachwievor eng verbunden - aber es geht ohne Amt bedeutend weniger Zeit drauf. Nachdem wir die Spielvereinigung die Lizenz-Auflagen bekommen hat, habe ich mir gesagt: „So, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, zu gehen.“ Die Entwicklung im letzten Jahr war ja alles andere als erfreulich. Jetzt habe ich endlich Zeit, mich um andere Dinge zu kümmern.
dieblaue24: Beispielsweise?
Ich nimm‘ mir jetzt viel Zeit für meine Enkeln: Philipp (16), Luis sowie Max (beide 9). Alle drei spielen übrigens bei der SpVgg Unterhaching. Wir kicken oft zu viert im Garten oder auf der Wiese: Ich zeige ihnen ein paar Tricks…
dieblaue24: Sie können das Leben wieder richtig genießen?
Naja, ich versuche es zumindest. Als auch noch mein zweiter Sohn, Thomas, vor zwei Jahren beim Fußball tot zusammenbrach, war das die Katastrophe schlechthin. Mehr geht nicht mehr. Da fragt man sich oft: Was habe ich im Leben falsch gemacht, dass einem das Schicksal so widerfährt?
dieblaue24: Wie haben Sie getrauert?
Ich hatte mich komplett aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Wenn deine beiden Kinder (Peter starb mit 19 bei einem Autounfall, d. Red.) tot sind, dann verändert sich dein Leben. Ich weiß jetzt: Mich kann nichts mehr aus der Bahn werfen. Was soll jetzt auch noch kommen? Ich bin oft am Friedhof in Unterhaching draußen: Dort lasse ich alles Revue passieren. Der Friedhof ist der beste Ort, um in sich zu gehen und abzuschalten. Hier bin ich meinen beiden Söhnen ganz nah.
dieblaue24: Wie reagieren Sie sich ab?
Nachdem mir Joggen mittlerweile schwer fällt, habe ich ein neues Hobby für mich entdeckt: Radfahren - das macht unheimlich viel Spass. Hier gehe ich an meine Grenzen - bis zur Erschöpfung.
dieblaue24: München gilt ja als die Radl-Hauptstadt Deutschlands: Verraten Sie uns Ihre Route?
Ich fahr immer durch den Englischen Garten, das ist einer der schönsten Flecken Münchens. Ich beginne beim Haus der Kunst, bis hinter zum Seehaus. Das war früher schon meine Laufstrecke - nur mit dem Unterschied, dass ich am Seehaus heute keine Gymnastik mehr mache…(lacht)
dieblaue24: Verraten Sie uns mal, was Sie früher als Fußball-Profi verdient haben?
Da lachen sich die Schweinsteigers, Riberys und Neuers dieser Welt kaputt: Mein erster Vertrag beim FC Bayern war mit 160 Mark Grundgehalt dotiert - mehr als 400 Mark Gehalt war nicht erlaubt. Zu Beginn der Bundesliga 1963 durfte man 1200 Mark verdienen, für das verlorene Europacup-Endspiel im Wembley (0:2 gegen West Ham, d. Red.) gab‘s 1500 Mark vom Verein.
dieblaue24: Wurde man damals reich damit?
Schauen Sie: 1963 habe ich mir eine Wohnung unterhalb des Grünwalder Stadions gemietet: 100 Quadratmeter für 290 Mark, das war ein Viertel meines Gehalts. Wenn man heute 25 Prozent von Schweinsteigers Monatsgehalt (rund 700.000 Euro, d. Red.) nimmt, dann könnte man sich ein Schloss mieten - und zwar kein kleines.
dieblaue24: Neidisch?
Nein, überhaupt nicht. Früher gab‘s noch kein Sponsoring, keine Werbung auf der Brust: Früher holten sich die Vereine das Geld ausschließlich von den Zuschauern.
dieblaue24: Wären Sie auch heute ein Star?
(lacht): Die Spieler von heute hätten bei uns Probleme gehabt, weil die technische Ausbildung heute nicht mehr ausgefeilt ist wie zu meiner Zeit. Heute geht‘s doch nur noch über die Athletik. Das gefällt mir nicht.
dieblaue24: Sie wurden bei 1860 mit 31 Jahren im Frühjahr 1969 ausgemustert…
Ich hatte keine gute Saison, war lange verletzt: Ich bekam keinen neuen Vertrag mehr - dafür holte 1860 einen 33-jährigen Mittelfeldspieler aus Salzburg: Rudi Kölbl. 1860 stieg ein Jahr später ab und Kölbl musste seine Karriere beenden. Das war eine der vielen Fehl-Entscheidungen von 1860…
dieblaue24: …und Sie liefen bei Austria Salzburg noch einmal zu großer Form auf…
Ich habe bis 37 in Salzburg gespielt, das war eine wahnsinnig schöne Zeit: Die Österreicher wollten mich damals sogar zum Nationalspieler machen.
dieblaue24: Später waren Sie Trainer, führten die SpVgg Unterhaching von der Bezirksliga bis in die Aufstiegsrunde zur Zweiten Liga: Gab‘s nie wieder Kontakt zu 1860?
Freilich, die Löwen wollten mich dreimal holen - aber immer, wenn sie anfragten, stand ich schon wieder im Wort bei Haching. Ich wollte immer 1860-Trainer werden. Ich wäre ein guter Profi-Trainer gewesen, aber ich wollte partout aus München nicht weg.
dieblaue24: Möglicherweise wären Sie auch ein guter Löwen-Funktionär geworden…
(lacht): Ja, aber Wildmoser wollte keine fremden Götter neben sich. Der Radi wäre aus meiner Sicht perfekt gewesen, bei 1860 mitzuarbeiten  - und der war auch immer frei. Aber wir kennen das ja: Wenn einer neben Wildmoser stark war, wurde er entlassen. Wildmoser wollte die ganze Aufmerksamkeit für sich.
dieblaue24: Hat Wildmoser Sie ignoriert?
Nein, im Gegenteil: Am Anfang seiner Zeit haben wir uns öfter in Hinterbrühl getroffen. Er hat mich immer über verschiedene Spieler ausgefragt. Ich habe Wildmoser geschätzt: Ohne ihn und Werner Lorant wäre 1860 nie aufgestanden. Es ist allein ihr Verdienst, dass über 1860 in Deutschland wieder positiv gesprochen wurde…
dieblaue24: Die neuen Schlagwörter bei 1860 sind Rettung, Ismaik, Schneider….
Schneider hat dafür gesorgt, dass 1860 mit Hasan Ismaik ein Investor zugelaufen ist und die Insolvenz abgewendet wurde. Die Skepsis der Löwen-Fans ist aus meiner Sicht unbegründet: Ismaik wird bewusst sein, dass die Seele des Vereins die Fans sind und das wird er nicht aufs Spiel setzen.
dieblaue24: Über allem steht der Aufstieg: Ist das realisierbar?
Naja, sagen wir mal so: 1860 hat eine Mannschaft, die eine gute Rolle spielen kann. Der Kader ist gut zusammengestellt. Von Daniel Halfar halte ich zum Beispiel sehr viel. Er ist ein Einzelkönner. Ich sage: Diese Saison wird das Jahr der Vorbereitung - danach muss man den Aufstieg in Angriff nehmen.
dieblaue24: Ist Maurer überhaupt ein Aufstiegstrainer?
Es wird eine wichtige Saison für Maurer. Ich meine, er sollte sich noch mehr Respekt verschaffen - und ich würde mich freuen, wenn wieder der alte Sechzger-Stil Einzug hält. Das wünsche ich Maurer.