VON OLIVER GRISS

Spätestens als Team-Manager Oliver Bierhoff bei der Aufarbeitung des Halbfinal-Scheiterns gegen Italien davon sprach, dass auch der Rasen in Warschau "nicht gut war", war meine Geduld am Ende und die Off-Taste der TV-Fernbedienung gedrückt. Natürlich ist es schade, dass wir seit 1996 weiter auf einen großen Titel der Nationalmannschaft warten müssen. Aber war’s nicht irgendwie vorhersehbar?

Jogi Löw hat sich bei der EM gnadenlos verzockt: Auf den Bayern-Block (sieben Stars im Halbfinale im Einsatz) und einen Absteiger (Podolski) zu setzen, war sein größter Fehler. Auch wenn's keiner hören will, das Chelsea-Trauma ist in den Köpfen von Gomez, Schweinsteiger, Lahm, Kroos, Müller, Badstuber, Boateng und Neuer längst noch nicht verarbeitet. Das ist menschlich. Zurecht hat Gomez jetzt gesagt: "Wir haben viermal auf die Fresse bekommen." Er meint die drei zweiten Plätze und nun das Aus bei der EM…

Schon beim Singen der Nationalhymne hat man gesehen, dass die Italiener bei ihrem Titel mehr Leidenschaft und Power rüberbringen als die Deutschen: Während Balotelli & Co. voller Inbrunst mitgesungen haben, war auf den Lippen von Klassensprecher Lahm & Freunde nur wenig Dynamik zu sehen. Und sind wir mal ehrlich: Vermissen Sie nicht auch Typen wie Lothar Matthäus, Andreas Brehme oder Rudi Völler, die uns seinerzeit - und vor allem bei der WM 1990 - verzückt haben? 

Das Problem des deutschen Fußballs ist hausgemacht:  Natürlich sind Özil, Reus & Co. dank der Jugend-Internate (siehe 1860) fußballerisch hervorragend ausgebildet - aber auch als Persönlichkeiten? Jedem Star wird heutzutage im Privatleben die Verantwortung komplett abgenommen, die Spielerberater mischen stärker mit als je zuvor. Auf dem Rasen fehlt die Unterstützung der Schattenmänner. Zuletzt hat ein aufstrebender Jugend-Nationalspieler seinem Berater gekündigt, weil der sich u.a. bei der Wohnungssuche nicht genügend unterstützt sah…

Der Fußball in unserem Land entwickelt sich in eine gefährliche Richtung: Es geht nur noch ums Geld und Kommerz. Für Eintrittskarten werden inzwischen mehrere 1000 Euro bezahlt. Das System ist krank. Und wenn man teilweise unsere "Helden" beobachtet, bekommt man den Eindruck, es handelt sich hier inzwischen um ranghohe Staatsmänner: Geheimtraining, Absperrungen, überwachte Interviews.

Und dann war da noch was: Die flächendeckende Suche nach dem Maulwurf, der der "Bild" vier Stunden vor Anpfiff des Viertelfinales  die Mannschaftsaufstellung zugespielt hat. Deutschland gewann trotzdem 4:2 gegen Griechenland. Der DFB sollte den Bundesnachrichtendienst (BND) einschalten und in Zukunft die Telefone abhören lassen - nicht, dass Löw sich vor lauter Aufregung wieder - wie in der Italien-Aufstellung - verzockt. Sicher ist sicher.

Wie beurteilen Sie das Scheitern der DFB-Elf? Diskutieren Sie mit!