VON OLIVER GRISS UND PHILIPPE RUIZ (FOTO)

Ein Rekord dürfte den Löwen am Ende dieser Saison auf jeden Fall sicher sein: Bei der 0:1-Pleite in Kaiserslautern war Michael Liendl erstmals 1860-Kapitän. Als insgesamt 11. Löwen-Profi in dieser Spielzeit durfte er sich die grüne Binde über seinen Oberarm stülpen. Obwohl der 31-jährige Österreicher als kluger Ballverteiler ein gutes Spiel machte, konnte er nach dem Rückstand nicht mehr die entscheidenden Impulse an die Mannschaft aussenden, um die Partie noch zu drehen.

Das Löwen-Problem in der Saison 2016/2017: Elf Kapitäne, aber kein Chef.

Und genau das ist im harten Abstiegskampf Gift. Der Gedanke, dass ein Spielführer nicht wichtig sei, kam im Winter-Trainingslager von Vitor Pereira höchstpersönlich, als er sagte: “Ich brauche nicht einen, sondern elf Spielführer auf dem Platz.” Hört sich zwar alles ganz nett an, verschiebt aber die Wirklichkeit: Nicht alle Menschen sind aufgrund ihres Charakters zum Leader geboren. Ein Spielführer muss in einer Mannschaft akzeptiert sein - auf und neben dem Platz.

Erinnern wir uns an Ex-Kapitän Christopher Schindler, der 2015 mit seiner herausragenden Körpersprache im Relegationskrimi gegen Holstein Kiel dazu beigetragen hat, dass 1860 sich weiter Zweitligist nennen durfte. So einen wie Schindler, der mittlerweile in England bei Huddersfield seine Brötchen verdient, bräuchten die Löwen jetzt. Er hat sich zu 100 Prozent mit dem Verein identifiziert.

Dass es bei 1860 zu diesem Kapitän-wechsle-dich-Spielchen überhaupt gekommen ist, liegt in erster Linie auch an Stefan Aigner. Der Ur-Münchner hatte kurz nach der Winterpause sein Amt frustriert zur Verfügung gestellt. Einerseits war er nicht mit seiner eigenen Leistung zufrieden, andererseits dürfte ihn auch der neue Personalkurs an der Grünwalder Straße nicht besonders geschmeckt haben. Aigner kam als Superstar im vergangenen Sommer, stieg zum Topverdiener auf - doch mittlerweile ist er nur noch ein Mitläufer. Seine Körpersprache ist nicht die, die ihn einst bei Eintracht Frankfurt zu einem der besten Außenstürmer der Bundesliga gemacht hat.

Aigners symbolischer Rückzug bei 1860 war ein fatales Signal, weil die Mannschaft, der Verein und die Fans genau so eine Identifiktationsfigur wie ihn bräuchte. Dass Aigner in den letzten Monaten resigniert hat, daran ist auch Trainer Pereira nicht ganz unschuldig: Immer wieder hat er Aigner vorzeitig vom Feld geholt - und das für die Beobachter teilweise aus nicht nachvollziehbaren Gründen. Pereira wäre jetzt gut beraten, mit Aigner sofort ein Vier-Augen-Gespräch unter Männern zu führen und die “Problemchen” aus der Welt zu schaffen. Der Trainer muss aber auch erkennen, dass Aigners Arbeitsfeld nicht die linke, sondern die rechte Außenbahn ist. Hier ist er daheim. Dass Aigner, der aufgrund der Millionen-Investitionen in seine Person eine besondere Verpflichtung gegenüber 1860 hat, diese Rolle kann, hat er über Jahre auf hohem Niveau bewiesen - sein Kontrahent Amilton bislang nur in Ansätzen.

Jetzt ist nicht die Zeit, um Macht zu demonstrieren, sondern das Beste für 1860 zu wollen. Und Aigner will das Beste für 1860 - dazu sollte man ihm aber auch das Gefühl geben, dass er wichtig ist. Pereira braucht Aigner nicht als Mitläufer, sondern als Entscheider. Er hat das Zeug zum Löwen-Retter 2017. Wetten dass?